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#Fail – Eine Nachbetrachtung zum JMStV (Teil I)

Am 10. Juni quittierten die Ministerpräsidenten der Länder per Unterschrift einstimmig ihre Zustimmung zum 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RÄStV). Letzterer bildet den Mantel zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), über dessen Hintergründe, Ziele und Widersprüche an dieser Stelle seit elf Monaten kritisch berichtet wird.

Mit der Unterzeichnung des 14. RÄStV durch die Ministerpräsidenten war aufmerksamen Beobachtern der Rundfunkpolitik der Länder klar, dass der Drops, wenn auch nicht vollständig, so doch zu einem Gutteil gelutscht war. Nie zuvor ist ein auf den Weg gebrachter Rundfunkstaatsvertrag auf dieser Stufe des Einsetzungsprozesses gescheitert. Von nun an würden Widersprüche aus den eigenen Reihen nach den Eigengesetzlichkeiten und medial vermittelten Funktionsmechanismen von Politik als eine Schwächung der Person des jeweiligen Ministerpräsidenten gewertet.

Da der Vertragsentwurf vorher die Landeskabinette und entsprechenden Senate in den Stadtstaaten passiert hatte, würde sich mehr oder minder unweigerlich die Koalitionsfrage stellen, zumindest aber würden umfangreiche innerkoalitionäre Kompensationsgeschäfte zu Lasten der Opponenten eingefordert werden. Das Zeitfenster für einen erfolgversprechenden Widerspruch war demnach eng. Wie nachträglich bekannt geworden ist, erfolgte die Zustimmung zum JMStV im Berliner Senat beispielsweise bereits am 20. April, jene im Brandenburger Kabinett am 17. Mai. Der Vertragsentwurf selbst war aber erst Mitte Januar bekannt geworden – nicht etwa durch die maßgebenden rundfunkpolitischen Akteure, sondern veröffentlicht von Alvar Freude.

Vor diesem Hintergrund erklären sich die von einer kritischen Öffentlichkeit im Netz zu Recht mit Unverständnis wahrgenommenen Koalitionsszenarios in den Ländern hinreichend – wenngleich nicht notwendig: Die FDP stimmte trotz eines gegenläufigen Bundesparteitagsbeschlusses sowohl im schwarz-gelben Hessen als auch in Baden-Württemberg, Niedersachsen sowie (noch ausstehend) im schwarz-gelben Bayern und Schleswig-Holstein für den JMStV. Im schwarz-gelb-grünen Saarland tat sie das zusammen mit den GRÜNEN, die zum Entsetzen ihrer netzpolitischen Akteure auf Bundesebene im rot-grünen Bremen ebenso zustimmten wie – wenige Tage vor Aufkündigung der Koalition – im schwarz-grünen Hamburg.

Gleiches gilt für die rot-rot regierten Länder. In Berlin hat DIE LINKE letzte Woche aus Koalitionsräson gegenüber der SPD dem Vertrag ihr Plazet erteilt. In Brandenburg wird sie das diese Woche tun. Abgesehen von vereinzelt anomischem Abstimmungsverhalten in der Opposition – Beispiele sind die Zustimmung der GRÜNEN in Thüringen und der Bürgerschaftsfraktion DIE LNKE in Bremen –, die sich in ihrer Sinnhaftigkeit rationalen Bemessensgrundsätzen entziehen, ergibt sich überall dasselbe Bild: In der Opposition stimmen FDP, LINKE und GRÜNE gegen den JMStV; als Juniorpartner in Regierungsverantwortung lehnen sie den Staatsvertrag inhaltlich ab, stimmen ihm aber parlamentarisch zu.

Nach der systemischen Eigenlogik des Regierungsparlamentarismus bestünde allenfalls für Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, zum jetzigen Zeitpunkt den rundfunkpolitischen Zwängen noch zu entfliehen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat den Staatsvertrag bekanntlich nicht unterschrieben. Dies oblag ihrem seinerzeit formal noch im Amt befindlichen Vorgänger Jürgen Rüttgers (CDU). Doch wird auch Rot-Grün in NRW, so ist vorherzusehen, sein Plazet letztlich nicht verweigern. Der Grund ist, dass die Determinanten der Rundfunkpolitik nicht in den Parlamenten entschieden werden, sondern in einem intransparenten Entscheidungsgremium namens Rundfunkkommission.

Die Rundfunkkommission der Länder, von der im Netz nicht einmal eine Mitgliedsliste zu finden ist, wird von den Ministerpräsidenten über deren Staatskanzleien gesteuert. Federführend ist die rheinland-pfälzische Staatskanzlei unter Staatssekretär Martin Stadelmaier (SPD). Für die unionsgeführten Länder erfolgt die Koordination über den baden-württembergischen Staatssekretar Hubert Wicker (CDU). Die weiteren Chefs der Staats- und Senatskanzleien – für Berlin etwa die von der SPD gestellte und jüngst als Kämpferin gegen „die freie Wildbahn im Internet“ hervorgetretene Staatssekretärin Barbara Kisseler (Interview in promedia 6/2010) – bilden lediglich Beiwerk.

Informationen über in diesem Gremium getroffene Absprachen werden an etwaige Koalitionspartner nicht weitergegeben. Demokratische Eingriffsmöglichkeiten durch die Landesparlamente bestehen nicht. Statt Transparenz und Partizipation herrscht Expertokratie. Von Beginn an bestanden demnach keine günstigen Vorzeichen für die Ablehnung eines politischen Vorhabens wie den JMStV durch parlamentarische wie außerparlamentarische Akteure.

