Die SPD hat es nicht leicht: Einerseits will sie eine überzeugende Opposition darstellen, andererseits will sie niemandem auf die Füße treten. Entsprechend kann sie in entscheidenden Fragen keine klare Haltung finden, sondern nur Kompromisse. Diese Profillosigkeit wird teils als pragmatischer Realismus verkauft, teils als Ergebnis besonders differenzierter Betrachtung, derer man alle für unfähig erklärt, die sich klarer positionieren.
So auch beim Thema Vorratsdatenspeicherung. „Als einzige Partei betrachtet die deutsche Sozialdemokratie die Vorratsdatenspeicherung differenziert, um die unveräußerlichen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu sichern, andererseits die Kriminalitätsbekämpfung für das 21. Jahrhundert zu rüsten“, heißt es im SPD-Musterantrag zum Thema, der seit ein paar Tagen für Furore im Netz sorgt. „Differenziert“ heißt aber nicht, dass man bei der SPD besonders genau hingeschaut hätte, sondern bloß, dass man sich auf die Behauptung geeinigt hat, die Wahrheit liege irgendwo in der Mitte. Das schreiben auch immer Journalisten, wenn sie sich nicht trauen, eine eigene Meinung zu vertreten, die Chefredakteur oder Lesern missfallen könnte.
Deshalb war es eigentlich ein kluger Schachzug, sich zur Steigerung der netzpolitischen Street Credibility den Bürgerrechtler Alvar Freude an Land zu ziehen. Freude, bekannt vom AK Zensur, sitzt nicht nur für die SPD in der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“, sondern mischt auch seit geraumer Zeit in deren Arbeitskreis Netzpolitik mit. Inzwischen nimmt die netzpolitische Bürgerrechtsbewegung jedoch mit einiger Enttäuschung zur Kenntnis, dass diese Stellvertretung ihrem Anliegen wenig genützt hat. Auch Freude befürwortet mittlerweile die Vorratsdatenspeicherung light.
Die Personalie droht derzeit die inhaltliche Auseinandersetzung um das Thema in den Hintergrund zu drängen. Daran ist nicht zuletzt die Polemik von Fefe schuld, der die SPD als „Verräterpartei“ ausgemacht und festgestellt hat, Freude habe sich „direkt voll verarschen lassen“. Der kontert: „wie soll man denn bitteschön Deiner Meinung nach in ein Gespräch mit Minister, LKA-Chef, Verfassungsschutz-Chefin und so weiter gehen? Zum Beispiel so: „Sie Verräter und Ihre Verräterpartei“ […] Ja klar, wenn man nichts erreichen will, kann man das so machen. Man kann es dann aber auch sein lassen […].“ Wie gesagt, die SPD hat es nicht leicht.
Doch zurück zum Inhaltlichen: Kann es beim Thema Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen Kompromiss geben? Differenziert (aber anders als die SPD) hat sich damit in den letzten Wochen vor allem der Fachjurist Thomas Stadler auseinandergesetzt. Er formuliert die zentralen Fragen so: „Wollen wir dem Staat erlauben, die Verbindungsdaten aller Bürger – und zwar ohne jeden konkreten Anlass – für längere Zeit zu speichern, damit er anschließend die Möglichkeit hat, diese Daten für strafrechtliche Ermittlungen zu benutzen? Oder wird damit vielmehr die Grenze zum Überwachungsstaat bereits überschritten?“
Die Antwort der SPD hierauf lautet: Ja, wir wollen es erlauben, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. So sollen lediglich IP-Adressen betroffen sein, nicht Mail- und Telefonverbindungsdaten, Mobilfunkdaten sollen ausgeschlossen werden, und es soll nur zur Bekämpfung schwerer Straftaten erlaubt werden. Was immer man davon halten mag, es ändert wenig an der grundsätzlichen Zustimmung zu einer anlasslosen Speicherung privater Verkehrsdaten auf Vorrat.
