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Schluss mit Algotrading?

Morgen will der Bundestag in 2. und 3. Lesung das Hochfrequenzhandelsgesetz beschließen. Während der Handel auf den Aktienmärkten traditionellerweise von Händlern betrieben wurde, die Kaufs- und Verkaufsaufträge zunächst per Zuruf, später per Mausklick zur Ausführung brachten, sind mittlerweile große Teile des Börsenhandels automatisiert. Im Rahmen des so genannten Algo-Tradings, des Hochfrequenzhandels (High Frequency Trading – HFT), sind es Computer, die auf der Grundlage von Algorithmen „Entscheidungen“ über Käufe und Verkäufe von Aktien treffen. Schätzungen zufolge gehen etwa 60 Prozent der Umsätze an der deutschen Xetra-Börse auf den Hochgeschwindigkeitshandel zurück. Der hohe Anteil des Algo-Tradings am Gesamthandel wird als eine Gefahr für die Stabilität der Aktienmärkte gesehen. Einer im April 2010 veröffentlichten Befragung des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge vermuten 68 Prozent der Finanzmarktexperten einen negativen bis sehr negativen Einfluss auf die Stabilität der Finanzmärkte (vgl. ZEW Finanzmarktreport 18. Jg. April 2010, S. 3).

Wie Algo-Trading funktioniert, haben Sal L. Arnuk und Joseph Saluzzi im Dezember 2008 in einem vielbeachteten Whitepaper erklärt. Institutionelle Anleger, etwa Fonds oder Banken, kaufen oder verkaufen, wenn sie Investitionsentscheidungen treffen, typischerweise nicht nur eine Handvoll Aktien, sondern große Volumina. Händler geben diese Aufträge in ein automatisiertes Handelssystem ein. Um eine Order erfolgreich und möglichst günstig ausführen zu können, wird sie in mehrere kleine Teile aufgesplittet. Solche Orders sind daran zu erkennen, dass sie typischerweise Volumina von 100 oder 500 Stück umfassen. Wenn also ein Handelssystem von einem institutionellen Anleger den Auftrag erhält, eine große Menge Aktien zu einem Preis von bis zu 20,05 Euro zu erwerben, platziert dieses möglicherweise zunächst eine Kauforder für nur 100 Aktien. Gelingt es, diese zu einem Stückpreis von 20,00 Euro zu erwerben, so platziert das System als nächstes eine Kauforder für 500 Stück. Ein Hochgeschwindigkeitsrechner kann hieran automatisch erkennen, dass es sich um einen großen Kaufauftrag eines institutionellen Anlegers handelt, der „scheibchenweise“ ausgeführt werden soll. Bevor der Investor damit fortfahren kann, platziert der Hochgeschwindigkeitsrechner ein Kaufangebot für 100 Stück zum Preis von 20,01 Euro. Da er kurzfristig mehr bietet als der institutionelle Anleger, werden die Verkäufer die Aktien an ihn verkaufen statt an jenen. Geschieht dies, platziert der HFT-Algorithmus als nächstes ein Verkaufsangebot zum Preis von 20,01 Euro und verkauft die Aktien an den institutionellen Investor weiter. Dieser hat also einen Cent pro Aktie mehr gezahlt als er ohne Zutun des HFT-Algorithmus hätte zahlen müssen, während der HFT-Algorithmus zum gleichen Preis gekauft und verkauft hat. Er hat trotzdem einen Gewinn gemacht, weil der Handelsplatz, der an jeder Transaktion Gebühren verdient, ihm einen Rabatt von beispielsweise 0,25 Cent gewährt.

Als besonders problematisch gilt der so genannte Raubtieralgorithmus. Dabei nutzt der HFT-Algorithmus die oben beschriebene Methode, um eine Order als die eines institutionellen Anlegers zu identifizieren. Unter Ausnutzung seines Liquiditätsrabatts treibt er den Preis schrittweise in die Höhe, bis er das vom institutionellen Anleger gesetzte Limit erreicht hat. Zu diesem Preis vollzieht er dann einen Leerverkauf, im Wissen, dass der Kurs mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder fallen wird. Sobald dies geschieht, tätigt er einen Rückkauf („covern“). Innerhalb weniger Sekunden können auf diese Weise starke Kursschwankungen entstehen.

