DIGITALE LINKE
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Die verschlungenen Wege der Piraten

Anlässlich der letzten Kontakte von führenden Mitgliedern der Piratenpartei zur rechtsintellektuellen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (siehe dazu hier und hier) und einem deutlich vernehmbaren Umarmungsversuch durch Frank Schirrmacher in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 20. September 2009 stellt sich mehr und mehr die Frage nach der politischen Substanz der Piraten.

Die selbsterklärte Bescheidenheit, in Form einer losen Ansammlung von Netzaktivisten einzig als Ein-Zwei-Themen-Bewegung zur Netz- und Patentfreiheit wahrgenommen zu werden, ist mittlerweile ein wohl kalkuliertes Programm. Immerhin schreibt Schirrmacher eindeutig, dass „die Fragen, die aus Verhaltenssteuerung und Voraussage sich ergeben, aber auch die Abhängigkeit des modernen Menschen von unverstandenen Algorithmen (…) Kernfragen der gesellschaftlichen Zukunft (sind).“ Das Hauptaugenmerk sollte hier auf „unverstanden“ liegen. Undurchsichtigkeit lässt sich durch technische Machbarkeit regulieren, wobei es dann politische Anschlüsse an Techniktheorien der konservativen Revolution geben kann oder geben sollte (laut Schirrmacher: „Kern der ersten digital-sozialen Bewegung“). Schließlich ist das Wissen um hochspezialisierte Netztechnik, das vielen anderen funktionell verschlossen bleiben muss, ein gravierender Machtfaktor.

Da die politischen Grundlagen der Piraten bewusst diffus gehalten sind, können hier nur wenige Punkte aufgezählt werden:

  • Anwendung der Freigeld- und Freilandtheorie von Silvio Gesell auf den Netzraum unter geflissentlicher Unterschlagung, dass Gesells Auffassungen nur Laborcharakter haben, weil sie Geld und Land unter den Bedingungen des Kapitals nicht als gesellschaftliche Verhältnisse begreifen. Das Netz selbst ist aber auch ein gesellschaftliches Verhältnis, was bereits an dessen hochgradig umkämpftem ökonomischen Stellenwert zu erkennen ist.
  • Übernahme der technokratischen Theorien von medialer Mobilmachung und Neoformalismus aus der neueren Theoriebildung der traditionellen audiovisuellen Medien (Film und Fernsehen), die von einer Ideologiekritik völlig absehen und die Eigendynamik der Medien als einzigen Entwicklungsfaktor der medialen Durchdringung des Sozialen betrachten. Der Taufpate des Mobilmachungsparadigmas war Ernst Jünger, der die Technikdominanz in der Gesellschaft als unausweichliche und hinzunehmende Triebfeder des gesellschaftlichen Fortkommens ansah.
  • Aus der Not der Technikkritik von Siegfried Giedion oder Günther Anders, einfach den Netzstecker zu ziehen, wird die Tugend, überall neue Stecker einzustöpseln und dann darauf zu warten, dass die elektronische Gesamtvernetzung die Netzfreiheit von selbst schaffen könnte. Auch hier gilt: Je mehr Technik, desto größere Freiheit. Eine Netzanbindung an kollektive Gemeinschaften soll gar nicht mehr stattfinden.

Faktisch ist damit der „Non Emotionally Responding Dude“ mit der Bindungsfähigkeit eines Steppenwolfs zur Zielperson der Befreiung geworden. Ein fataler Irrtum, der Vereinzelung als Idealzustand preist und innere Freiheit von sozialer trennt. Man müsste viel eher über Tendenzen zur Reterritorialisierung, Aufspaltung und Ökonomisierung des Netzes reden – und darüber, dass das Internet als neuer Akkumulationsmotor für momentan nicht investierbares Kapital erschlossen wird. Doch darüber hört man von den Piraten nichts.

Der Verfasser ist Kulturwissenschaftler und Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten der LINKEN.

Ein Kommentar zu “Die verschlungenen Wege der Piraten”

  1. […] Potenziale entlocken könnte. Die Piraten sind an dieser Aufgabe leider komplett gescheitert. Der bloße Verweis auf die Freiheit lässt jeden Widerspruch außen vor. Er bedeutet alles und […]