Wozu ist das überhaupt nötig? Haben die Ermittlungsbehörden ohne Vorratsdatenspeicherung keinerlei Möglichkeit zur Verbrechensbekämpfung? Stadler hat bereits vor längerer Zeit einen umfassenden Überblick über Ermittlungsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation und des Internets gegeben. Er reicht von der Überwachung und Aufzeichnung des Inhalts eines Telekommunikationsvorgangs (§100a StPO) über die Kontrolle/Sicherstellung des E-Mail-Verkehrs während der Zwischenspeicherung auf dem Mail-Server des Providers (§§94 ff. bzw. §99 StPO) bis hin zur Ermittlung von Rufnummern, von denen Verbindungen zu einem bekannten Anschluss hergestellt werden (§100g Abs. 1 StPO). Da viele Provider Daten auch ohne Vorratsdatenspeicherung bis zu drei Monaten lang speichern, kann häufig auch im Nachhinein noch ermittelt werden.
Es sei also keineswegs so, dass die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen eine conditio sine qua non der Ermittlung bei schweren Straftaten wäre, folgert Stadler. Im Gegenteil, IP-Adressen spielten im Bereich der Schwerstkriminalität praktisch keine Rolle. Den Hauptanwendungsfall für den Abgleich von IP-Adressen „bilden vielmehr Betrugsstraftaten, Urheberrechtsverletzungen und Äußerungsdelikte (Beleidigung, Verleumdung). Das ist auch naheliegend, wenn man sich die Frage stellt, welche Erkenntnisse man aus der Verknüpfung einer IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber gewinnen kann.“
Es hätte der SPD gut getan, wenn sie sich auf dieser sachlichen Ebene mit dem Thema auseinandergesetzt hätte. Dass sie sich stattdessen auf eine Balance zwischen Freiheitsrechten und Kriminalitätsbekämpfung herausredet, zeigt, dass eine gut geölte Konsensmaschine ihr wichtiger ist als politische Standfestigkeit.
DIE LINKE lehnt eine Vorratsdatenspeicherung ab, in welcher Variante auch immer, und fordert eine Rücknahme der entsprechenden EU-Richtlinie. Noch bis zum 6. Oktober läuft beim Deutschen Bundestag eine Online-Petition zum Thema.
Müsste es nicht „Betrugsstraftaten“ anstelle von „Berufsstraftaten“ heißen? 😉
Gruß
B.
Das war der Test. Und der Beweis, dass wir hier nicht nur mit Copy & Paste arbeiten. Aber ist jetzt geändert. Danke!
Ich danke für den Beitrag! Das meine ich ernst und das schreibe ich, obwohl ich Mitverfasser eben jenes Musterantrags bin. Denn: dieser Beitrag ist sachlich und bezieht sich auf Inhalte; leider findet man davon weniger in den letzten Tagen. Dennoch enthält er einige inhaltliche Ungenauigkeiten:
– Alvar Freude hat schon lange, eigentlich immer, die Speicherung von IP-Adressen nicht als Weltuntergang bezeichnet. Dies lässt sich u.a. in seinem Blog nachlesen.
– Zu den IP-Adressen: Dies ist ein Fehler den Thomas Stadler schreibt! Wir haben ihn mehrfach darauf hingewiesen. Es geht bei der Speicherung von IP-Adressen *nicht* um schwere Straftaten (das steht so auch nicht im Antrag!).
– Zu den jetzt schon vorgenommen Speicherung: Dies ist uns bewusst und genau das ist das Problem: Wir versuchen dies nun juristische zu begrenzen und festzulegen. Ebenso führen wir Richtervorbehalt, nachgelagerte Beauskunftung, Kostenübernahme und revisionssichere Protokollierung ein. Diese „Hürden“ schützen die Rechte des Einzelnen.
Es wird zu den ganzen Punkten aber auch noch einmal ein Beitrag von uns geben. Denn leider wurden wir in vielen Punkten (bewusst?) falsch verstanden. Aber wie schon zu Beginn gesagt, damit meine ich explizit nicht diesen Beitrag hier.
