DIGITALE LINKE
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Debatte um Netzneutralität: Gewerkschaftsdachverband fordert Netzwerkmanagement zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen

UNI-Europa, die europäische Sektion des internationalen Dachverbands der Gewerkschaften des Medien- und Unterhaltungssektors (UNI-MEI), hat sich in der Debatte um Netzneutralität für eine Totalüberwachung jeglichen Netzverkehrs ausgesprochen. Nicht nur sollten Technologien des Netzwerkmanagements zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Netz zum Einsatz kommen, sondern auf deren Basis auch Nutzerinnen und Nutzer illegaler Angebote im Vorfeld auf die Rechtswidrigkeit des Aufrufs illegaler Angebote hingewiesen werden sowie geeignete Schritte für ein Access-Blocking solcher Inhalte ergriffen werden.

Diese Position des Gewerkschaftsdachverbands ist einer Stellungnahme (29.09.2010) von UNI-Europa im Rahmen der von der EU-Kommission für die Digitale Agenda durchgeführten öffentlichen Konsultation über „Das offene Internet und Netzneutralität in Europa“  zu entnehmen. Darin wird von den Gewerkschaften ein Regulierungsrahmen zur Netzneutralität angemahnt, auf dessen Basis ein gesicherter und effektiver Netzbetrieb ebenso möglich sind wie Maßnahmen zur Unterbindung von Patent-, Marken und Urheberrechtsverletzungen. An maßgebender Stelle heißt es:

Any definition of “non-discrimination” and “reasonable network management” should permit Internet service providers to use all available tools in a competitively neutral manner to detect and prevent the illegal up- and downloading of copyrighted works. Just as reasonable network management practices today are employed to improve the quality of service to end-users (for example to block viruses), they should be permitted to block content distributed in violation of copyright.

Net neutrality policies should promote the responsibility of Internet service providers and stipulate requirements regarding network management to tackle unauthorised use of protected works over the Internet. Requirements should include notifications of end-users who try to access copyright-infringing material. Following such notification, appropriate steps to block access to that content should be permitted.

As long as these steps are implemented in an impartial manner, end-users should be able to view all lawfully distributed content of their choice. With respect to such procedures end-users should be informed of their rights and transparency be guaranteed. However the disclosure of specific tools or processes used to screen for stolen material should not be required. Excessive disclosure could undermine efforts to effectively combat the growth of unauthorised use of protected content over the Internet.

Das hier aufscheinende strategische Konzept eines Teils der Akteure aus der Unterhaltungsindustrie, die Forderung nach einer forcierten Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen in die Debatte um Netzneutralität hineinzutragen und zu inkludieren, ist nicht neu. Bereits im März des Jahres hatte sich ein Bündnis aus Medienindustrie und Gewerkschaften in den USA unter anderem mit dieser Disposition in einem gemeinsamen Positionspapier zu Wort gemeldet und proklamiert, dass Internet müsse von einem Basar der Diebe in einen sicheren, lichtdurchfluteten Marktplatz verwandelt werden.

Zuletzt konkretisierte der Verband der US-Regisseure Directors Guild of America (DGA) – ebenfalls Mitglied dieses Bündnisses – in der jüngst publizierten Broschüre „Internet Theft“, ein geeignetes Mittel dazu sei Deep Packet Inspection (DPI). Die Vorstellung, Netzbetreiber errichteten mit Hilfe dieser Technologie eine Kontroll- und Zensurinfrastruktur vergleichbar der Great Firewall of China sei lachhaft, heißt es dort. Eine Pro-Netzneutralität-Lobbygruppe sei in ihrem Hohelied auf die Umsonst-Mentalität im Netz gegenüber den Geschäftsbedingungen der traditionellen Filmindustrie zutiefst feindlich eingestellt. In der hochgradig interessegeleiteten und ideologischen Debatte um Netzneutralität müsse die Medienindustrie ihr eigenes Agenda-Setting zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen betreiben.

Pikant an der Stellungnahme von UNI-Europa ist, dass auch die Gewerkschaft ver.di Mitglied des Dachverbands ist. Mit Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Bereichsleiter Kunst und Kultur in ver.di, stellt die Gewerkschaft einen von drei Vorstandssekretären der UNI-Europa. Die Verbindung zwischen ver.di und UNI-MEI in Urheberrechtsfragen hatte bereits für die umstrittene Pressekonferenz im Rahmen des „Welttags des geistigen Eigentums“ am 26. April 2010 Pate gestanden. Damals hatte die Gewerkschaft zusammen mit Vertretern der Medienindustrie unter dem Titel „Diebstahl geistigen Eigentum im Netz: 5 vor 12 für die Kreativwirtschaft“ geladen.

