Nicht schlecht, was Heiko Maas da als „Unsere digitalen Grundrechte“ veröffentlicht hat. Insbesondere im Hinblick auf Artikel 2 könnte ich jetzt reflexhaft mit der realen Politik – Stichwort Vorratsdatenspeicherung – reagieren, aber das hilft in der Debatte um digitale Grundrechte nicht weiter. Dann doch lieber inhaltliche Anmerkungen, wo sie notwendig sind.
Die 13 Artikel, so wie sie jetzt vorliegen, könnte ich unterschreiben. Im Detail – siehe nachfolgende Anmerkungen – gibt es das eine oder andere zu präzisieren und zu ergänzen. Den wohl größten Dissens würde ich in der Frage aufmachen, ob der viel zitierte Staat tatsächlich zukünftig die zentrale Handlungsebene ist.
Artikel 1: Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zum Internet
Die soziale Spaltung wird – zu Recht – angesprochen. Wichtig ist aber der letzte Satz: „Nicht nur der Netzausbau ist nötig, auch der tatsächliche und faire Zugang für alle muss Realität werden.“ Der Link im Artikel führt zur Debatte um ein freies WLAN, gut das nächsten Mittwoch die Anhörung zur Störerhaftung stattfindet :-). Letztendlich wird es darum gehen müssen, wie „tatsächlich“ und „fair“ untersetzt werden. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang die Frage, über die ich im Januar 2013 geschrieben habe, nämlich die nach dem Internetzugang im Knast.
Artikel 2: Jeder Mensch hat das Recht, über seine persönlichen Daten selbst zu bestimmen
In der Untertitelung wird von „Enteignung“ gesprochen. Das wirft die Frage auf, ob Daten nicht als Eigentum zu behandeln sind. Würde das die Chance eröffnen, mehr Datenschutz zu gewährleisten? Könnte dies ein Beitrag sein, diese Idee aufzugreifen und Nutzer von sozialen Netzwerken als Auftraggeber zu behandeln? Etwas näherer Betrachtung bedarf die Formulierung: „Ohne die freiwillige Einwilligung des Betroffenen darf grundsätzlich niemand dessen Daten nutzen.“ Grundsätzlich meint im Juristendeutsch ja, es sind Ausnahmen möglich. Denkbar wäre nun zu sagen, die Ausnahmen sind gesetzliche Erlaubnisnormen. Das wiederum würde den Bogen zur Frage Eigentum an Daten schlagen. Wenn – wofür es sicherlich auch gute Gründe gibt – eine Ausnahme von der Einwilligung durch gesetzliche Erlaubnisnormen nicht angedacht ist, dann sollte auf das „grundsätzlich“ verzichtet werden.
Artikel 3: Jeder Mensch hat das Recht, über seine digitale Identität selbst zu bestimmen. Jeder Mensch hat das Recht auf Vergessenwerden.
Dass hier das einfachgesetzlich schon festgeschriebene Recht (vgl. § 13 Abs. 6 TMG) auf anonyme und pseudonyme Nutzung von Onlinediensten in der Online-Charta erwähnt wird, ist zu begrüßen. Gleichzeitig könnte man aber auch noch das Verbot der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen und ein Kopplungsverbot (Verbot Vertragsabschluss von Weitergabe/Nutzung der Daten abhängig zu machen) festschreiben. Das jede/r das Recht haben soll zu wissen, was andere über ihn/sie gespeichert haben, und ein Recht die Berichtigung falscher Daten verlangen zu können, ist ebenfalls gut. Da kann jetzt in die Debatte eingetreten werden, wie das auch tatsächlich gewährleistet werden kann. Schwieriger finde ich die Forderung nach einem Recht auf Vergessenwerden. Jedenfalls in dieser Absolutheit. Zum einen wird dies derzeit durch Privatisierung von Rechtsdurchsetzung gewährleistet, die Regelungen für einen Anspruch auf Vergessenwerden sind nicht klar. Darüber hinaus würde ich aber zu bedenken geben, wie unsere Museen, Bibliotheken und unsere Kenntnisse über geschichtliche Vorgänge aussehen würden, gäbe es schon seit 2000 Jahren ein Recht auf Vergessenwerden.