Glückauf!
@Henning Tillmann
Alvar Freude ist nicht der Übervater, der Guru, die einzige Stimme der deutsche Internetkommunity. Nur weil die SPD einen netzaffinen Menschen gefunden hat der ihre Ansichten teilt heisst das noch lange nicht, dass sonst auch noch jemand mit Verstand so denkt. Nur weil er persönlich etwas gut findet heisst das nicht, dass es o.k. ist.
Zu den IP Adressen, was wir bekommen werden sind viel mehr Honeypots (von der Polizeit betriebene Server auf denen zu kriminellen Dingen angestiftet wird) und Serverbeschlagnahmungen und mehr oder weniger legale Zugriffe in großen Rechenzentren.
Ob kritische Polizisten, kurdische Türken, kritische Iraner oder irgendwelche Leaker, wir werden sie alle finden. (Bildung einer kriminellen Vereinigung anyone?)
Nur nicht die pädophilen Priester und die korrupten Politiker, denn nach dem SPD Vorschlag dürfen die Daten von Geheimnisträgern nicht verwendet werden, was man natürlich erst dann merkt, wenn man die IP schon der Person zugeordnet hat. : )
Die jetzt schon bestehenden technisch begründeten Logs sind nicht das Problem. Genau so wie man eine gesetzliche Grundlage schaffen kann dass sie genutzt werden dürfen kann man auch eine gesetzliche Grundlage schaffen, dass sie eben nicht genutzt werden dürfen, es sei denn man glaubt die Polizei macht eh was sie will. Vor der VDS brauchte später durfte bei Flatrates gar nichts gelogged werden.
Die so toll vorgestellten Einschränkungen werden dann eh in der Diskussion mit der CDU mit etwas mehr BKA und BND gekippt.
Wenn die Verfassungsgerichte von Rumänien und Tschechien die VDS als Verfassungswidrig erklären können weil gegen den Artikel 8 der Menschenrechtskonvention und ausserdem ungeeignet, dann sollte man glauben die deutschen Sozialdemokraten hätten soviel Rückgrat sich auch dagegen zu stellen. Weit gefehtl So wie bei den Websperren steht die SPD wie schon so oft auf der falschen Seite.
Der größte Witz ist das die SPD noch bei Freiheit statt Angst Demonstration gegen die VDS mitlaufen möchte. http://spd-netzpolitik.de/berlin/freiheit-statt-angst-demonstration
Epic fail
Lieber Mike,
schade, da wurde doch gerade inhaltlich diskutiert und schon scheint es dir in den Fingern zu jucken.
Behauptet das irgendwer? Weitere Mitglieder des Gesprächskreis Netzpolitik übrigens hier: http://netzpolitik.vorwaerts.de/gesprachskreis-netzpolitik/
Zu den kruden Thesen über Verschwörungstheorien und Honeypots äußere ich mich nicht.
Auch wenn ich die Semantik des Satzes nur erahnen kann: Das stimmt so leider nicht, siehe Wiki des AK Vorrats. Schau dir an, wie lange z. B. die Telekom jetzt schon OHNE VDS aber MIT FLATRATES protokolliert. Unser Musterantrag würde die jetztige Praxis (sogar ohne den Vergleich mit 2005) deutlich beschränken.
Die SPD (bzw. einzelne Gliederungen) lief auch letztes Jahr dort mit. Dies wird sich dieses Jahr nicht ändern.
Herzlichst,
Henning
Aufgelesen und kommentiert 2011-09-04…
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Tja, was soll man dazu noch sagen? Der gläserne Bürger ist schon lange da und die Vorratsdatenspeicherung light ist da nur ein Zünglein an der Waage. Als Bürger hat man kaum eine Chance, sich zu wehren, denn die meisten gehen uninformiert zur Wahl und können dementsprechend solchen Parteien nicht viel entgegen setzen. Radikal wählen ist für viele auch keine Lösung und so lässt man sich auf die light Variante letzten Endes doch ein, leider.