Auf Carta ist soeben ein Überblick mit den Standpunkten der Parteien zur Rundfunkgebührenreform erschienen. Die Position für eine modifizierte gerätebezogene Rundfunkgebühr, wie sie von einer Mehrheit der Medienpolitikerinnen und -politiker innerhalb der LINKEN vertreten wird, kommt in dieser kursorischen Darstellung allerdings nur unzureichend zum Tragen. Dabei beruht jene auf einem Modell, das sowohl die spezifisch rechtlichen als auch die neuen technologischen Bedingungen des Rundfunks in ihrer Gesamtheit erfasst und von uns im letzten Jahr in einem längeren Aufsatz „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Digitalzeitalter. Grundlagen für eine digitale Medienordnung“ dargelegt wurde. Gegenüber den Ansätzen für eine haushalt- oder auch steuerbezogene Gebühr besitzt das von uns entwickelte Modell erhebliche Vorteile. Um nur einen zu nennen: Sowohl Haushaltsgebühr als auch Medienanbgabe erforderten ein Notifizierungsverfahren auf EU-Ebene – mit der Konsequenz, dass über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dann in Brüssel (mit-)entschieden würde. Bei einer modifizierten gerätebezogenen Gebühr wäre das nicht der Fall. Im folgenden veröffentlichen wir heute und in den nächsten Tagen diesen Artikel in vier Teilen unter Auslassung des Anmerkungs- und des Literaturapparats. Wer die Fassung in der Originalversion samt Nachweisen nachlesen möchte, kann das hier tun.
Die fortschreitende Digitalisierung stellt das bestehende Mediensystem vor völlig neue Herausforderungen. Diese sind, wie im folgenden zu zeigen sein wird, derart weitreichend, dass auf absehbare Zeit offen bleiben muss, ob das grundsätzlich zu befürwortende Statut eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Digitalzeitalter aufrechtzuerhalten ist. Konstituierendes Kennzeichen des heraufziehenden Zeitalters bildet die Ökonomisierung von digitaler Information. Diesen Bedingungen werden immer weitere Bereiche der Produktion, der Zirkulation und des Konsums im Mediensektor unterworfen. Bislang öffentliche Angebote geraten infolgedessen in den Focus privater Verwertungsinteressen. Mit der Beschleunigung dieser Entwicklung wird im Fortgang und weiteren Verlauf auch die Medienordnung in ihren ökonomischen, kulturellen und rechtlichen Grundzügen umgebrochen. Wie unter diesen Bedingungen ein beständiges Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Digitalzeitalter aussehen kann, wollen wir im folgenden aufzeigen. Dazu werden wir zunächst einen Problemaufriss anhand der rechtlichen Rahmenbedingungen auf der Ebene des Nationalstaats und der Europäischen Union geben, sodann in Grundzügen ein eigenes Regulierungsmodell vorstellen und schließlich die Voraussetzungen für eine Modernisierung des öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrag im Digitalzeitalter skizzieren.
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
Das deutsche Rundfunkrecht beruht maßgeblich auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Rundfunkrecht in Deutschland ist – historisch betrachtet und ungeachtet der diesbezüglich vorgelagerten Gesetzgebungskompetenz der Länder – sozusagen im klassischen Sinne Verfassungsrichterrecht. Die materielle Grundlage, auf die sich die Verfassungsrechtssprechung beziehen kann, ist gleichwohl eher schmal. Sie basiert im wesentlichen auf einem Satz: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG)
Während die Ausgestaltung der äußeren Struktur zur Sicherstellung der Presse- und Filmfreiheit im Nachkriegsdeutschland West von Anfang an privatwirtschaftlich organisiert war, wurde nach 1949 für den nun in der Programmgestaltung staatsfreien, in seinen Organisationsprinzipien wesentlich von den Besatzungsmächten geprägten und weitgehend nach dem Vorbild der britischen BBC geformten Rundfunk (zunächst Hörfunk, seit 1952 auch Fernsehen) eine öffentlich-rechtliche Regulierung vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dieses auch als gemeinwirtschaftlich zu bezeichnende Organisationsmodell in seiner 1. Rundfunkentscheidung von 1961 und legitimierte es mit einer durch die spezifischen technologischen Bedingungen und dem hohen finanziellen Aufwand für die Veranstaltung von Rundfunksendungen bedingten Sondersituation des Rundfunks. Eine dem Pressewesen entsprechende publizistische Vielfalt sei, so hieß es damals, aufgrund der spezifischen technologischen Bedingungen des Rundfunks nicht gegeben. (BVerfGE 12, 205, 261)
