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Netzneutralität light

Hubertus Gersdorf, Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages, hat auf Carta einen – so seine Formulierung – ersten Aufschlag zur Debatte über Netzneutralität vorgelegt. Er schlägt vor, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Regulierung des Rundfunks- und Telekommunikationsbereichs heranzuziehen, um das Rad nicht neu erfinden zu müssen, wenn es darum geht, eine notwendige Balance zwischen den legitimen Interessen der Netzbetreiber einerseits und den berechtigten Belangen der Nutzer sowie Dienstanbieter andererseits herzustellen.

Dazu zieht er die Plattformregulierung der Bundesländer im Rundfunkstaatsvertrag (§§ 52ff. RStV), die Transparenzanforderungen der Universaldienstrichtlinie (Art. 20 Abs, 1 b, Art. 21 Abs, 3 c,d Richtlinie 2009/136/EG) im EU-Rechtsrahmen sowie die Bestimmungen zu beträchtlicher Marktmacht im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes (§ 40 TKG) des Bundes heran. In erstgenanntem Fall sieht er – in Frageform gegossen – durchaus positive Ansätze in den Must-Carry-Vorschriften sowie dem Verbot der eigenmächtigen Veränderung und Vermarktung von Inhalten durch Netzbetreiber. Aus der Betrachtung der beiden anderen Fälle gewinnt er die Quintessenz:

Es gibt gute Gründe, diesen asymmetrischen, nur Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht erfassenden Regulierungsansatz zum Leitprinzip einer möglichen Netzneutralitätsregulierung zu machen. Aber um nicht falsch verstanden zu werden: Das gilt nicht für die Blockade missliebiger Inhalte durch einen Netzbetreiber. Dieses Verbot gilt absolut und für jeden Netzbetreiber. Der Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit genießt nach unserer Verfassung einen herausragenden Stellenwert.

Gersdorf plädiert demnach für eine nur niedrigschwellige Regulierung: für Netzneutralität light sozusagen. Dabei gilt unbenommen, dass die genannten Regulierungsbestimmungen bei der Betrachtung des Problemfelds Netzneutralität heranzuziehen sind. Doch stellen sich Fragen nach der Tragweite eines solchen Unterfangens. Sollte das Internet tatsächlich nach dem Vorbild des – zugespitzt gesagt – deutschen Kabelfernsehens reguliert werden? Sind Verpflichtungsauflagen nach Marktmacht auf der Ebene nationaler Telefonie (Call-by-Call, Preselection) auf ein weltweites Medium sinnvoll zu übertragen? Können erhöhte Transparenzanforderungen zur internationalen Bewahrung von Netzneutralität praktikabel herangezogen werden?

Gersdorfs Blick scheint hier in Bezug auf die globale Spannweite des Problemfelds verengt. Zur Erläuterung ein Beispiel: Eine P2P-Drosselung durch Netzbetreiber oder Internet Service Provider diskriminiert sowohl Anbieter als auch Nutzer von P2P-Diensten. Erhöhte Transparenzanforderungen – z.B. in Form von Mitteilungen, welche Dienste priorisiert, welche gedrosselt werden – würden zwar dem (angenommen) deutschen Nutzer Aufschluss darüber geben, weshalb er ein (angenommen) koreanisches P2P-Game nicht oder nur unzulänglich nutzen kann. Er könnte im besten Fall den Zugangsanbieter wechseln.

Doch wäre dem koreanischen Spieleanbieter damit kaum geholfen. Letzterem verbliebe allenfalls die Möglichkeit, die Markteintrittsbarrieren nach den je asymmetrischen, nationalstaatlichen Rechts- oder Wettbewerbsbedingungen zu sondieren. Eine Differenzierung von Netzneutralitätsanforderungen nach Marktmacht würde die Unübersichtlichkeit in den Wettbewerbsbeschränkungen für Inhalteanbieter nicht abbauen, sondern noch um ein Vielfaches erhöhen.

Etwas anderes gälte im Falle einer harten, rein technologischen Regulierung. Allerdings müsste dazu das Telekommunikations- und Medienrecht systematisch von einem Betreiberrecht hin zu einem Nutzerrecht ausgebaut werden. Im Rahmen des europäischen Rechts und dessen respektiven Umsetzung in nationales Recht wäre dies über eine Erweiterung der EU-Universaldienstrichtlinie denkbar. Rainer Fischbach hat dazu im Unterausschuss Neue Medien bereits im Dezember 2008 Vorschläge unterbreitet. (Siehe: Next Generation Networks und Netzneutralität: eine regulatorische Herausforderung, S. 9f.)

[Nachtrag:]

Fischbach fordert die Erweiterung der Universaldienstrichtlinie

1. um den Anspruch auf die Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung im Internet (Publikation von Inhalt und Anwendungen);

2. um einen Anspruch auf eine Mindestbandbreite des Netzanschlusses, die Echtzeit-Multimedia-Anwendungen zulässt (≥ 4 Mbit/s)

3. um nach Diensten differenzierte QoS-Normen für beliebige End-to-end-Verbindungen innerhalb Europas;

4. die Verpflichtung zur Entwicklung einer Metrik und zum Aufbau einer Organisation zur Überwachung dieser Normen durch die Regulierungsbehörden bzw. die Bundesnetzagentur;

5. die Verpflichtung der Netzbetreiber, eine offene Schnittstelle für QoS-Anforderungen bereitzustellen (z.B. durch eine Erweiterung der Socket-API)

6. die Verpflichtung der Netzbetreiber, regelmäßig über den Ausbau ihrer Netze zu berichten;

7. ergänzt um ein Verbot der vertikalen Integration von Inhalts- bzw. Dienstanbietern und Netzbetreibern

2 Kommentare zu “Netzneutralität light”

  1. […] [Siehe zum Thema auch: Netzneutralität light] […]

  2. […] Netz durch erhöhte Transparenzanforderungen gerade nicht aufgehoben, sondern erhöht werden, war hier bereits Thema. Welche Auswirkungen erhöhte Transparenzanforderungen im Sinne des Wettbewerbs auf […]