So titelt der Deutsche Kulturrat heute in einer Pressemitteilung. Der Grund: Für die am 29. November 2010 geplante Anhörung der „Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft“ zum Urheberrecht ist „nicht ein Vertreter der Urheber“, beklagt Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Stimmt das? Schauen wir uns die von den Fraktionen benannten Experten einmal näher an:
Der von der Koalition benannte Karlsruher Jurist Thomas Dreier ist einer der wenigen ausgewiesenen Urheberrechtsexperten in der Anhörung. Dreier ist Vorsitzender des Fachausschusses Urheberrecht der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz (GRUR), leitet das Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft in Karlsruhe und hat eine ganze Reihe einschlägiger Publikation zu digitaler Werkverwertung, Immaterialgüter- und Informationsrecht vorzuweisen. Er gilt in Sachen Urheberrecht weder als Radikalreformer noch als konservativer Hardliner. Urheber ist er freilich nicht – abgesehen von seiner wissenschaftlichen Publikationstätigkeit.
Auch von Christoph Freier von der Gesellschaft für Konsumwirtschaftsforschung kann man das nicht behaupten. Die GfK betreibt Marktforschung im Medienbereich in den Märkten Musik, DVD, Kino, Games, Download, Mobile Content und Buch. Wer sich zum Beispiel dafür interessiert, welchen Anteil der DVD-Absatz im Lebensmitteleinzelhandel am Gesamtumsatz der Videobranche hat, ist bei Christoph Freier goldrichtig. Dass der Mann auch von Urheberrecht eine Ahnung hat, glaubt offenbar zumindest die Koalition. Ob sie recht hat, wird sich am 29. November zeigen.
Wolfgang Kopf, ebenfalls ein von der Union benannter Sachverständiger, ist seit 2006 Leiter Politik und Regulierung der Deutschen Telekom AG. Sein Verantwortungsbereich umfasst „neben der nationalen und internationalen politischen Interessenvertretung die Verbands-, Frequenz- und Medienpolitik sowie sämtliche Regulierungsfragen im Konzern.“ Einer Internetseite der Telekom-Stiftung zufolge, von der diese Information stammt, hat er einen heißen Draht zum Chef René Obermann. Mit freiberuflichen Künstlern und Kulturschaffenden dürfte er zumindest beruflich eher selten zu tun haben.
Wolfgang Schimmel, ein von der SPD benannter Sachverständiger, war lange Justitiar der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und befindet sich nun, wie es bei ver.di heißt, „in der Freiphase seiner Altersteilzeit“. Leider gibt es bei ver.di nicht viele Leute, die Ahnung von Urheberrecht haben. Schimmel war einer davon, vertritt in letzter Zeit allerdings eher Verlegerinteressen.
Rolf Schwartmann wurde wiederum von der Koalition benannt. Er ist eher Experte für Rundfunkrecht als für Urheberrecht, leitet die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht und bewertet die neue GEZ-Haushaltsabgabe wie folgt: „Für den Bürger bringt das neue Modell Klarheit und Vorhersehbarkeit. Für die Sender ebenso – und dazu Stabilität. Zu mehr oder weniger Einnahmen soll es ihnen nicht verhelfen, ihnen aber die berechtigte Sorge vor Schwarzsehern nehmen und sie sicher in das Zeitalter der mobilen Endgeräte entlassen.“ Man darf gespannt sein, was Schwartmann zu den sicher nicht weniger berechtigten Sorgen der Urheber zu sagen hat, die schließlich auch ins Zeitalter der modernen Endgeräte entlassen wurden, ohne dass ihnen ein zeitgemäßes Vergütungsmodell „Klarheit und Vorhersehbarkeit“ für ihre Beteiligung an den Gewinnen digitaler Verwertung gebracht hätte.
Gerald Spindler, Lehrstuhlinhaber an der juristischen Fakultät Göttingen und ebenfalls von der Koalition benannt, hat sich, was das Internet als Rechtsbereich angeht, vor allem mit Internet-Unternehmensrecht beschäftigt, wie ein Blick auf seine Publikationsliste zeigt. Zwar hat er auch zu Open Source und Open Access gearbeitet, einen urheberrechtlichen Schwerpunkt hat seine Forschung jedoch nicht.
Peter Tschmuck, der „Kandidat“ der GRÜNEN, ist Musikwirtschaftsforscher von der Uni Wien und beackert unter anderem das spannende Feld Filesharing, wobei zu vermuten steht, dass er der in letzter Zeit von den Grünen mal mehr, mal weniger intensiv propagierten Idee einer Kulturflatrate nicht ganz ablehnend gegenüberstehen dürfte. Er ist zwar auch kein Urheberrechtsexperte, dafür aber Volkswirtschafter, was im Kontext der Anhörung durchaus eine Bereicherung sein könnte.
