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Völker hört die Signale: Online-Content, grenzüberschreitend

Die Europäische Kommission hat ein neues Grünbuch herausgegeben, in dem sie die urheberrechtlichen Probleme mit der europaweiten Lizenzierung von audiovisuellem Content aufreißt. Bis zum 18. November 2011 können Fachleute und sonstige Interessierte der Kommission Tipps geben, wie sie ihre Probleme am besten lösen kann.

Ganz neu sind die allerdings nicht: Online-Dienste, die europaweit agieren möchten, stoßen auf die typischen Probleme, die ein territoriales Rechtssystem mit sich bringt. Bekanntlich gibt es kein europäisches, geschweige denn ein weltweites Urheberrecht, sondern jeweils nationale Urheberrechtsgesetze, die nur unvollständig aufeinander abgestimmt sind. Wer beispielsweise einen Film in verschiedenen Ländern streamen will, muss die entsprechenden Lizenzen für jedes Land einzeln erwerben. Das wird umso schwieriger, als die Rechte nicht in allen Ländern gleich definiert sind bzw. die Urheber- und Leistungsschutzberechtigten in unterschiedlichen Ländern jeweils unterschiedliche Rechte haben, die zudem noch von unterschiedlichen Organisationen verwaltet werden. In der Praxis erweist sich die Rechteklärung als so kompliziert, dass die meisten Angebote national bleiben.

Das wiederum wurmt die  EU, die gern einen grenzüberschreitenden Markt hätte, die dafür nötige Harmonisierung aber nicht hinbekommt, weil es zu viele widerstreitende Interessen gibt. In zahlreichen Ländern halten beispielsweise nationale Verwertungsgesellschaften Monopole an bestimmten Rechten und wehren sich gegen eine europäische Vereinheitlichung. Zugleich stehen große Medienkonzerne auf dem Plan, die sich gut vorstellen könnten, die Rechteverwertung rein marktwirtschaftlich zu organisieren – im Zweifelsfall auch ohne eine angemessene Vergütung der Urheber. Gleichzeitig wächst der Druck seitens der privaten Nutzer, die es nicht mehr einsehen, warum sie zum Beispiel Fußballspiele nicht auch im Urlaub im Netz anschauen können.

Das Grünbuch ruft nun einige Fragen in diesem Zusammenhang neu in Erinnerung. So wird etwa die Kabelweitersendung thematisiert. Sollen die Regeln, die für die Übernahme von Rundfunkprogrammen ins Kabel gelten, auch auf IPTV, DSL und digitale Plattformen angewendet werden? Und falls ja, soll dann für jedes Internetvideo an eine Verwertungsgesellschaft gezahlt werden? Oder wie sonst sollen die Urheber an ihr Geld kommen? Was soll aus der Verwertungskaskade beim Filmvertrieb werden?

Bislang verlassen sich die Produzenten darauf, dass sie einen Film jeweils zeitversetzt im Kino, auf DVD und als Download verwerten können. Immer häufiger kommen ihnen jedoch Raubkopierer in die Quere, was darauf schließen lässt, dass die Nutzer gern alle Angebote auf einmal hätten, nicht nacheinander. Und schon gar nicht wollen sie darauf warten, dass bestimmte TV-Serien womöglich in ein paar Jahren auch nach Deutschland kommen. Die territorialen Verwertungsbeschränkungen führen hier zu immer mehr Unmut.