Nach Protesten in der Netzöffentlichkeit sowie in den eigenen Reihen hatte Bleicher-Nagelsmann seinerzeit erklärt, dass zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Netz kein Bündnis von ver.di und Industrie geplant sei. Zugleich lehnte er Netzsperren mit der Begründung ab, dass „sie immer auch die Gefahr von Zensur bergen“. ver.di streite weiterhin gegen die Vorratsdatenspeicherung und stehe für den Schutz der „Kommunikations- und Meinungsfreiheit auch im digitalen Raum“, hieß es in seinem Statement ferner.

Pikant an der Stellungnahme von UNI-Europa ist darüber hinaus, dass ver.di erst jüngst ein Positionspapier zum Urheberrecht veröffentlichte. Darin wird gefordert, den Nutzerinnen und Nutzern im Vorfeld des Aufrufs illegaler Angebote einen Warnhinweis anzuzeigen:

Ziel ist technische Instrumente zu finden, die es ermöglichen, dass beim Aufruf einer Seite mit illegalen Angeboten ohne Registrierung der Nutzer/innen-IP auf dem Monitor eine – von dazu legitimierten Institutionen vorgeschaltete[r] – Information über die Rechtswidrigkeit des Angebots und dessen Nutzung erscheint. (Positionspapier, ver.di Bundesvorstand)

Wie das technisch zu bewerkstelligen ist, teilte ver.di nicht mit. Die Antwort darauf wird nun in der Stellungnahme von UNI-Europa gegeben. Sie lautet: anlasslose Totalüberwachung des Netz-Traffics mittels Netzwerkmanagement via Deep Packet Inspection – Netzsperren weiterhin nicht ausgeschlossen.

Offenbar verstricken sich Teile der Gewerkschaft im Digitalzeitalter zunehmend und unauflösbar in Widersprüche. Ein Neuanfang und eine Abkehr von Positionen der Verwertungsindustrie ist erforderlich.

9 Kommentare zu “Debatte um Netzneutralität: Gewerkschaftsdachverband fordert Netzwerkmanagement zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen”

  1. […] zur Filterung von Urheberrechtsverletzungen. Norbert Scheele fasst das so zusammen: Gewerkschaftsdachverband fordert Netzwerkmanagement zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen. Nicht nur sollten Technologien des Netzwerkmanagements zur Bekämpfung von […]

  2. Anonym sagt:

    Ein schwachsinniger Vorschlag von offensichtlich dummen Menschen. Selbstverständlich verfassungswidrig und daher den kranken Köpfen der Urheber mit Schmackes um die Ohren zu hauen.
    Abgesehen davon ist das ganze technisch gar nicht machbar, aber um das zu begreifen, braucht man schon etwas Kompetenz, und die gibt es bei UNI-MEI definitiv nicht.

  3. […] von Produkten oder Inhalten nicht schützen sollten”, heißt es in dem Papier, auf das die Digitale Linke am Dienstag im Blog der Partei hinwies. Eine gesamteuropäische Breitbandpolitik bleibe […]

  4. Anonymous sagt:

    Aufgelesen und kommentiert 2010-11-23…

    SPD-Spitze hat sich auf strikte Ablehnung der schwarz-gelben Hartz-IV-Pläne festgelegt Streichung von Ein-Euro-Jobs wird soziale Lage vieler Langzeitarbeitsloser verschlechtern Windenergiebranche, modern und ökologisch – auf Kosten von Leiharbeitern ZD…

  5. Ano Nym sagt:

    „Offenbar verstricken sich Teile der Gewerkschaft im Digitalzeitalter zunehmend und unauflösbar in Widersprüche. Ein Neuanfang und eine Abkehr von Positionen der Verwertungsindustrie ist erforderlich.“

    Welcher Widerspruch ist hier gemeint? Die IG Metall ist gegen die Reduktion von Rüstungsausgaben, Gewerkschafter aus Reihen der Polizei geben öffentlich Tipps zur „Verbesserung der Sicherheit“ und ver.di macht sich für den Urheberrechtsschutz stark. Dieses Eintreten für die Arbeitgeberinteressen war und ist das Geschäft der Einheitsgewerkschaften in Deutschland.

  6. Der Frosch sagt:

    Um den Versandt von Raubkopien per Post zu unterbinden muss man natürlich auch den Inhalt der Paketpost (und der Briefpost) überprüfen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

    Oh, wie war das nochmal mit dem Rechtsfreien Raum und Artikel 10 GG?

  7. […] in den vergangenen vier Wochen auf europäischer und deutscher Ebene Gewerkschaften im Rahmen der Urheberechtsdebatte rund um digitale Inhalte durch […]

  8. […] Hervorhebung von mir. Mehr Informationen zu den Hintergründen, auch zur schizophrenen Positionierung von Ver.di in dieser Frage gibt es bei Netzpolitik und im Blog der Digitalen Linken. […]

  9. […] Scheele berichtet im Linke-Blog über Pläne von UNI-Europa, der europäische Sektion des internationalen Dachverbands der […]