Im Folgenden werden die Ergebnisse einer deskriptiv statistischen Auswertung über Art, Umfang und Entwicklung der strategischen Fernmeldeüberwachung nach § 5 Artikel 10-Gesetz (G 10) durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für den Zeitraum 2001–2011 vorgelegt. Diese betrifft die Überwachung von internationalen Telekommunikationsverkehren, die von oder nach Deutschland geführt werden.
Nicht erfasst sind folglich die strategischen Kontrollen der Telekommunikation gemäß § 8 G 10. Hierbei handelt es sich um sogenannte Individualmaßnahmen des BND, die bei Gefahr für Leib oder Leben einer Person im Ausland – z.B. in Entführungsfällen – angeordnet werden können. Darüber hinaus ist der BND gemäß § 3 G 10 zu Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses in Einzelfällen befugt. Sie sind gegen einzelne Verdächtige sowie Umfeldpersonen und Vereinigungen gerichtet und hier ebenfalls nicht erfasst.
Ebenfalls nicht erfasst ist die strategische Überwachung der Ausland-Ausland-Telekommunikation – sprich: von Telekommunikationsverkehren, die ihren Ausgangs- und Endpunkt im Ausland haben. Zahlen zum Umfang dieser nicht den Regularien des G 10 unterliegenden Überwachung des Auslands sind nicht bekannt. Hierzu zählen beispielsweise jene 500 Millionen Metadaten, die laut Presseberichten allein im Dezember 2012 an die National Security Agency (NSA) weitergegeben wurden, und nach der Erklärung von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) vom 19. August 2013 der Auslandsaufklärung des BND in Bad Aibling und in Afghanistan entstammen.
Strategische Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses nach § 5 G 10 dürfen auf Antrag des BND für internationale Telekommunikationsbeziehungen angeordnet werden, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt. Gebündelt meint Übertragungswege via Lichtwellenleiter, Koaxialkabel, Satellit oder Richtfunk. Richtfunkverkehre zur Übertragung internationaler Telekommunikation allerdings spielten nach Angaben der Bundesregierung (BT-Drs. 14/5655) bereits vor mehr als zehn Jahren in Europa keine Rolle mehr. Auch Satellitenverbindungen werden diesen Angaben zufolge zunehmend weniger genutzt. Der Fokus der Überwachungsmaßnahmen dürfte demzufolge heute auf Lichtwellen- und Koaxialkabel konzentriert sein.
Konkret erfolgt die Überwachung mittels vom BND vorgeschlagener und von der G 10-Kommission genehmigter Suchbegriffe. Sie sind sowohl formaler – z.B. Telefonnummern und E-Mail-Adressen – als auch inhaltlicher Art. Erstere sollen so ausgestaltet sein, dass deutsche Staatsbürger nicht gezielt erfasst werden. Letztere beinhalten beispielsweise Bezeichnungen aus der Waffentechnik oder Namen von Chemikalien, aber auch „gängige und mit dem aktuellen Zeitgeschehen einhergehende Begriffe“ (BT-Drs. 17/8639).
Zudem sind in der Überwachungsanordnung die Gebiete zu benennen, über die Informationen gesammelt werden sollen, sowie die Übertragungswege zu bezeichnen. Die Anordnung muss angeben, so die Bundesregierung, „welche konkreten Satellitenverbindungen und welche konkreten internationalen Kabelverbindungen Gegenstand der Maßnahme sein sollen“ (BT-Drs. 17/5655). Ferner ist festzulegen, welcher Anteil der auf den gewählten Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. Es gilt eine – auf sie wird noch zurückzukommen sein – 20%-Kapazitätsgrenze. Sodann werden die Telekommunikationsverkehre auf die Verwendung der Suchbegriffe hin elektronisch gescannt. Im Ergebnis ergibt sich eine verdachtslose Rasterfahndung.
Die Auswertung, hier in einer detaillierteren pdf-Version, erfolgte auf Basis der jährlichen, öffentlich zugänglichen Unterrichtungen des für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr). Diese Unterrichtungen sind immer gleich gehalten und je für sich von wenig Aussagekraft. In der Zusammenstellung über einen Zehn-Jahres-Zeitraum – die Unterrichtung für das Jahr 2012 steht noch aus – lassen sich jedoch Muster erkennen. Datengrundlage dazu bilden die „erfassten“ und „relevanten“ Treffer: Erstere sind mittels Suchbegriffen qualifizierte Treffer aus der geheimgehaltenen Menge der insgesamt überwachten Telekommunikationsverkehre, letztere bezeichnen nachrichtendienstlich relevante Meldungen aus der Menge der erfassten Treffer. Zudem wird unter „Relation“ jeweils das Verhältnis von relevanten Treffern zu erfassten Treffern subsumiert. Sie kann als Maß der Effizienz gelesen werden – je kleiner der Wert, desto geringer die Effizienz.