Artikel 4: Kein Mensch darf zum Objekt eines Algorithmus werden
Wie das gelingen kann, ist wohl eine der Kernfragen der Digitalisierung. Ein „Algorithmen-TÜV, der die Lauterkeit der Programmierung gewährleistet und auch sicherstellt, dass unsere Handlungs- und Entscheidungsfreiheit nicht manipuliert wird“ ist eine innovative Idee. Vielleicht müssen wir aber ein Stück früher ansetzen. Jeff Jarvis forderte Ende 2013 einen hippokratischen Eid für Techniker. Es ist richtig, wenn es heißt: „Maschinen haben keine eigene Ethik und empfinden keine Empathie.“ Aber verlangt das vielleicht nicht nach einer Ethik für Programmierer/innen und (Software-) Entwickler/innen, wegen mir auch in Form des hippokratischen Eids. Und wenn das nicht hilft, muss vielleicht sogar gesetzliche Regulierung her. Aber darum geht es ja in Artikel 12.
Artikel 5: Jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung im Internet frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Eine Zensur findet nicht statt.
Da gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen. Zumal alles was mir dazu einfiele in Artikel 6 kommt.
Artikel 6: Das Recht, seine Meinung im Internet zu äußern, befreit niemanden davon, die allgemeinen Gesetze und das Persönlichkeitsrecht seiner Mitmenschen zu beachten.
Eigentlich ist das eine Binsenweisheit. Allerdings finde ich, dass nicht nur das Internet zu sprachlicher Verrohung verleitet. Was da so einige Pegida- und AfD-Anhänger/innen von sich geben, ist auch eine sprachliche (und menschliche) Verrohung. Wenn aber das Loblied des Löschens von Kommentaren gesungen wird, habe ich meine Zweifel, ob dies der richtige Weg ist. Das Löschen rechtswidriger Handlungen ist – darauf wird zu Recht hingewiesen – keine Zensur durch Private. Doch durch das Löschen gehen die Gedanken und Menschen mit diesen Gedanken nicht weg. Mir scheint das Konzept des aktiven und massiven Widersprechens aufklärerischer.
Artikel 7: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dass seine Arbeit angemessen bezahlt wird, wenn er Dienstleistungen im Internet erbringt oder sie über das Internet vermittelt.
Auch wenn von Arbeit und Arbeitswelt gesprochen wird, gemeint ist vermutlich Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeitswelt. Wenn ein „Dumping-Verbot im Internet“ gefordert wird, ist das richtig. Aber wie soll es aussehen? Ich verweise da mal auf die Idee vom Mindesthonorar.
Artikel 8: Alle Urheber und ausübenden Künstler haben das Recht auf einen fairen Anteil an den Erträgen der digitalen Nutzung ihrer Werke.
Auch das ist richtig. Und die Forderung „neue Bezahlmodelle“ ist nicht unbedingt neu. Die Gedanken der Kulturwertmark oder der Kulturflatrate könnten in diesem Zusammenhang ja noch mal debattiert werden.
Artikel 9: Der Staat gewährleistet die Netzneutralität.
Auch richtig. Machen. Ein Anfang wäre, hier zuzustimmen :-).
Artikel 10: Niemand darf seine wirtschaftliche Macht missbrauchen. Der Staat verhindert Monopole und Kartelle; er fördert Vielfalt und Wettbewerb.