Doch auch mit dem Wegfall dieser Sondersituation, in deren Folge verfassungsgerichtlich der Weg für den privaten Rundfunk in der Bundesrepublik geebnet wurde, sah das Bundesverfassungsgericht die Erfordernis, rechtliche Vorkehrungen zur Gewährleistung der Freiheit des Rundfunks zu treffen, weiterhin als gegeben an. Mit der Aufhebung des Frequenzmangels durch Einführung der seinerzeit neuen Übertragungstechnologien Kabel und Satellit sei nicht sichergestellt, hieß es in der 3. Rundfunkentscheidung aus dem Jahr 1981, dass das Programmangebot in seiner Gesamtheit und kraft der Eigengesetzlichkeit des Wettbewerbs eine Meinungsvielfalt widerspiegeln könne, wie sie etwa im Bereich der überregionalen Tageszeitungen bestehe und wie sie für die freiheitliche Demokratie konstitutiv sei. (BVerfGE 57, 295, 322)
Seitdem hat das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rundfunkordnung weiter präzisiert und zu einem „nahezu abgeschlossenen System“ (Müller-Rüster ) ausgebaut. Im Vergleich zur Presse- und Filmfreiheit hat sich die verfassungsgerichtliche Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit dabei im Laufe der Jahre zu einer Sonderdogmatik entwickelt. Manifestiert findet sich diese in der dualen Rundfunkordnung, in der Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, seiner Finanzierungsgarantie und weiteren, aus der „dienenden“ Funktion des Rundfunks abgeleiteten, hier als bekannt vorauszusetzenden Anforderungen.
In bemerkenswerter Kontinuität zu seiner bisherigen Rechtssprechung hat das Bundesverfassungsgericht in der jüngsten rundfunkrechtlichen Entscheidung vom 11. September 2007 noch einmal betont, dass sich durch die Vermehrung der Übertragungskapazitäten infolge der technologischen Neuerungen der letzten Jahre, aber auch durch die jüngere Entwicklung der Medienmärkte im Grundsatz nichts geändert habe: Beweggrund für die gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkordnung bleibe weiterhin die besondere Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft des Mediums Rundfunk. Obgleich mit dieser Entscheidung keine Übertragung der bestimmenden Strukturelemente der Rundfunkordnung auf das World Wide Web erfolgte, war mit ihr doch ausgesprochen, dass die aus dem Analogzeitalter abgeleiteten rechtlichen Konstitutionsbedingungen des Rundfunks in der digitalen Welt bis auf weiteres fortbestünden.
Diese (wohlwollend benannt) funktionsgewährleistende Kontinuität kann als eine Konsequenz dessen angesehen werden, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Rundfunk nicht definiert, sondern voraussetzt. Zugleich ist sie ebensosehr das Resultat einer Verfassungsrechtssprechung, die – anders als bei Presse und Film – den Begriff „Rundfunk“ normativ von den ihm zugrundeliegenden Übertragungstechnologien ablöste und – exemplarisch in der 5. Rundfunkentscheidung von 1987 – die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit auch auf „rundfunkähnliche Kommunikationsdienste“ übertrug. (BVerfGE 74, 297, 350 f.) Beides allerdings sollte nicht zu der insbesondere bei seinen Trägern und einer großen Zahl seiner politischen Befürworterinnen und Befürworter verbreiteten Auffassung verleiten, das Modell des gemeinwirtschaftlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei verfassungsgerichtlich zeitlos und rechtsdogmatisch überhistorisch gegeben.
Ganz im Gegenteil: Die verfassungsgerichtliche Rechtssprechung fokussiert – und fokussierte immer schon – auf den objektivrechtlichen Funktionsbezug der Rundfunkfreiheit zur demokratischen Meinungsbildung. Mit einer Aufkündigung dieses Funktionsbezugs, erfolgte sie nun unter stillschweigender Inkaufnahme oder unmittelbar gewollt, wären die Bedingungen zu einer Aufhebung der erwirkten Sonderdogmatik selbst gegeben. Ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel, mithin eine mögliche Gleichstellung des Rundfunks zu den immer schon marktliberalen Ausgestaltungen bei Presse und Film, ist aufgrund des eingangs bezeichneten schmalen funktionsrechtlichen Aussagegehalts von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG tatsächlich nicht auszuschließen.