Teil II mit einer Analyse begangener Fehler folgt hier.

8 Kommentare zu “#Fail – Eine Nachbetrachtung zum JMStV (Teil I)”

  1. Oliver sagt:

    Grundgesetz Artikel 38
    (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

    Ich kann mich ja irren, aber ich lese da nichts von Koalitionen, Fraktionszwängen, „nicht Beschädigungen“ am amtierenden Ministerpräsidenten oder Geschacher um ARGE Umbau gegen Internetzensur durch die Hintertür.

    Dieses Gesetz zeigt wieder einmal, dass sich unsere Demokratie immer mehr zu einer Demokratur entwickelt, in dem der Bürger keine Rolle mehr spielt, sondern in diesem Fall nur die Lobby um die FSM. Auch wenn der Autor bemüht ist, die Verfehlungen der anderen Parteien aufzuzählen bleibt unter Strich doch nur die Erkenntnis, dass SÄMTLICHE Parteien inkl. der eigenen direkt gegen Artikel 38 gehandelt haben.

    In den letzten Jahren, hatte die LINKE mehrfach meine Stimme aufgrund der guten Basisarbeit. Mittlerweile scheint sich aber der hohe Anteil ehemaliger SPD Wähler auszuwirken und eine zweite Verräterpartei brauche ich persönlich nicht.

  2. Andreas sagt:

    „Wir lehnen diesen Krieg in Afghanistan rundherum ab und fordern den sofortigen Abzug, stimmen aber aus Koalitionsgründen für die Verlängerung des Einsatzes am Hindukusch. Zudem dürfen wir das Gesicht des Kanzlers nicht beschädigen.“

    Demnächst auch in ihrem rot-rot-grünen Bundestag. Danke, bitte.

    Die LINKE hat es weit gebracht, daß man sich inzwischen auf die NRW-Opposition von CDU und FDP stützen muss, damit der unsägliche JMStV doch noch scheitert.

    http://www.netzpolitik.org/2010/eil-kurz-vorentscheidung-in-nrw-jetzt-wirklich/

  3. Anonymous sagt:

    Aufgelesen und kommentiert 2010-12-14…

    Hartz-IV-Reform im Bundesrat wohl ohne Mehrheit Altersarmut: Immer mehr Ältere müssen sich etwas dazuverdienen XXL-Leiharbeit: Zahl der prekär Beschäftigten steigt weiter an Bundesarbeitsgericht: Gewerkschaft für Zeitarbeit (CGZP) ist nicht tariffähig…

  4. Juergen Scheele sagt:

    @Frank: Es wäre großartig, wenn der JMStV in NRW noch gekippt werden könnte. Doch lese ich gerade auf Netzpolitik, dass von der CDU ausgerechnet am Tag der Abstimmung mehrere Abgeordnete fehlen werden – darunter ausgerechnet Ex-Ministerpräsident Rüttgers. Das würde dann wieder ins Schema passen. Der Ball ist zurückgespielt ins Lager von SPD und Grünen.

    @Oliver: Der Staastvertrag ist ein Vertrag zwischen den Bundesländern. Der Bundestag ist gar nicht beteiligt. Auch ist es wohlfeil mit dem Grundgesetz zu wedeln. Schau mal auf folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dort teilt man Deine Rechtsauffassung offenbar nicht:

    „Die Parlamentsfraktionen sind notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (BVerfGE 10, 4 [14]). Sie haben als Teile und ständige Gliederungen einer parlamentarischen Körperschaft den technischen Ablauf der Meinungsbildung und Beschlußfassung in gewissem Grade zu steuern und damit zu erleichtern (vgl. BVerfGE 20, 56 [104] mit Nachweisen). Sie sind von der Verfassung anerkannte Teile eines Verfassungsorgans. Rechtsbeziehungen bestehen für sie grundsätzlich nur innerhalb des Parlaments, nicht aber gegenüber dem Bürger.“ (BVerfGE 43, 142)

  5. Juergen Scheele sagt:

    Kaum ist mein Kommentar fertig geschrieben, kommen wieder Neuigkeiten aus NRW:
    Offiziell: Jugendmedienschutzstaatsvertrag gestoppt – Landtag NRW wird #JMStV morgen ablehnen (http://www.netzpolitik.org/2010/offiziell-jugendmedienschutzstaatsvertrag-gestoppt-landtag-nrw-wird-jmstv-morgen-ablehnen/)
    Chapeau, das wäre dann tatsächlich die nicht mehr erwartete Sensation.

  6. Entsetzter sagt:

    Also das ist ja wohl echt die Höhe!
    Das andere Parteien mit so einem Urteil vom BVerfGE herumprotzen wäre zu erwarten gewesen. Aber man hätte ja den Eindruck bekommen können, das bei den LINKEN noch der Leitsatz „Wir sind das Volk“ gilt.
    Sie sagen also dass sie im Landtag eh keine Entscheidungsmacht über den JMStV gehabt hätten? Wieso ist er dann in NRW gestoppt worden?
    Wenn ihr Koalitionspartner also die „Ermächtigungsgesetzte Reloaded“ in der Regierung fordert, sind sie zwar „Inhaltlich“ dagegen stimmen aber „parlamentarisch“ dafür?
    Können sie mir diese Praxis noch einmal logisch näher bringen?
    In was für Republik leben wir denn?
    Schämen müsst ihr euch!

  7. Peter sagt:

    Was soll das Getrolle? Echt die Höhe, Schämen, Wir sind das Volk. Vor dem Kommentieren immer erst lesen…