Ein Kommentar von Martina Michels zur Abstimmung des Plenums des Europaparlaments.
Der Kommentar bezieht sich auf den heute im Plenum des Europäischen Parlaments abgestimmten Initiativberichts mit dem Namen: „Auf dem Weg zu einer Akte zum digitalen Binnenmarkt“
Michel Reimon, (EP-Fraktion der Grünen/EFA), hat in der zerpflückten Debatte um den Digitalen Binnenmarkt den entscheidenden Zugang zu geplanten gesetzlichen Regelungen für den digitalisierten Binnenmarkt eingefordert: „Das kann nicht nur eine ökonomische und eine Binnenmarktdebatte sein. Es geht um eine Bürgerrechtsdebatte. Die Medienwelt hat sich geändert. Es geht um den Zugang zum Content und das muss in dieser Hinsicht neu gestaltet werden.“
Und dabei geht es nicht nur um Daten- und Verbraucherschutz, wie viele es vermuten und auch zurecht anmahnen.
Mit 891 Änderungsanträgen und 2.200 Änderungsanträgen innerhalb der einzelnen Ausschüsse zu den Stellungnahmen wurde dem Initiativbericht der beiden federführenden Ausschüsse, dem Industrie- (ITRE) und dem Verbraucherschutzausschuss (IMCO), zu Leibe gerückt.
Heute wurde über diesen Initiativbericht entschieden, der in einem schwierigen Geflecht aus herausgehobenen und federführenden Kompetenzen zustande kam, wobei die Frage bleibt, ob er überhaupt in den genannten Ausschüssen richtig angesiedelt ist. Nun könnten wir uns beruhigen, dass hier noch keine Gesetzesvorschläge diskutiert werden, aber sie kommen mit Riesenschritten. Das unbewältigte Thema bleibt. Das Parlament hat der Kommission heute de facto sein eigenes zerrissenes Meinungsbild präsentiert, wenn wir uns innerhalb der Suchbewegungen der digitalisierten Gesellschaft politisch bewegen und diese gerecht, sozial zugänglich, technologisch sinnvoll und kulturell vielfältig, sowie die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte sichernd, verstehen, bewältigen und mit sinnvollen politischen Entscheidungen befördern wollen.
Immerhin hatte der Kulturausschuss (CULT) exklusive Kompetenzen bei den audio-visuellen Medien. Dessen Vorschläge zu diesem Punkt wurden daher umfassend und in manch unscharfen Kompromissen in acht Punkten in den federführenden Ausschüssen übernommenen.
„Nun sei ein ausgewogener Kompromiss vorhanden“, urteilte Petra Kammerevert (S&D-Fraktion) im Kulturausschuss am 11. Januar. Sie verantwortete die Stellungnahme des Kulturausschusses und berichtete über das entstandene Ergebnis in der Arbeit zwischen den Ausschüssen. Sie verwies darauf, dass alle linearen und nichtlinearen Dienste in einer revidierten Richtlinie für audiovisuelle Medien (AVMD) erfasst werden müssen. Richtig, aber dies ist leider noch nicht die Quadratur des Kreises, klärt nicht auf, was die medial heiß debattierten Eisen, wie „ungerechtfertigtes“ Geoblocking sein soll, wie nun europaweite Portabilität von zuvor erworbenen Inhalten hergestellt wird und vieles mehr. Es erkennt nur ein weites Spektrum digitaler Inhalte als kulturelle Inhalte an. Immerhin. Eine vorgeschlagene sinnvolle Folgeforderung: ein reduzierter Mehrwertsteuersatz für e-papers & co. Ja, es ist auch Kultur im Internet, wer hätte das gedacht.
Die Debatte um das heilige Territorialprinzip versus EU-Lizenzen hat grad erst begonnen. Während die einen zurecht festhalten, dass sich die Filmproduzenten derzeit via dem Territorialprinzip ernähren, erklärt dies ziemlich wenig für Neuregelungen und Förderungen von europaweit sinnvollen Synchronisationen und Untertitelungen, die dann irgendwo versteckt bei der Filmförderung verhandelt werden.
