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Piratensender Parlamentsfernsehen

Gestern hat die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) per Pressemitteilung bekanntgegeben, das vom Bundestag veranstaltete Parlamentsfernsehen sende im „rechtfreien Raum“. Das TV-Angebot des Bundestages sei als Rundfunk zu bewerten und könne auf Basis der Regelungen des geltenden Rundfunkstaatsvertrags keine Zulassung erhalten, heißt es in der Mitteilung des seit dem 1. Januar 2011 amtierenden ZAK-Vorsitzenden Thomas Fuchs, in Personalunion zugleich Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) und Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM):

Das Fernsehen des Deutschen Bundestages ist in seiner aktuellen Form nach Auffassung der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) ein Rundfunkangebot. Damit bedürfte es einer rundfunkrechtlichen Zulassung, die allerdings aus Sicht der ZAK nicht erteilt werden kann, da der Programmanbieter in diesem Fall ein Verfassungsorgan ist. Nach § 20a Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags können juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich keine Rundfunkzulassung bekommen.

Erstaunlich allerdings ist der Zeitpunkt, zu dem die Landesmedienanstalten zu diesem Prüfergebnis gelangen. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Staatsferne des Rundfunks bestehen – um es höflich auszudrücken – schließlich schon seit längerem und die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) bewertete bereits im Jahr 2007 das Parlamentsfernsehen als „unmittelbarsten Fall von staatlichem Fernsehen“. In ihrem seinerzeitigen Jahresbericht differenzierte die KEK wie folgt:

Soweit das Parlamentsfernsehen live, unkommentiert und in voller Länge Parlamentssitzungen, Ausschusssitzungen, öffentliche Anhörungen oder Anhörungen von Enquetekommissionen überträgt, handelt es sich um ein zulässiges Angebot im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages. Es besteht bei dieser Herstellung von ‚erweiterter Öffentlichkeit’ nicht die Gefahr staatlicher Einflussnahme auf die Meinungsbildung. Anders verhält es sich dagegen bei eigenen Produktionen mit redaktionellen Komponenten, wie z. B. Streitgesprächen und Diskussionen von Abgeordneten oder Hintergrundberichten zu ausgesuchten Persönlichkeiten. Hier findet eine Auswahl personeller, zeitlicher und thematischer Art statt, mit der die Meinungsbildung gezielt beeinflusst werden kann. Dies geht über die mit einer neutralen Öffentlichkeitsarbeit des Bundestags zu vereinbarenden Schwelle des staatsfreien Rundfunks hinaus. (10. Jahresbericht, 2007, S. 302f.)

Die KEK sah sich zu dem Hinweis veranlasst, weil das Programm des Parlamentsfernsehens bereits zu diesem Zeitpunkt unzweifelhaft redaktionelle Komponenten enthielt. Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) zögerte jedoch und ließ das Verfahren zum Parlamentsfernsehen zunächst ruhen. Der Fall liege nicht in der Zuständigkeit der KEK, hieß es seinerzeit. Zunächst müsse über die in Sachen Parlamentsfernsehen federführende Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb) geprüft werden, ob eine Rechtsgrundlage für den Parlamentskanal nicht durch den Öffentlichkeitsauftrag des Parlaments gegeben sei. (epd medien, 03.10.2007.)

Das Verfahren blieb anhängig. Wie es weiterging, ist dem Folgebericht der KEK zu entnehmen. Dort heißt es:

Mit Schreiben an die mabb vom 10.08.2006 hat der Deutsche Bundestag einen Antrag auf Zulassung des bundesweiten Fernsehprogramms Parlamentsfernsehen gestellt (vgl. 10. Jahresbericht, 3.5.1.5). Der Deutsche Bundestag hat das Parlamentsfernsehen am 20.12.1990 zunächst als bundestagsinternen Hauskanal gestartet. Seit 03.10.1999 wird das Programm auf der Grundlage einer am 03.08.1999 von der mabb erteilten Sendeerlaubnis auch digital im Berliner Kabelnetz verbreitet und ist zudem über Internet als Web-TV zu empfangen. Zwar wird das Programm auch über Satellit (Astra 3A) verbreitet, jedoch nur verschlüsselt im Multiplex mit anderen Signalen verschiedener oberster Bundesbehörden und der Bundespressekonferenz. Nunmehr wurde die Lizenz für die unverschlüsselte Verbreitung über Satellit und Kabel beantragt. Wegen einer noch ausstehenden Antwort auf eine Anfrage der mabb an den Deutschen Bundestag bezüglich der Rechtsgrundlage für die Veranstaltung des Parlamentsfernsehens ruht das Verfahren derzeit.

Einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestags vom 05.06.2008 ist zu entnehmen, dass aufgrund einer Ausdehnung der Berichterstattung über die Arbeit des Bundestags im Programm von Phoenix auf eine eigene bundesweite Ausstrahlung des Parlamentsfernsehens verzichtet werden kann. Der Zulassungsantrag wurde nach Kenntnis der KEK bislang jedoch noch nicht zurückgenommen. (11. Jahresbericht, 2008, S. 61f.)

Tatsächlich hatte die Zusage von Phoenix, die Berichterstattung über das Parlamentsgeschehen auszuweiten, den Bundestag dazu bewogen, seine insbesondere von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorangetriebenen Pläne auf Rundfunkzulassung nicht weiter zu verfolgen. Weshalb aber begaben sich die Direktoren der Landesmedienanstalten nach vormaligem Zaudern und Zögern jetzt selbsttätig in einen erneuten Prüfauftrag? Die Pressemitteilung der ZAK benennt zwei Entwicklungen als Anlass:

Seit Januar 2011 wird das Programm unverschlüsselt über die bisherigen Wege sowie als Webstream verbreitet. Außerdem wird es inzwischen deutlich stärker redaktionell gestaltet, so dass zu klären war, ob das Parlamentsfernsehen bereits ein Rundfunkangebot darstellt und gegebenenfalls eine Lizenz braucht.

Richtig daran ist, dass die Ausstrahlung via Satellit seit kurzem unverschlüsselt erfolgt. Redaktionelle Programmkomponenten und Webstream hingegen bestehen seit Jahren. Woher kommt also der Sinneswandel? Nehmen sich die Direktoren der Landesmedienanstalten jetzt endlich der grundlegenden „Problematik der Fernsehveranstaltung unter Beteiligung des Staates“ (KEK) an? Haben die „häufig zahmen Landesmedienanstalten“ – wie Robin Meyer-Lucht auf Carta kommentiert – mit ihrer jüngsten Entscheidung tatsächlich „ein erstaunlich deutliches Signal gegen die Ausweitung staatlicher Selbstberichterstattung in digitalen Medien“ gesetzt?

Wohl kaum! Während gegen einen privat betriebenen Piratensender – und um nichts anderes handelt es sich bei einem Rundfunksender ohne Lizenz – die Aufsichtsbehörden sogleich alle notwendigen Maßnahmen zu dessen Abschaltung einleiten würden, ist das beim Parlamentsfernsehen nicht zu erwarten. Jörg-Olaf Schäfers berichtet dementsprechend auf Netzpolitik von einer Rückfrage bei der Pressestelle der Landesmedienanstalten. Die Antwort: Es sollen in den kommenden Wochen Gespräche geführt werden, wie „das ‚Bundestagsfernsehen‘ auf eine rechtlich saubere Basis“ gestellt werden kann.

Die Bundestagsverwaltung allerdings sieht diese bereits jetzt als gegeben. Sie beruft sich auf ein von Bundestagspräsident Lammert in Auftrag gegebenes und von Hubertus Gersdorf, Professor für Kommunikationsrecht an der Universität Rostock, im Juni 2007 erstelltes Rechtsgutachten. Demnach handelt es sich beim Parlamentsfernsehen nicht um Rundfunktätigkeit, sondern um staatliche Öffentlichkeitsarbeit. Eine rundfunkrechtliche Zulassung sei auch im Falle einer bundesweiten Ausweitung der Verbreitung und – insofern der Grundsatz der Chancengleichheit der Fraktionen gewahrt werde – einer Ausweitung von redaktionellen Programmkomponenten nicht erforderlich.

Die Geschichte wird also weitergehen. Möglicherweise manifestieren sich in ihr erste größere Risse in einer Medienregulierung, wie wir sie bisher kannten. Denn niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass die Herstellung von Öffentlichkeit zu den Grundaufträgen demokratischer Entscheidungsfindung zählt. Gleichzeitig werden unter den kostenminimierenden Bedingungen der Digitalisierung – auch das Parlamentsfernsehen ist letztendlich eine Folge des Preisverfalls in der Produktionstechnik – rundfunkähnliche Kommunikationsdienste einer zunehmenden Zahl von Akteuren möglich. Noch steht kein Regulierungsmuster für eine digitale Medienordnung bereit. Mit einer einfachen Umdefinition von Rundfunk in Öffentlichkeitsarbeit wird es dabei wohl nicht getan sein.

Ein Kommentar zu “Piratensender Parlamentsfernsehen”

  1. […] Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages bedarf keiner Rundfunklizenz. Der große Aufruhr um den Bundestagskanal ist somit […]