Was tun? Eine Möglichkeit wäre die Stärkung des Prinzips „Ursprungsland“. Es sollte dann für einen Abruf nur das Recht jenes Staates gelten, aus dem das Angebot stammt. Aber wie will man das festlegen im Internet? Und wie will man verhindern, dass dieser Ansatz „zu Willkür bei der Wahl des Niederlassungslandes des Dienstleisters“ führt, dass dieser sich also dort ansiedelt, wo er am wenigsten an die Urheber zahlen muss? Vielleicht bräuchte man doch eher ein EU-weites Urheberrecht. Oder zumindest einen EU-Urheberrechtstitel, den man durch eine freiwillige Registrierung erwerben könnte. Aber mit einer solchen Registrierung wäre ein erheblicher Verwaltungsaufwand verbunden. Also vielleicht doch lieber eine Notlösung? Kann man vielleicht Zugangscodes an Bürgerinnen und Bürger verteilen, mit denen sie im Urlaub an den Content herankommen, den sie eigentlich nur in ihrem Heimatland abrufen dürfen? Und übrigens, wie soll das alles gehen, wenn sich Cloud Computing durchsetzt?

Ebenso unklar ist derzeit, was aus den Rechten der Urheber werden soll. Da diese Rechte in aller Regel übertragbar sind, landen sie bei den unterschiedlichsten Stellen – kaum einer blickt da mehr durch. In den Worten der Kommission: „Der Flickenteppich unterschiedlicher Konzepte in der EU wird von einigen als Hindernis für die Lizenzierung audiovisueller Werke in der Europäischen Union betrachtet, das sie komplexer und zeitaufwändiger macht.“ Auch über den Modus der Vergütung herrscht keine Einigkeit. In Frankreich, Belgien oder Bulgarien werden Fernsehrechte über Verwertungsgesellschaften vergütet. In Spanien, Italien oder Polen müssen die Sender pro Nutzung an die Filmemacher zahlen. Wie kriegt man das zusammen?

Was die Zukunft der Vergütung Kreativschaffender angeht, hat die EU-Kommission einerseits die sogenannte kollektive Rechtewahrnehmung auf dem Schirm. Man könnte ein Recht auf „Zugänglichmachung“ schaffen und es von einer Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lassen, die dann Ausschüttungen durchführt. Also keine Verbotsrechte mehr, sondern lieber Vergütungsansprüche. Das würde aber nur funktionieren, wenn diese Vergütungsansprüche tatsächlich unabdingbar wären, also nicht von den Urhebern an Konzerne abgetreten werden könnten. Andererseits wäre es denkbar, auf eine Stärkung der Urheber im Vertragsrecht zu bauen. Wenn die „Vertragsfreiheit“ der Urheber nicht mehr nur darin bestehen würde, Total-Buyout-Verträge zu unterzeichnen, sondern man sich auf „die Einführung rechtsverbindlicher Bestimmungen zu Transparenz und Vergütung in den Verträgen“ einigen könnte, würde das unter Umständen schon genügen, um den Markt für grenzüberschreitende Lizenzen anzukurbeln.

Last, not least wirft das Grünbuch vorsichtig die Frage auf, was eigentlich aus der Infosoc-Richtlinie werden soll, in der die Schranken und Ausnahmen des Urheberrechts aufgelistet sind. Eigentlich hätte diese Richtlinie zu einer Harmonisierung des Binnenmarkts führen sollen. Tatsächlich wurde daraus eine Pick-and-choose-Liste, die sich jeder nationale Gesetzgeber nach eigenem Gutdünken zusammenstellen konnte. Folglich gelten nun etwa für Bibliotheken und Archive in den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten jeweils unterschiedliche Regelungen. Diese Einrichtungen haben deshalb gegenüber der EU „ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Klärung der Rechte für die von ihnen verwahrten Werke zeitaufwendig und teuer sein könnte.“ Wenn ein Filmarchiv einen Film digitalisieren möchte, entsteht zum Beispiel eine Kopie. Schon ist das Urheberrecht im Spiel. Und bis die Rechte geklärt sind, ist das Zelluloid längst zerfallen.

Die EU hat einiges vor sich. Wer ihr helfen will, schreibt an: markt-d1@ec.europa.eu. Die  eingegangenen Beiträge werden veröffentlicht, sofern der Einreicher keine Einwände dagegen erhebt.


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