Eine weitere beachtenswerte Tradingmethode im HFT ist das Pinging. Es beruht auf der Immediate-or-Cancel-Auftragsart, also der Möglichkeit, Orders zu platzieren und sie, so sie nicht ausgeführt werden, sofort wieder zu annulieren. Die HFT-Algorithmen können dies im Bruchteil von Sekunden vollziehen. So sind sie in der Lage, versteckte Limits institutioneller Anleger auszutesten. Ein institutioneller Anleger ist beispielsweise bereit, Aktien zu einem Preis von bis zu 20,03 Euro zu erwerben, bietet jedoch zunächst nur 20,00 Euro. Der HFT-Algorithmus identifiziert diese Order nach der eingangs beschriebenen Methode als die eines institutionellen Anlegers. Alsdann platziert er eine Verkaufsorder zum Preis von beispielsweise 20,05 Euro. Da kein Verkauf zustande kommt, cancelt er die Order und platziert als nächstes ein Verkaufsangebot von 20,04 Euro. Wiederum erfolgt keine Reaktion. Der Algorithmus geht auf 20,03 Euro, und diesmal wird die Order ausgeführt. Der HFT-Algorithmus kennt nun das Oberlimit des institutionellen Anlegers. Er wendet sich nun wieder dem Markt zu und überbietet dort den institutionellen Anleger um einen Cent, kauft also für 20,01 Euro weitere Aktien auf, um sie dem institutionellen Anleger für 20,03 Euro weiterzuverkaufen.

DIE LINKE hat in der Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft drei Empfehlungen zur Eindämmung solcher Praktiken ausgesprochen:

  • Steigerung der Transparenz: Die Funktionsweise privatwirtschaftlicher Algorithmen, die von Handelsfirmen für den computergestützten Hochgeschwindigkeitshandel eingesetzt werden sollte von der Börsenaufsicht kontrolliert und ggf. vom Gesetzgeber reguliert werden.
  • Abschaffung des Maker-Taker-Modells: HFT-Algorithmen können aufgrund von hohen Rabatten, die ihnen die Handelshäuser einräumen, zum selben Preis kaufen und verkaufen und trotzdem Gewinn machen. Dies hat insbesondere bei den meistgehandelten Aktien zu einem Anstieg im Handelsvolumen geführt. Der Eindruck eines gesunden, liquiden Marktes ist jedoch trügerisch und führt an den Börsen zum vermeintlich werterhaltenden Rückzug von institutionelle Anlegern und Privatkunden. Das Maker/Taker-Modell sollte durch eine feste Gebühr pro Trade ersetzt werden, unabhängig davon, ob dem Markt Liquidität zur Verfügung gestellt oder entzogen wird.
  • Order Cancellation Fee/Minimum order life: Mehr als 90 Prozent aller Order werden vor Ausführung gecancelt (siehe hier). Es sollte entweder für das Annulieren einer Order eine Gebühr erhoben werden, oder es sollte einen „Mindestlebenszeit“ von einer Sekunde für Orders eingeführt werden.

Zumindest auf den ersten Punkt ist die Bundesregierung jetzt eingegangen. Ihrem Entwurf zufolge (Bundestagsdrucksache 17/11631) kann die Börsenaufsicht „von den Handelsteilnehmern, die den algorithmischen Handel im Sinne des § 33 Absatz 1a Satz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes betreiben, jederzeit Informationen über ihren algorithmischen Handel, die für diesen Handel eingesetzten Systeme sowie eine Beschreibung der algorithmischen Handelsstrategien und der Einzelheiten zu den Handelsparametern oder Handelsobergrenzen, denen das System unterliegt, verlangen.“ In der Enquetekommission war dies noch höchst umstritten gewesen. Eine Aufsicht über privatwirtschaftliche Algorithmen hatten insbesondere Vertreter der Koalition für völlig abwegig erklärt.

Auch Mindesthaltefristen pro Order konnten sich seinerzeit weder die Koalition noch die Opposition vorstellen. In dieser Hinsicht ist immerhin einiges in Bewegung gekommen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme ausdrücklich gefordert, die Einführung von Mindesthaltefristen zu prüfen. Im Europaparlament ist man noch einen Schritt weiter: Dort forderte der Wirtschaftsausschuss Mindesthaltefristen von 500 ms pro Order, eine Position, die auch von den CSU-Finanzexperten unterstützt wurde. Und die SPD hat einen Entschließungsantrag eingebracht, indem sie unter anderem fordert,

  • durch die Einführung einer Mindestverweildauer sicherzustellen, dass alle Aufträge von Handelsteilnehmern, die in das System eingegeben werden, für eine bestimmte Dauer gültig sind und während dieses Zeitraums nicht storniert oder geändert werden können

[…]

  • sicherzustellen, dass alle auf Algorithmen basierende Handelsgeschäfte unter eine angemessene Besteuerung für Finanztransaktionen fallen.

Das ist auch seit Langem eine Forderung der LINKEN, die freilich alle Finanztransaktionen einer solchen Besteuerung unterwerfen möchte. Die Finanzmärkte sind heutzutage die Leitwirtschaft: Von ihr hängen alle sonstigen Märkte ab, bis hin zum Arbeitsmarkt. Dass ausgerechnet, wo der größte Teil der Wertschöpfung betrieben wird, am wenigsten an die Gesellschaft zurückgegeben wird, ist nicht hinnehmbar.

Es steht allerdings zu vermuten, dass die Mehrheit im Bundestag das wieder einmal anders sehen wird.

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