Die in diesem Kontext maßgebende Frage, weshalb ausgerechnet für den Rundfunk eine ordnungspolitisch gesonderte Funktionsgewährleistung angesichts von im Grundgesetz gleichwertig kodifizierten Medienfreiheiten zu erbringen ist, besteht in einer digitalen Medienordnung fort. Mehr noch: Mit fortschreitender Digitalisierung tritt sie erneut und verstärkt hervor. Entsprechende, das Postulat der Rundfunkfreiheit: „freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten“ (BVerfGE 57, 295, 320; BVerfGE 74, 297, 324), unterlaufende (Negativ-)Szenarios sind unter zweierlei Aspekten denk- und wahrnehmbar:
a) Neue Kommunikationstechnologien und veränderte Mediennutzungsgewohnheiten machen die spezielle Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks obsolet. Die massenspezifische Orientierungsfunktion des Rundfunks ist an seine Zuschauerakzeptanz gebunden. Mit dem Wegbrechen derselben und der Hinwendung zu individualisierten Nutzungsgewohnheiten wird die Breitenwirkung des Rundfunks und seine daraus resultierende große Machtakkumulation aufgelöst. Diese Entwicklung ist bereits im Gange. Die geringe Akzeptanz und die geringen Zugriffszahlen auf öffentlich-rechtliche Programmangebote durch jüngere, netzaffine Mediennutzerinnen und ‑nutzer – den sogenannten „digital natives“ – bergen die Gefahr eines drohenden Generationenabrisses im Mediengebrauch. Mit einem solchen könnte eine nächste Generation von Verfassungsrichtern vor die Entscheidung gestellt sein, das Statut des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Disposition zu stellen.
Ob es gelingt, diesen Trend zu brechen, wird davon abhängig sein, welche Entwicklungsmöglichkeiten dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Netz gewährt werden. Eine sich abzeichnende synergetisch medienübergreifende Nutzung von Fernsehinhalten, Presse- und Internetangeboten sowie das Aufscheinen von technologischen Konvergenzentwicklungen und einer damit verbundenen Herausbildung integrierter Medienformate – der Annäherung von ursprünglich unabhängigen Technologien auf Basis digitaler Kommunikationsprotokolle und das Zusammenfließen von Merkmalen bisher getrennter Mediengattungen in neuen Programmformaten (z. B. durch Integration von TV- und Online-Angeboten) – lassen sich nur dann erfolgreich gestalten, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Rundfunk an die Erfordernisse des Digitalzeitalters angepasst werden.
b) Schwindende Programmqualität und schwindende Unabhängigkeit der Programmgestaltung heben die „essentiellen Funktionen“ (BVerfGE 73, 118, 158) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die demokratische Ordnung und das kulturelle Leben auf. Öffentlich-Rechtliche und Private konkurrieren um Aufmerksamkeit. Das Maß an jeweils erzeugter Aufmerksamkeit wird durch die Einschaltquote ermittelt. Im privaten Rundfunksystem korreliert diese mit der Höhe der Werbeeinnahmen. Auf letzteren basiert das Geschäftsmodell der Privaten. Im wesentlich gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem hingegen bezeichnet Werbefinanzierung lediglich einen Nebenaspekt. Dennoch ist eine Tendenz zur Banalisierung und Verflachung des Programmangebots, wie sie der originären Eigenlogik der Privaten und ihres auf Quote ausgerichteten wirtschaftlichen Wettbewerbsdrucks entspringt, zunehmend auch für die Öffentlich-Rechtlichen zu konstatieren.
Mit der Dualisierung des Rundfunksystems hat sich eine Entwicklung bahngebrochen, die unter dem Rubrum Selbstkommerzialisierung zu erfassen ist. Obgleich von den Programmverantwortlichen vehement in Abrede gestellt, läßt sich eine Konvergenz von öffentlich-rechtlichen Angeboten hin zu den Programmformaten der Privaten nicht länger negieren. Unter unabhängigen Fachleuten streitig erscheint lediglich das Ausmaß an Konvergenz, nicht der Befund selbst. Die beschwörende Formel von „Qualität und Quote“ als Motto für eine optimale Funktionserfüllung hat sich in ihrer öffentlich-rechtlichen Apodiktik erschöpft. Die Gefahr, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Programmauftrag verfehlt und somit seine Legitimationsgrundlage verliert, potenziert sich unter dem Druck fortschreitender, dem Primat einer nachhaltigen Kommerzialisierung folgenden Digitalisierung.