In der Zusammenstellung deutlich auszumachen sind drei Technologiephasen mit zwei Switch-Punkten (Technologieübergängen). Hierunter sind – mangels weiterer, vorliegender Informationen – sowohl ein Austausch von Hard- und Software als auch eine bessere Konfiguration von Hard- und Software in dem Sinne zu verstehen, dass sich alle drei Parameter (erfasste Treffer, relevante Treffer, Effizienz) signifikant verändern. Der erste Übergangspunkt datiert mit Beginn des 2. Halbjahrs 2004 (die Halbjahreserfassung ist hier einer durch das PKGr vorgenommenen Änderung in der Datierung der Berichtszeiträume geschuldet), der zweite mit Beginn des Jahres 2007. Bekräftigt wird dieser Befund auch durch eine in den Unterrichtungen für den Zeitabschnitt 07/2004 – 12/2006 gesondert aufgeführte, zwischengeschaltete Kategorie Weitergabe an die Auswertung.
Von Technologie- zu Technologiephase ist jeweils eine signifikante Zunahme in der Menge der erfassten Treffer, eine signifikante Abnahme in der Menge der relevanten Treffer sowie ein signifikantes Sinken der Effizienzrelation festzustellen. Bezogen auf letzteres ist allerdings nicht die Tatsache an sich bezeichnend. Denn es liegt auf der Hand, dass mit einer Zunahme der erfassten Telekommunikationsverkehre nicht eine proportionale Zunahme der relevanten Telekommunikationsverkehre zu erwarten steht. Vielmehr ist es das Maß ihres Sinkens, das gleichsam in der korrespondierenden Abnahme in der Anzahl der relevanten Treffer zum Ausdruck kommt. Dieser Befund gilt darüber hinaus für den Zehn-Jahres-Zeitraum generell: In der Gesamtheit ist eine sinkende Trefferrelevanz bei stark steigender Netzüberwachung zu verzeichnen.
Wird die Effizienzrelation gesondert betrachtet, so ist ein kontinuierliches Sinken zu konstatieren mit lediglich zwei Ausnahmen: Es sind dies die Berichtszeiträume 2008 und 2011. Ein Vergleich beider Zeiträume zeigt zunächst, dass die Diagnose, steigende Treffererfassung korrespondiert mit sinkender Trefferrelevanz, auch hier gilt. Darüber hinaus ergibt sich für 2011 eine Besonderheit. Der auffallende Rückgang in der Zahl der erfassten Treffer erfolgte in Reaktion auf den Negativrekord in der Telekommunikationsüberwachung des Vorjahres – wir berichteten –, der auch in den Medien einen breiteren Widerhall fand und vom BND mit einer Spamwelle im Jahre 2010 zu erklären versucht wurde.
Entsprechend erläuterte das Parlamentarische Kontrollgremium in der Unterrichtung über den Berichtszeitraum 2011, dass der BND das von ihm angewandte automatisierte Selektionsverfahren optimiert habe. Dazu hätten „eine verbesserte Spamerkennung und -filterung, eine optimierte Konfiguration der Filter- und Selektionssysteme und eine damit verbundene Konzentration auf formale Suchbegriffe in der ersten Selektionsstufe beigetragen“ (BT-Drs. 17/12773). Die Begrifflichkeiten „Konfiguration der Filter- und Selektionssysteme“ und „erste Selektionsstufe“ lassen aufhorchen. Wird die Konfiguration der Software derart geändert, dass die Filter- und Selektionsalgorithmen nicht länger Treffer auf Basis einzelner Suchbegriffe generieren, sondern in sequenzieller Verarbeitung, ändert sich natürlich die Zahlengrundlage. Die Anzahl der erfassten Treffer würde heruntergerechnet.
Das legt ebenfalls ein Vergleich der Anzahl der Suchbegriffe – diese werden erstmals in den Unterrichtungen für die Berichtszeiträume 2010 (BT-Drs. 17/8639) und 2011 (BT-Drs. 17/12773) ausgewiesen – nahe. Sie nahm keineswegs ab. Im Gegenteil: Waren es im Jahr 2010 im jährlichen Durchschnitt noch 15.267 (1. Halbj.: 15.100, 2. Halbj. 15.433) Suchbegriffe, so stieg deren Zahl im Jahr 2011 auf 15.530 (1. Halbj.: 15.319, 2. Halbj.: 15.740). Ein weiteres Indiz demnach, dass in 2011 die zuvor bestehende Zahlengrundlage verlassen wurde, vormals als erfasste Treffer registrierte Meldungen in der Statistik nicht mehr mitgezählt wurden. Diesem naheliegenden Gedanken jedoch wollte sich offenbar weder die G 10-Kommission stellen noch das Parlamentarische Kontrollgremium.
tl;dr
Der BND weitet die Überwachung der Netzkommunikation von und nach Deutschland beständig aus, findet gleichzeitig aber immer weniger nachrichtendienstlich relevante Treffer; kontrolliert wird sein Treiben nicht wirklich.
Teil II: Zahlen außer Kontrolle
Teil III: 20 Prozent von allem
Teil IV: Kontrolliert von Juristen
[…] Teil I: Sinkende Trefferrelevanz bei stark steigender Netzüberwachung […]
[…] – betrug etwa 99 Prozent. Schon damals galt demnach, was eingangs für den Zeitraum 2001–2011 (Teil I) insgesamt festgestellt wurde: Ein Mehr an Überwachung führt nicht zu einem Mehr an […]
[…] Teil I: Sinkende Trefferrelevanz bei stark steigender Netzüberwachung […]
[…] zur Überwachung der Inland-Ausland-Kommunikation nach dem G 10-Gesetz (zum Verfahren Näheres hier), ist tatsächlich aber an ganz anderen Verkehren interessiert. Der Zeuge nannte letztere […]