DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Neuer Klassenkampf?

Jürgen Altwegg, der bereits 1996 Paul Virilio zum Cyberfaschismus befragte, analysiert in der FAZ die aktuelle Debatte um das Internet in Frankreich. Grundthese: Auch die linken Intellektuellen hätten sich auf die Seite der Regierung geschlagen und befürworteten HADOPI, Urheberrechtsverschärfungen und Google-Steuer.

Sie sähen eher Beängstigendes, Raub „geistigen Eigentums“ und öffentliche Entblößung, als die Chance für etwas radikal Neues. Als Fürsprecher dieses Neuen tritt der Philosoph Michel Serres auf:

„Das Internet erleichtert uns das Leben“, schwärmt der achtzigjährige Michel Serres. In jungen Jahren hatte der Philosoph den Durchbruch des neuen Mediums Radio erlebt. Auch Serres kommt leicht ins Schwimmen, wenn er die Zukunft der vernetzten Gesellschaft beschreiben soll. „Ich bin nicht sicher, dass das Buch tot ist, aber jene, die es beweinen, erinnern mich an die Sorbonne-Professoren, die Lateinisch sprachen und den Buchdruck bekämpften, weil sie um ihre Macht fürchteten.“

Es sei eine neue Klasse, so der Artikel, die sich im Netz konstituiere. Eine Klasse, die kollektiv agiere und eine andere Art von politischem und kommunikativem Stil pflege. Auch das Medium Radio hat in seiner Entstehungszeit die Ideen von einer „Organisation der Ausgeschalteten“ (Brecht) beflügelt.

Frankreichs politische und intellektuelle Klasse hat Angst vor den Bloggern und Kampagnen im Netz, in dem ein Dritter Stand der Debattenkultur die Macht zu übernehmen droht.

Die Frage ist, ob die Debattenkultur das entscheidende Problem dieser Kulturrevolution ist. Ist gerade die Debattenkultur nicht anders und besser als die Bleiwüsten in den Feuilletons der Zeitungen und Zeitschriften. Lässt sie nicht die direkte Reaktion und Antwort von Leserinnen und Lesern, den Verweis auf den parallelen Gedanken und die Erweiterung um Bild und Ton zu?

Die Debattenkultur für etwas Neues ist da. Was fehlt, auch bei Jürgen Altwegg, ist die Idee für einen politischen Konsensus und für verbindliche Organisationsstrukturen, die der technologischen Revolution ihre emanzipatorischen Potenziale entlocken könnte. Die Piraten sind an dieser Aufgabe leider komplett gescheitert. Der bloße Verweis auf die Freiheit lässt jeden Widerspruch außen vor. Er bedeutet alles und nichts. Als politische Kategorie ohne zu Grunde liegendes Wertsystem ist er jedenfalls untauglich.

Zu organisieren ist vielmehr die kulturelle, vor allem jedoch die  sozioökonomische Daseinsberechtigung der Internetgeneration. Die Freiheit des Netzes ist eine notwendig zu erkämpfende, aber keine hinreichende Bedingung dafür. Ehemalige Pioniere wie Jaron Lanier oder auch Geert Lovink weisen zumindest auf die Probleme hin, bieten als Lösung jedoch lediglich Mikropayments an. Muss nicht Makro gedacht werden?

Ein Kommentar zu “Neuer Klassenkampf?”

  1. […] mehrerer Netzpioniere auf, darunter piratebay.org-Gründer Peter Sunde oder Jaron Lanier, von dem hier schon mal kurz die Rede […]