Ob es gelingt, diese delegitimatorische Praxis zu stoppen, wird davon abhängig sein, inwiefern den maßgebenden Akteursgruppen Einhalt geboten wird. Aufscheinende Defizite in der Programmqualität und der Unabhängigkeit der Programmgestaltung sind allem Anschein nach hausgemacht. Nicht allein werden die öffentlich-rechtlichen Anstalten durch Schleichwerbungsskandale und durch eine nach parteipolitischen Erwägungen erfolgende Personalpolitik geschwächt. Forciert wird dieser Prozess darüber hinaus durch einen von Eigeninteressen geleiteten ökonomisch-journalistischen Komplex. Zu erfassen sind darunter wirtschaftliche Partikularinteressen von Moderatorenproduzenten ebenso wie jene von kommerziell agierenden Beteiligungsgesellschaften und solche der leitenden Programmverantwortlichen von ARD und ZDF selbst. Im Kontrast zur Machtposition dieses Interessenkomplexes befinden sich die programmgestaltenden Rundfunkmitarbeiter und -mitabeiterinnen systembedingt im Nachteil. Zwar können sie sich in ihrer Freiheit der Meinungsäußerung und der Freiheit durch Rundfunk gegenüber staatlichen Eingriffen berufen, nicht aber gegenüber ihren eigenen Rundfunkanstalten und Führungskräften. Eine Stärkung der organisatorischen Binnenpluralität durch die Einführung gesetzlich verpflichtender Redaktionsstatute ist daher ebenso erforderlich wie eine – dem engeren binnenpluralen Aspekt übergeordnete – grundlegende Modernisierung des öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrags.
Kursorisch ist an dieser Stelle zu resumieren: In seinen Einzelleistungen umstritten war der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer. Mit der Dualisierung des Rundfunksystems allerdings haben sich seine Legitimationsprobleme potenziert. Indiziert wird dieser Befund auch durch den Sachverhalt, dass die verfassungsgerichtlichen Festschreibungen und Ausdifferenzierungen zur Rundfunkordnung nach der Zulassung des Privatrundfunks in immer kürzeren Abständen erfolgten. Mit dem rasanten Wandel des Mediensektors in Folge der Digitalisierung steigt der konstatierte Legitimationsdruck weiter an. Letzterer findet Ausdruck in einer immer rascheren Abfolge von Rundfunkänderungsstaatsverträgen (RÄStV). Nach der erst kürzlich erfolgten Verabschiedung des 11. RÄStV befinden sich gegenwärtig nicht nur der 12. RÄStV in Vorbereitung, sondern erfolgen bereits jetzt durch die zuständige Rundfunkkommission der Länder Vorarbeiten zum 13., 14. und 15. RÄStV. Diese regulatorische Beschleunigung und die unzureichenden Regelungen und zahlreichen Beschränkungen in Bezug auf die digitale Welt, wie sie der 12. RÄStV vorzeichnet, garantieren den Öffentlich-Rechtlichen zudem weder die notwendige Entwicklungsoffenheit, noch sind sie geeignet, diesen eine verläßliche Rechtssicherheit zu gewährleisten. Doch drohen Gefahren nicht nur durch nationalstaatliche Regulierungsspezifika und -defizite, sondern bestehen weitere (bestandsgefährdende) Herausforderungen auf der Ebene des mit Anwendungsvorrang versehenen Gemeinschaftsrechts.
Teil II: Europarechtliche Beschränkungen
Teil III: Regulierung im Digitalzeitalter
Teil IV: Funktionsauftrag im Digitalzeitalter
[…] ist der Zeitpunkt, zu dem die Landesmedienanstalten zu diesem Prüfergebnis gelangen. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Staatsferne des Rundfunks bestehen – um es höflich auszudrücken – schließlich schon seit […]
[…] dessen Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie das Bundesverfassungsgericht aus seiner dienenden Funktion ableitet, freiwillig in das Fahrwasser privatwirtschaftlich motivierter Geschäftsinteressen […]