Bild: „Aaaah“ (Gemeinschaftsproj.) von Quark – www.augensound.de (CC–BY)
Felix von Leitner (Fefes Blog) hat der kürzlich gestarteten Initiative Pro Netzneutralität vorgeworfen, „nicht verstanden [zu] haben, worum es beim Internet geht. Das Internet ist kein Shopping-Kanal. Scheiß auf die ökonomischen Potentiale. Es geht bei Netzneutralität auch nicht um Innovationspotential. Netzneutralität ist die Grundlage für Demokratie, Pluralismus und Meinungsbildung im Internet. Das ist eine viel fundamentalere Sache als irgendwelche wirtschaftlichen Blubberblasen.“ Der Kolonisierung des Netzes durch ökonomische Verwertungsinteressen wird demnach ein konstitutives Primat der Meinungs- und Informationsfreiheit gegenübergestellt. Diesem grundlegenden Verhältnis gilt auch das Interesse des folgenden Beitrags, der im Juni (!) für ein analoges Publikationsorgan geschrieben wurde, dort aber nicht erschien und hier dokumentiert wird.
Kontroll- und Verwertungsinteressen vs. Gleichheit und Freiheit im Netz
Eigentlich ist das Internet bereits ein in die Jahre gekommenes Medium. Entstanden seit 1969 hat es inzwischen einige Wandlungen durchfahren: vom militärisch finanzierten nationalen Forschungsnetz in den USA der 1970er Jahre über das internationale Wissenschafts- und Grassroots-Netzwerk der 1980er Jahre zum globalen Ökonomie- und Gesellschaftsnetz der 1990er Jahre bis hin zum – sofern Anschluss besteht – weltweiten Massen- und Leitmedium seit der Jahrtausendwende. Über die Jahre gleichgeblieben allerdings sind seine Grundvoraussetzungen. Sie bestehen in einer verteilten, zentrumslosen Struktur und einer paketvermittelten, gleichberechtigten Steuerung. Anders ausgedrückt: Das Netz besitzt weder einen lokalisierbaren Eigentümer noch eine zentrale Leitung. Das sind die Garanten seines fortbestehenden Erfolges und seiner ungebremsten Dynamik. Das sind zugleich die Grundlagen eines Systems der offenen Informationsbereitstellung, das in zunehmendem Maße auf den Widerstand von Kontroll- und Geschäftsinteressen stößt und weitreichenden Einschränkungen unterworfen werden soll.
Als ein beliebtes Mittel dazu erweist sich die mediale Skandalisierung. Immer öfter ist vom Internet als einem Tummelplatz der Unmoral, einem Hort der Perversion, des beständigen Tabubruchs, des Terrorismus und einem Abgrund des Verbrechens zu lesen. Forderungen nach Eindämmung von Sex, Kindesmissbrauch, Extremismus und Gewalt im Netz gehen einher mit solchen nach schärferen Sanktionen für Diebstahl sogenannten geistigen Eigentums, unkanalisiertes Online-Glücksspiel, illegalen Medikamentenhandel u.v.m. Nicht fehlen darf in diesem Kontext auch der Hinweis auf den vermeintlich ubiquitär erforderlichen Ausbau staatlicher Sicherheits- und Kontrollbefugnisse im Internet. Die Beschwörung der dunklen Seite des Netzes dient in diesem Monolog der Ängste und Phobien als Instrument zur Durchsetzung von technischen und juristischen Kontroll- und Eigentumstiteln.
Ausgiebig beschrieben – zumeist entgegen jeder empirischen Grundlage – werden die aus vermeintlichen Freiheiten herrührenden Herausforderungen des Netzes, um sie für die Regulierung des Netzes nach je eigenen Verwertungsinteressen zu instrumentalisieren. Als maßgebende Akteure in einem sich herausbildenden Internet-Kontrollregime erweisen sich die Vertreter der klassischen Medienindustrie (Film, Musik, TV, Buch). Sie fordern, das Internet von einem Basar der Diebe in einen sicheren, lichtdurchfluteten Marktplatz zu verwandeln. Das Netz soll als Medium zum Kaufen, Sehen und Hören – kurz: zum Konsum von Kommunikation und Information – optimiert werden, nicht aber zum Gestalten, Reden und Gehörtwerden. Entsprechend den Vorgaben der Unterhaltungsindustrie sollen die Internet-Zugangsanbieter gezwungen werden, die von ihnen übertragenen Inhalte in Echtzeit zu überwachen und nach mutmaßlich illegalen Nutzeraktivitäten zu durchleuchten. Im Repressionskatalog ebenfalls enthalten sind Forderungen nach Netzsperren gegen missliebige Inhalteanbieter und solche für Nutzerinnen und Nutzer im Falle wiederholter Urheberrechtsverletzungen sowie nach Ausschluss verdächtiger Hinweise in den Indizes von Suchmaschinen.
