DIGITALE LINKE
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Jetzt neu! SPD als Speerspitze der Netzpolitik

Die SPD erfindet bekanntlich die Netzpolitik momentan neu. Nachdem der Dresdner Parteitag (wir berichteten) noch Mitte November das Internet als ambivalent bewertet hatte, werden nun nahezu täglich positive Gefühlsmeldungen ausgesendet. Nach der vorweihnachtlichen 180-Grad-Wende in Sachen Internetsperren (siehe hierzu den Bericht der taz sowie die eigentümliche Erinnerungsarbeit des SPD-Bundestagsabgeordneten und Zugangserschwerungsgesetz-Mitarchitekten Martin Dörmann), erscheint jetzt ein Interview zur Netzpolitik mit Matthias Groote auf vorwärts.de

Groote ist seit 2005 Abgeordneter des Europäischen Parlaments, dort Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion – Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) – und als solches ständiges Mitglied im Ausschuss für Verfassungsfragen (AFCO) sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI), im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und im Ausschuss für Fischereipolitik (PECH). Sprich: weitgehend unbeleckt von medien- oder netzpolitischen Vorkenntnissen. Dementsprechend fällt im Rahmen eines Plädoyers für Netzpolitik seine netzpolitische Bewertung des EU-Telekompakets aus: 

„vorwärts.de: Vor kurzem hat das europäische Parlament dem so genannten Telekom-Paket zugestimmt. In diesem werden die Rechte der Internet- und Handynutzer gestärkt. Wie bewerten Sie das neue Gesetz?

Matthias Groote: Die Verabschiedung des so genannten Telekom-Pakets ist von besonderer Wichtigkeit. Es hat nicht nur weitreichende Verbesserung für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher gebracht, wie z.B. Vereinfachungen bei dem Wechsel des Mobilfunkanbieters, sondern auch die Rechtssicherheit der Internetnutzer massiv gestärkt. Mich freut besonders, dass sich das Europäische Parlament klar zu einer Stärkung der Bürgerrechte und Grundfreiheiten im Internet bekannt hat und diese letztendlich auch gegen die Vorbehalte der Nationalstaaten erfolgreich durchsetzen konnte.

Im Telekom-Paket wird auch der Umgang mit Internetsperren behandelt. Verlief die Diskussion auf europäischer Ebene anders als in Deutschland?

Anders als in Deutschland, dreht sich die Debatte auf europäischer Ebene nicht um das Sperren von Seiten mit kinderpornografischen Inhalt. Vielmehr wurde der Versuch unternommen, den Nutzern bei drei Urheberrechtsverstößen ohne Anhörung von Gerichten den Internetzugang zu sperren. Der Ansatz der Internetsperren wurde erst im Vermittlungsverfahren durch einen Kompromiss abgemildert. Das zentrale Thema ist die Wahrung der sogenannten „Netzneutralität“. Dadurch soll es garantiert bleiben, dass alle im Internet eingestellten Inhalte neutral behandelt und in keiner Weise von Seiten der Anbieter gefiltert oder gar blockiert werden. So soll verhindert werden, dass Internetprovider mitbestimmen und selektieren, welche Seiten und Services für den Nutzer zugänglich sind und welche nicht.“

Bekanntlich leistet das von den Sozialdemokraten mitbeschlossene (siehe hier) Telekompaket das gerade nicht. Erstens sieht es die Möglichkeit zur abgestuften Erwiderung vor, mit der Telekommunikationsanbieter und Internet Service Provider bei Urheberrechtsverstößen im Netz Beschränkungen des Netzverkehrs vornehmen können. Zweitens wird mit ihm Three-Strikes (drei Urheberrechtsverletzungen, und du bist raus …), wenngleich unter rechtsstaatlichen Verfahrensregelungen, grundsätzlich möglich. Drittens verpflichtet es die EU-Kommission in Sachen Netzneutralität gerade einmal zu einem folgelosen Monitoring des offenen und neutralen Charakters des Netzes. (Siehe hierzu insbesondere die Erklärung der Kommission zur Netzneutralität.) 

Da ist es geradezu eine Petitesse, dass es beim Telekompaket natürlich auch um eventuelle Sperrmaßnahmen bei kinderpornographischen Angeboten im Netz ging. In einer offiziellen Pressemitteilung der Kommission ist hierzu nachzulesen: 

„Bei etwaigen Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bezug auf ihren Internetzugang (z. B. zur Bekämpfung von Kinderpornografie oder anderen Rechtsverletzungen) haben die Bürger Anspruch auf ein vorheriges, faires und unparteiisches Verfahren, bei dem sie angehört werden müssen, sowie auf eine wirksame und zeitnahe gerichtliche Überprüfung.“

So viel zur SPD als Speerspitze der Netzpolitik! Vielleicht sollte vorwärts.de das Ansinnen, in unregelmäßigen Abständen Beiträge und Hintergrundberichte zum Thema Netzpolitik zu veröffentlichen, „um die Debatte in- und außerhalb der Sozialdemokratie voranzubringen“, einmal ernst nehmen …

2 Kommentare zu “Jetzt neu! SPD als Speerspitze der Netzpolitik”

  1. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von softlabhennef, Red Star erwähnt. Red Star sagte: Jetzt neu! SPD als Speerspitze der Netzpolitik | http://bit.ly/8sM36r | […]

  2. Erstmal danke für die Auseinandersetzung und Verlinkung des Interviews, auch wenn ich Ihre Meinung nicht teile.

    Ich glaube, Matthias Groote ist einer der wenigen Europaparlamentarier, die sich in der Netzpolitik richtig gut auskennen – aus persönlicher Erfahrung her und aus seiner politischen Tätigkeit.

    Aber wir haben vom vorwärts kein Problem, uns der inhaltlichen Debatte zu stellen. Haben Sie Vorschläge, wie man das bewerkstelligen könnte?