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Vorratsdatenspeicherung light im TKG?

Enthält die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes (TKG), über die heute der Bundestag entscheidet, eine Vorratsdatenspeicherung light – eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür? Darüber hat sich auf netzpolitik.org eine Debatte entsponnen, deren Antipoden der FDP-Abgeordnete Manuel Höferlin (Nein) und der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz (Ja) bilden.

Hintergrund der Debatte bildet der Umstand, dass § 97 Abs. 4 TKG Synopse als pdf) in der Fassung des federführend im FDP-geführten Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteten ursprünglichen Entwurfs zunächst eine Einschränkung der Verkehrsdatenspeicherung zu Abrechnungszwecken auf 3 Monate vorsah, daraufhin aus den Reihen der CDU/CSU ein „Nachforderungspapier“ (wiedergegeben hier) vorgelegt wurde, in dem unter Berufung auf die Vorratsdatenspeicherung eine 6-monatige Speicherung von Verkehrsdaten eingefordert wurde, und schließlich die Endfassung keinerlei zeitliche Befristung zur Verkehrsdatenspeicherung mehr enthielt.

Eine spieltheoretische, unter Rückgriff auf das Gefangenendilemma erfolgende Betrachtung zeigt allerdings, dass das zustande gekommene Ergebnis tatsächlich die günstigste Variante unter den der in zentralen Bürgerrechtsfragen zerstrittenen Koalition möglichen Varianten darstellt: Von der Festschreibung einer 3-Monatsfrist hätte die FDP profitiert, CDU/CSU die weiterhin für die 6-Monatsfrist nach der Vorratsdatenspeicherung eintreten hingegen nicht. Umgekehrt hätten von der der Festschreibung einer 6-Monatsfrist CDU/CSU profitiert, die FDP – die weiterhin gegen die 6-monatige Vorratsdatenspeicherung opponiert –  hingegen nicht.

Die Entscheidung zu keinerlei Befristung war demnach durchaus rational. Das heißt nicht, dass das zustande gekommene Ergebnis aus der Perspektive des Datenschutzes und digitaler Bürgerrechte ein begrüßenswertes ist – im Gegenteil. Es zeigt aber, dass sich die Koalition im TKG lediglich ein schließlich befriedetes Nebenscharmützel zum weiterhin bestehenden Hauptkampfplatz Vorratsdatenspeicherung lieferte. Auf letzterem wird die Entscheidung über die Dauer der anlasslosen Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten fallen. Insofern ist Markus Beckedahl zuzustimmen, der auf netzpolitik.org kommentiert:

Wichtiger als die Debatte um die vermeintliche Vorratsdatenspeicherung light finde ich das Versagen der Koalition, klare Regeln für eine Sicherung der Netzneutralität zu schaffen.

Tatsächlich haben die Regierungsfraktionen auf dem Feld der Netzneutralität ein Placebo geschaffen, das lediglich dazu dient, den Begriff – was zuvor nicht der Fall – im Gesetzestext zu erwähnen. Ein Placebo, das im übrigen eine nicht willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine gerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs gerade nicht ausschließt.

2 Kommentare zu “Vorratsdatenspeicherung light im TKG?”

  1. Horst Scheele sagt:

    Liebe Mitglieder der Digitale Linke,
    Lieber Jürgen,

    sicherlich ist die Einführung der unbefristeten Vorratsdatenspeicherung in § 97a TKG ein Ergebnis zur notwendigen Umsetzung der EU-Richtlinie (2006/24/EG). Diese hätte bis zum 15.07.2007 in innerstaatliches Recht umgesetzt werden müssen.Sie sieht die Speicherung von Verbindungsdaten beim Zugang zum Internet sowie bei der Nutzung von Internet-Telefonie und elektronischer Post zwingend vor.
    Ausweislich einer Mitteilung unter http://www.juris.de vom 27.10.2011 hat nunmehr die EU-Kommission gegen Deutschland und Rumänien wegen der Nichtumsetzung von EU-Recht ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art 258 des EU-Vertrages in der 2.Stufe eingeleitet. Daraufhin hat das Justizministerium am 16.08.2011 der Kommission mitgeteilt, dass sich die Umsetzung im interministeriellen Stadium befindet.

    Also sind Beschwerden wegen der einer uferlosen Vorratsdatenspeichung auch bei unseren EU-Abgeordneten angebracht.

    Viele Grüße
    Horst

  2. Juergen Scheele sagt:

    Unabhängig von der Frage, ob § 97 TKG zur Erfüllung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung dient (ich meine eher Nein), und unbenommen des Sachverhalts, die Thematik immer wieder bei den Abgeordneten des EP in Erinnerung zu rufen, sind die Rechte des EP begrenzt. Es besitzt kein unmittelbares Initiativrecht, kann also im Unterschied zur KOM keine eigene Gesetzesvorlagen einbringen (Art. 294 AEUV). Allenfalls könnte es mit der Mehrheit seiner Mitglieder die KOM auffordern, einen geeigneteren Vorschlag zu unterbreiten. Jedoch wäre ein solcher EP-Bechluss für die KOM nicht bindend (Art. 225 AEUV).

    Die jüngst gesetzte 2-Monatsfrist der KOM – also bis etwa Ende 2011 – ist der zweite Schritt in einem Vertragsverletzungsverfahren, nach der durch BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010 in Deutschland ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung. Der dritte Schritt bestünde in einer Klage der KOM gegen Deutschland vor dem EuGH. Davon abgesehen könnte die BReg nach Art. 263 AEUV auch selbst vor dem EuGH Klage gegen die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung erheben – bspw. unter Bezug auf Art. 16 AEUV (Recht auf Schutz personenbezogener Daten) sowie Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) u. 11 (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) EU-Grundrechtecharta.

    Letzteres aber erscheint aufgrund der Zerstrittenheit der Koalition in dieser Frage momentan wenig wahrscheinlich – vielleicht aber ist es auch ein Weg für sie, das Problem loszuwerden …

    Herzliche Grüße