Ob dies der Staat kann, da hätte ich meine Zweifel. Aber das wird bei Artikel 12 diskutiert. So richtig die Forderung ist, so falsch ist es aber hier auf Google und das Suchmaschinenmonopol abzustellen. Ja, es gibt die Gefahr des wirtschaftlichen Machtmissbrauchs, aber diese ist eher in der Verflechtung verschiedener Angebote zu sehen als in einem Suchmaschinenmonopol. Die Monopolkommission hat dazu in diesem Sondergutachten viele interessante Sachen aufgeschrieben. Wie eine angedeutete Neutralität beim diskriminierungsfreien Auffinden von Ergebnissen bei Suchmaschinen aussehen soll, habe ich nicht ganz verstanden.
Artikel 11: Jeder Mensch hat ein Recht auf Datensicherheit.
Auch dies ist ein wichtiger Punkt. Allerdings wird mir zu einseitig auf „sensible Daten“ oder „digitale Dienstleistungen der Daseinsvorsorge“ abgestellt, der Fokus liegt zu sehr auf „kritische Infrastruktur“, die besonders gesichert werden soll. Hier gehört meines Erachtens die Forderung nach Privacy by Default (datenschutzfreundliche Voreinstellung) und Privacy by Design (Datenschutz durch Technik) hin – und auch eine verpflichtende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.
Artikel 12: Die Staaten schaffen ein Völkerrecht des Netzes, um die Freiheit des Internets weltweit zu sichern.
Ich greife meine Anmerkung zu Artikel 4 auf. Im vorgeschlagenen Artikel 12 geht es um Staaten. Es ist richtig, aber greift meines Erachtens zu kurz, wenn gefordert wird, dass wir „eine internationale Verständigung über die Achtung persönlicher Daten, um sie vor dem willkürlichen Zugriff von Geheimdiensten zu schützen“ benötigen. Es geht – siehe Artikel 4 – um mehr. Ob das Völkerrecht es in seiner bisherigen Struktur leisten kann, welche Veränderungen bei UNO und EU notwendig sind, um demokratische Regeln im Hinblick auf Einschränkung wirtschaftlicher Macht und Freiheit vor Fremdbestimmung durch Algorithmen zu ermöglichen, gehört hier aus meiner Sicht mit dazu.
Artikel 13: Jeder Mensch hat das Recht auf eine analoge Welt. Niemand darf ungerechtfertigt benachteiligt werden, weil er digitale Dienstleistungen nicht nutzt.
Den unter diesem Artikel aufgeführten Dingen kann ich zustimmen. Ergänzen würde ich an dieser Stelle allerdings noch, dass dies auch ein Recht auf Bargeld beinhaltet. Gerade im Hinblick auf anonymes Bezahlen finde ich das einen relevanten Punkt.
Was fehlt noch? Aus meiner Sicht müsste noch etwas zum Eigentum gesagt werden und zur Frage der sozialen Sicherung. Es wäre ja denkbar, einen Artikel 14 und 15 zu formulieren :-).
Artikel 14: Eigentum verpflichtet. Es soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.
Es gibt die Verpflichtung, sich an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen. Wie die Finanzierung in Form der Steuerzahlung stattfindet (Unternehmenssitz, Ort der Wertschöpfung und Einkünfteerzielung), muss geklärt werden. Gleichzeitig bedeutet diese Formulierung aber auch, dass es eine Grundverpflichtung zur Bereitstellung von Infrastruktur gibt. Das korrespondiert natürlich mit Artikel 1. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch der Hinweis: Satz 2 bedeutet nicht, dass es ein staatliches Internet geben darf.
Artikel 15: Jeder Mensch hat ein Recht auf soziale Absicherung
Der Artikel 7 beschreibt die Veränderung der Erwerbsarbeitswelt. Diese wird Auswirkungen auch auf die Solidarsysteme und vor allem ihre Finanzierung haben. Ein Recht auf soziale Absicherung ist deshalb auch in einer digitalisierten Welt zwingend erforderlich. Die Festschreibung eines Rechtes auf soziale Absicherung lässt den Spielraum, zu entscheiden, wie dieses konkret aussieht und wie es finanziert wird. Wenn es nach mir ginge, würde es ein bedingungsloses Grundeinkommen geben.