Nun wurde salomonisch unter Paragraf 38 der Stellungnahme festgehalten, das es keine Pflicht zu paneuropäischen Lizenzen geben soll und aus Erwägungen des Erhalts der kulturellen Vielfalt am Territorialprinzip festgehalten wird. Da haben sich, zumindest ist dies auch eine denkbare Lesart, nicht die RetterInnen der kulturellen Vielfalt, sondern zugleich die HüterInnen des tradierten Urheberrechts durchgesetzt.
Bei der derzeitigen Finanzierung der Film- und Medienbranche ist das nicht völlig grundlos. Nur trägt es überhaupt nicht zur Harmonisierung des Urheberrechts in der EU bei, wird Zugänglichkeit in Bibliotheken, Bildung, Wissenschaft dadurch nicht besser und der Verbraucherschutz noch keinen Deut annehmbarer.
Die Sprachvielfalt Europas ist eine Besonderheit, die den Binnenmarkt kulturell fragmentiert und der nationale Flickenteppich des Urheberrechts verstärkt dies und hier müsste nun einmal genau geschaut werden, was kulturelle Vielfalt tatsächlich befördert oder behindert. Hier gibt es jede Menge Widersprüchlichkeiten, die nicht mit einer einzigen politischen Laufrichtung erledigt sind. Entscheidend ist, wenn die Zielrichtungen – Sicherung der kulturellen Vielfalt – wenigstens einmal mehr eingefordert werden. Nur sichern wir sie kaum mit unbeweglichen Urheberrechtsverweisen. Wenigstens im Programmtischen hat der Kulturausschuss oft mehr beizutragen, als Rechts- , Verbraucherschutz- oder Industriepolitik derzeit wissen wollen, auch wenn sie dann zumeist „nur“ um die Ausnahmen in Bildung, Kultur und Medien kämpfen. Man könnte es aber auch so interpretieren, dass sie um die Anerkennung kämpfen, dass die Digitalisierung ein gesellschaftlicher und nicht zuerst ein ökonomischer Prozess mit vielen Wandlungen ist.
Der Kulturausschuss hat deshalb einmal mehr die Debatte um Regelungen der Auffindbarkeit beleuchtet, darauf insistiert, dass der Umgang zwischen Content und Werbung neu geregelt werden sollte, wobei es nicht um Trennung, sondern um sichtbare Abgrenzung gehen muss und immerhin wurde aus der Perspektive der Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker schon einmal ausgesprochen, dass der Drei-Stufentest nicht mehr zeitgemäß ist.
Die programmatischen Klassiker, dass ein überarbeitetes Urheberrecht eine angemessene Entlohnung aller Beteiligten mit sich bringen muss, wurden betont und, was ohnehin aus dem Kulturausschuss erwartet wird, sind viele entscheidende Hinweise zur Förderung der Internetkompetenz (gemeinsam mit dem Beschäftigungsausschuss (EMPL)), zu Bildungsinstitutionen, zum Datamining für Wissenschaft und Forschung (kein einfaches Thema) und zur Förderung der Multilingualität Europas eingebracht worden.
Bei der Definition von Plattformen wurde sich an die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt orientiert, die den Doppelcharakter kultureller Güter behandelt. Damit lassen sich viele Ausnahmen diskutieren, die aus kulturellen Erwägungen sinnvoll sind. Doch deutlicher als zuvor steht hinter der Thematik der Kampf um die angegriffene Netzneutralität, die schon mit den Regelungen zur Telekommunikation mit den Spezialdiensten durchlöchert wurde.
Die Berichterstatterin der CULT-Stellungnahme fasste das eingebrachte Ergebnis im Kulturausschuss am 11.1. sinngemäß so zusammen: Einiges bleibt im Ungefähren, aber für einen Initiativbericht geht es.
Daraus kann man auch das harte Fazit ziehen: Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt.
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Martina Michels war Schattenberichterstatterin bei der Stellungnahme des Kulturausschusses. Zusammenfassungen und ausführliche Erläuterungen finden Sie hier und hier.