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Über 775.000 Behinderte sollen ab 1. Januar erstmals Rundfunkgebühr bezahlen

In ihren ersten Hochrechnungen zum neuen Rundfunkbeitrag errechneten die öffentlich-rechtlichen Sender, dass die neu eingeführte Rundfunkgebühr für Behinderte ihnen ca. 42 Mio. Euro an Mehreinnahmen bringen wird.

Befreit sind bisher laut § 6 Rundfunkgebührenstaatsvertrag zum einen „blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung“ (Absatz 1, Nr. 7a) sowie „hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist“ (Absatz 1, Nr. 7b). Zum anderen sind „behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigsten 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können“, befreit (Absatz 1, Nr.8)

Laut aktuellem Entwurf des Staatsvertrages (§4, Absatz 1) ist dieser Personenkreis nicht mehr befreit. Statt dessen ist festgehalten, dass für diese die Rundfunkgebühr „auf ein Drittel“ ermäßigt wird (§4 Absatz 2). Damit verabschiedet man sich von einem weiteren Sozialstaatsprinzip. Dass die dabei herangezogene Begründung nicht trägt, wurde schon an anderer Stelle dargestellt.

Von der neuen Regelung sind nicht gerade wenige betroffen – auch wenn es sich wieder nur um eine Minderheit handelt.

Zum 31. Dezember 2009 stellt sich die Befreiungssituation für das Gebiet der einzelnen ARD-Anstalten laut Angaben der GEZ wie folgt dar:

  Befreiung nach
  § 6 Abs. 1, Nr. 7a und b § 6 Abs. 1, Nr. 8
Bayerischer Rundfunk 30.980 72.241
Hessischer Rundfunk 18.591 39.134
Mitteldeutscher Rundfunk 36.361 49.114
Norddeutscher Rundfunk 41.491 93.269
Radio Bremen 2.176 3.645
Rundfunk Berlin-Brandenburg 19.101 40.940
Saarländischer Rundfunk 2.934 5.822
Südwestrundfunk 35.041 76.335
Westdeutscher Rundfunk 41.504 166.767
ARD 228.179 547.267

Damit waren zum 31. Dezember 2009 genau 775.449 Gebührenzahler befreit. Diese sollen ab 1. Januar 2013 einen Drittel der Rundfunkgebühr bezahlen. Angenommen, die Rundfunkgebühr bleibt uns in der jetzigen Höhe erhalten, macht dies 5,99 Euro im Monat. Somit würde die GEZ Mehreinnahmen von 55,7 Mio. Euro pro Jahr verbuchen können.

Diese Mehreinnahmen von 55,7 Mio. Euro machen 7,3 Promille der bisherigen Gesamteinnahmen aus der Rundfunkgebühr aus und entsprechen 11 Fußball-WM-Spielen oder auch 5 Jahresscheiben für Talkshows à la Günther Jauch.

Im Gebiet der jeweiligen Anstalten käme es zu Mehreinnahmen von:

  • Bayrischer Rundfunk: 7,44 Mio. Euro
  • Hessischer Rundfunk: 4,14 Mio. Euro
  • Mitteldeutscher Rundfunk: 6,14 Mio. Euro
  • Norddeutscher Rundfunk: 9,68 Mio. Euro
  • Radio Bremen: 0,48 Mio. Euro
  • Rundfunk Berlin-Brandenburg: 4,31 Mio. Euro
  • Saarländischer Rundfunk: 0,63 Mio. Euro
  • Südwestrundfunk:   8,00 Mio. Euro
  • Westdeutscher Rundfunk: 14,97 Mio. Euro

Diese Mehreinnahmen fließen jedoch in den großen Topf der GEZ und werden dann durch die GEZ auf ARD, ZDF und Deutschlandradio verteilt. Die Zahlen machen zumindest eines deutlich: Die großen Anstalten profitieren insbesondere von diesen Mehreinnahmen. Denn mit 15 Mio. Euro kann man wesentlich mehr als mit 480.000 Euro machen. Wenn die Mehreinnahmen in diesen Relationen verteilt werden, dann wird der Unterschied zwischen den Sendern noch größer.

Sicher: „Damit kann die Finanzierung barrierefreier Angebote erleichtert werden“, wie es in der geplanten Protokollnotiz aller Bundesländer heißt. Doch angesichts der Vergangenheit ist eher fraglich, ob die Möglichkeit auch zur Wirklichkeit wird. Denn „kann“ heißt noch lange nicht „soll“ und schon gar nicht „muss“.

Dabei ist das Grundgesetz eindeutig. Im Artikel 3 wird festgestellt, dass alle Menschen „vor dem Gesetz gleich“ sind. Für die Sender mit ihren Angeboten galt dies bisher nicht. Dabei ist doch in Absatz 3 festgehalten: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Wenn man nun bestimmte Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nutzen kann, wird man benachteiligt. Dabei ist erst einmal unerheblich, ob man auch eine Rundfunkgebühr bezahlt. Schließlich war man vom Gesetzgeber über 50 Jahre lang davon befreit. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine der Demokratie „dienende“ Funktion. Er soll informieren, zu Bildung und Kultur beitragen, die öffentliche Meinungs- und Willensbildung befördern. Wenn Menschen mit Behinderungen seine Angebote nicht nutzen können, benachteiligt er diese doppelt. Er schließt sie nicht nur von seinen Angeboten aus, er behindert auch deren Möglichkeiten, genauso gut informiert wie Nicht-Behinderte an der Meinungs- und Willensbildung teilnehmen zu können.

3 Kommentare zu “Über 775.000 Behinderte sollen ab 1. Januar erstmals Rundfunkgebühr bezahlen”

  1. Norbert Nelte sagt:

    Ich habe MS undbin totsal gelähmt. Meine Rente reicht hinten und vorne nicht und dann mus ich den ganzen Tag, das ganze Jahr nur die Decke anschauen. Scheiße. Wofür soll ich dann noch leben? Um die Decke anzschauen? Das ist Mord.
    Betriebswirt Norbert Nelte

  2. […] mit einem GdB von 80 oder höher bislang von der Rundfunkgebühr befreit (als Nachteilsausgleich) soll sich das nun ändern – Menschen mit Behinderung, die die vorgenannten Kriterien erfüllen, sollen in Zukunft ein Drittel […]

  3. Von Anfang an mit dem Thema befasst kommen seltsame Töne auch aus den Parteien ans Tageslicht. Auch von sonst kritischen Politiksendungen z.B.- ja wenn es um die Kohle geht, da werden sie zu Hyänen, kann man da nur schreiben. Behinderte waren Jahrzehnte befreit. Nun ist sie eingeführt die Gebühr. Die seltsamsten Statements von Parteien, Behindertenorganisationen, Politikern etc. haben wir erhalten ! Und dann hören wir uns die Betroffenen an. Und dann wird klar, was hier abgegangen ist: Ganz unten hat es wieder Menschen getroffen. Menschen die die letzten Jahre am Stärksten von der „Krise“ betroffen waren. Argumentiert wird mit: Gleichbehandlung ( als gäbe es die auf anderen Gebieten schon – nur hier wo es um Kohle geht, wird sich daran erinnert ), mit Untertiteln, die man dadurch erhalten soll ( für wieviel Millionen ????? ). Das Ganze stinkt zum Himmel, das ist der Fakl ! Ekelerregend ist das, was sich hier doch so Einige geleistet haben !