Ohne Zweifel implizierte eine solche Überwachung des Datenverkehrs eine Zensur jeglicher Netzaktivitäten. Es entstünde eine Kultur der Kontrolle, des Ausschlusses von missliebiger Kommunikation nach Verwertungsinteressen, eine expandierende Auslegung zu schützender Ziele und eine gigantische Indizierungsliste – eine fortschreitende Zensur ohne Zensurbehörde. Zugleich wären damit erhebliche Eingriffe in die technische Basis des Systems der offenen Informationsbereitstellung verbunden. Die Folge wäre eine Renationalisierung und Reterritorialisierung des globalen öffentlichen Raums Internet. Eine Konsequenz übrigens, die nicht systemisch aufzulösen ist. Entgegen weit verbreiteter Meinung laufen Zensurmaßnahmen im Netz nicht aufgrund seines technischen Aufbaus ins Leere. Vielmehr ist es das Ausmaß an Technologie, dass die Effektivität von Zensur bestimmt. Je größer der technische Einsatz, desto besser das Ergebnis. – Auch wenn sich die westlichen Zensurinteressen nicht in der Plattheit der chinesischen Lösung durchsetzen werden: Die Great Chinese Firewall lässt grüßen.
In dem sich herausbildenden Internet-Kontrollregime sind die Vertreter der Medienindustrie nicht die einzigen Akteure. Auf die Konvergenz von Verwertungsinteressen und dem Drängen nach erweiterten Kontrollrechten durch nationalstaatliche Sicherheitseinrichtungen – in Deutschland insbesondere durch das Bundeskriminalamt (BKA) – wurde bereits verwiesen. Darüber hinaus haben auch Netzbetreiber und Hersteller von Netzausrüstung ein ökonomisches Interesse daran, Kontrollinteressen zu bedienen. Der Router-Weltmarktführer Cisco beispielsweise beliefert nicht nur Chinas Zensurinfrastruktur mit seinen Standardprodukten, sondern will mit seiner Technik auch an einem verbesserten Renditestrom der Netzbetreiber teilhaben. Letztere planen, den Datenverkehr des Netzes nicht länger allein nach Adressaten zu lenken. Künftig sollen die Datenströme auf der Grundlage einer Klassifizierung nach Herkunft, Anwendung und Inhalt gegen einen entsprechenden Aufpreis bevorzugt behandelt werden. Das Prinzip der Netzneutralität – der gleiche und freie Informationsfluss im Netz – wäre aufgehoben.
Ähnliche Tendenzen zeichnen sich auf dem Feld des jüngsten Expansionspfads des Netzes ab: dem mobilen Internet. Marktführer Apple setzt bei Smartphones, Tablet-Computern und Apps auf proprietäre Lösungen – sprich: eigentumsrechtlich abgesicherte Hard- und Software. Über die Kontrolle der Inhalte wacht der Konzern selbst. Es ist Ein-Weg-Kommunikation: „We sell, and you buy.“ Im Gegensatz dazu ist Google in Sachen Netzneutralität ein Positivbeispiel. Der vielkritisierte mächtigste Konzern der Welt setzt als Inhaltevermittler und Werbekonzern demonstrativ auf die Offenheit des Netzes und auf offene Systemplattformen. Allerdings liegt dem ein anderes Geschäftsmodell zugrunde. Dessen Kosten sind sozusagen auf die Nutzerinnen und Nutzer externalisiert. Die Kontrollinteressen konzentrieren sich hier auf die Sammlung und Verwertung von Kommunikationsprofilen und sonstiger privater Daten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Als Fazit bleibt: Die Kolonisierung des Netzes durch die Wirtschaft verwandelt das Internet zunehmend in einen Kontrollraum. Kommunikation und Information als ein Geschäft entwickeln sich zur Bedrohung von Gleichheit und Freiheit im Netz. Um ausufernden Kontroll- und Verwertungsinteressen Einhalt zu gebieten, bedarf es einer Revitalisierung und Zurückgewinnung des öffentlichen Raums Internet. Dies wird angesichts eines globalen Informationsraums nicht über eine Wiederherstellung überlieferter Formen von Staatseigentum funktionieren. Vielmehr bedarf es zur Sicherung individueller Rechte einer Verbindung von öffentlichen Eigentum – insbesondere in Form eines Zugangs zur Netzinfrastruktur für alle – mit neuen Formen von Transparenz für und Kontrolle durch die Öffentlichkeit.
[Siehe zum Thema auch: Netzneutralität light]
Es gibt Länder – wie zum Beispiel – Island, die den Zugang zum Netz als Bürgerrecht in ihrer Verfassung stehen haben! Dort findet man auch eine ganz andere Form der Nutzung des Internet wieder. Alle Vorgänge des öffentlichen und privaten Lebens gehen mit hilfe des Netzes über die Bühne, wobei keiner der Nutzer dabei Angst um seine persönlichen Daten hat. Ich finde, Island sollte als Vorbild für die wahren Möglichkeiten, die im Netz liegen, dienen, da dort die Freiheit und Gleichheit gegeben ist.
Die Vorteile des Internets sind sicher jedem unter uns bewusst. Doch möchte ich anmerken, dass die Digitalisierung aller schutzbedürftigen Daten über das Netz hohe Risiken birgt. Ich denke, dass wir genau diese Freiheit – von der Sie sprechen, Tanja – nur durch eine gewisse Zensur erreichen können. Apple versucht dies durch die Einschränkung der Apps. Nicht umsonst spricht man hinter vorgehaltener Hand schon von der Iran-Version. Grund dieser Selektion ist doch der Gedanke des Allgemeinwohls und zum Schutz der Nutzer. Wobei ich natürlich zugeben muss, dass ich mich ungern von Herrn Jobs bevormunden lasse…
[…] [Siehe zum Thema auch: Niemand hat die Absicht, eine Zensurinfrastruktur zu errichten … – Kontroll- und Verwertungsinte…] […]