Matthias Spielkamp ist von der Fraktion DIE LINKE als Experte benannt worden. Spielkamp, der neben seiner Tätigkeit für iRights.info das Immateriblog betreibt, ist in erster Linie freier Journalist. Er schreibt für Magazine und Tageszeitungen und ist zudem als Dozent für Fortbildungen im Bereich Online-Journalismus tätig. Ob er sich mit Urheberrecht auskennt? Wer daran zweifelt, sollte „Matthias Spielkamp Urheberrecht“ bei Google eingeben. Und den Gegentest mit den Namen einiger anderer „Experten“ dieser Anhörung machen.
Fazit: Spielkamp ist von allen benannten Experten der einzige Urhebervertreter – und einer der wenigen bei der Anhörung befragten Experten, die die Interessen der Nutzer mit im Blick haben dürften. Das ist in der Tat schade. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse konnte die LINKE allerdings nur einen einzigen Vertreter benennen. Es darf zudem angemerkt werden, dass im Fachausschuss Urheberrecht des Deutschen Kulturrats auch eher wenige Urheber vertreten sind, dafür aber jede Menge Lobbyisten: von Florian Drücke vom Bundesverband Musikindustrie über Christian Sprang vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels bis hin zu Oliver Castendyk von der Allianz Deutscher Produzenten.
Recht hat Zimmermann dennoch mit seinem Vorwurf und auch mit der Feststellung, die digitale Welt mache es erforderlich, „über neue Nutzungs- und Abrechnungsmodelle nachzudenken“. Dass hierzu allerdings von Seiten der Urheber und Rechteinhaber Vorschläge vorlägen, die „vollständig ignoriert“ würden, wie es in der Presseerklärung heißt, ist etwas ganz Neues. Auf den Internetseiten des Kulturrats zumindest sind solche Vorschläge bislang nicht zu finden.
Im Deutschen Bundestag ist es, wie in den Landtagen ebenso, ansonsten üblich, dass neben Fachwissenschaftlern, die ihren persönlichen, wissenschaftlich fundierten Standpunkt vertreten, Vertreter von Verbänden zu Anhörungen eingeladen werden. Diese Verbandsvertreter sind eben nicht nur ihrer persönlichen Meinung verpflichtet, sondern an Positionen gebunden, die in den betreffenden Verbänden mehrheitsfähig sind und von ihnen beschlossen wurden. Diese Positionen haben ein Mehr an Verbindlichkeit als eine Einzelmeinung, so bedeutsam und richtig sie sein mag.
Mir fällt auf, dass im Unterschied zu sonstigen Anhörungen von Enquete-Kommissionen oder auch Ausschüssen die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestag wenig Wert auf diese abgesicherten Verbandspositionen legt.
Im Fachausschuss Urheberrecht des Deutschen Kulturrates, dem vornehmlich Verbandsvertreter angehören, davon allein 13 Vertreter von Verbänden der Urheber und 7 Vertreter von Verbänden der Verwerter, wird sehr intensiv um die Positionen zum Urheberrecht gerungen, da es uns darum geht, Lösungen vorzuschlagen, die für drei Seiten, die Urheber, die Verwerter und Vermittler, sinnvoll sind.
Letzteres ist mit einem Vorschlag zur rechtlichen Absicherung der Digitalisierung verwaister und vergriffener Werke erst vor wenigen Wochen geschehen. Der Vorschlag ist abrufbar unter: http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=1872&rubrik=4. Dieses Thema soll u.a. in der Anhörung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aufgerufen werden. Ich würde mich freuen, wenn der im breiten Konsens zwischen den Vertretern der Urheber, der Verwerter und der Vermittler erarbeitete Vorschlag in den Beratungen der Enquete-Kommission eine Rolle spielen würde.
Der Deutsche Kulturrat wird ferner voraussichtlich zu Beginn des neuen Jahres einen Vorschlag zu neuen Vergütungsmodellen für Nutzungen im Netz unterbreiten, der ebenfalls die verschiedenen im Deutschen Kulturrat vertretenen Interessen (Urheber, Verwerter, Vermittler) berücksichtigen wird.
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer
Deutscher Kulturrat
Tja, wenn es üblich ist, das die betroffenen Verbände einen Vertreter entsenden, so wäre es doch wohl eher sinnvoll, statt einen Vertreter aus einem eher undurchsichtigen Verein, hier Dt. Kulturrat, gleich Vertreter der Verleger oder der privaten Medien, zu berufen, oder?
Mir kommt so eine Äußerung in Form der Pressemitteilung eher so vor, als melde sich eine eher bedeutungslose Organisation zu Wort, um ja etwas vom Kuchen ab zu bekommen.
Vielen Dank für den sehr informativen Artikel. Ich beschäftige mich schon seit längerem mit der Materie. Der Artikel hat mir wirklich weitergeholfen.
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