Beim Schlagwort eGovernment denken viele erst einmal an den Internet-Zukunftsdialog der Kanzlerin. In Wirklichkeit geht es jedoch um etwas anderes: Die öffentliche Verwaltung soll komplett auf online umgestellt werden, weil dann angeblich alles billiger, effektiver und moderner wird. Verkompliziert wird dieses Vorhaben allerdings dadurch, dass für Bürgerinnen und Bürger, wenn sie mit Behörden und Ämtern zu tun haben, meist irgendetwas Offizielles auf dem Spiel steht. Sie wollen wissen, ob sie einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben oder nicht. Ob sie Strafe zahlen müssen, wenn sie bei der Steuererklärung eine Frist verpasst haben. Ob es schlimm ist, wenn sie vergessen haben, sich beim Meldeamt zu registrieren.
Im Kontakt mit der öffentlichen Verwaltung kommt es also oft auf rechtssichere Kommunikation an. Für diese aber gilt in aller Regel das Schriftformerfordernis. Wer auf elektronischem Wege rechtssicher kommunizieren will, benötigt dafür eine qualifizierte elektronische Signatur. So steht es im Signaturgesetz.
Die qualifizierte elektronische Signatur ist der Bundesregierung ein Dorn im Auge, weil die meisten Bürgerinnen und Bürger den damit verbundenen technischen Aufwand scheuen. Aber sie kann sie auch nicht einfach wieder abschaffen, denn das käme einem Eingeständnis des Scheiterns gleich. Deshalb will die Bundesregierung nun ein Gesetz durch den Bundestag bringen, das eine Art Schildbürgerstreich ist. Es schafft nicht die qualifizierte elektronische Signatur ab, dafür aber das Schriftformerfordernis. Zumindest für den Bereich der öffentlichen Verwaltung.
In der Praxis bedeutet das: Wer möchte, darf weiter die elektronische Signatur verwenden. Aber De-Mail oder die eID-Funktion des neuen Personalausweises genügen zukünftig auch, um Rechtssicherheit herzustellen. Versprochen ist versprochen: alles wird einfacher.
Nur eben nicht gerade sicherer. Deshalb war das De-Mail-Gesetz von Anfang an umstritten. Die vermeintlich „sichere“ Mail, so stellte sich heraus, ist gar nicht sicher, weil sie auf dem Weg vom Absender zum Empfänger „umgeschlüsselt“ wird. Der Internet-Provider macht die verschlüsselte Mail also kurz auf und klebt sie wieder zu, bevor er sie weitersendet. Das ist keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und entspricht daher nicht dem Signaturgesetz. Entsprechend ist es bis heute nicht möglich, rechtssicher über De-Mail Adressen zu kommunizieren – jedenfalls nicht, wenn das Rechtsgeschäft die Schriftform voraussetzt.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die Bundesregierung das Geld, das in die Entwicklung von De-Mail geflossen ist, investiert hätte, um die bestehenden Verfahren der elektronischen Signatur so weiterzuentwickeln, dass sie anwenderfreundlicher werden. Stattdessen sieht man in solchen Mindestkriterien für eine vertrauliche Kommunikation jetzt nur noch „rechtliche Hindernisse für den Einsatz elektronischer Kommunikation zwischen Behörden sowie Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft“.
Beim Versuch, diese Hindernisse abzubauen, kommt die Bundesregierung in die Verlegenheit, eine Vielzahl von Einzelgesetzen ändern zu müssen: „Ein wesentliches Hindernis für E-Government-Angebote der öffentlichen Verwaltung besteht darin, dass als elektronisches Äquivalent der Schriftform allein die qeS zugelassen ist. Im Gegensatz zum Zivilrecht gibt es in öffentlich-rechtlichen Normen eine große Anzahl (mehrere Tausend) von gesetzlichen Schriftformerfordernissen.“ Und so geht es rund: Verwaltungsverfahrensgesetz, Sozialgesetzbuch, Abgabenordnung, Passgesetz, Personalausweisgesetz, Gesetz über Umweltverträglichkeitsprüfung, Umweltschutzprotokoll-Ausführungsgesetz, Aufenthaltsgesetz, Bundesstatistikgesetz, Rechtsdienstleistungsgesetz, Satellitendatensicherheitsgesetz, Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern, Gewerbeordnung, Handwerksordnung, Sprengstoffgesetz, Berufsbildungsgesetz, Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz, Straßenverkehrsgesetz etc. pp. Überall gibt es irgendwo ein lästiges Schriftformerfordernis, das man kippen und durch De-Mail ersetzen möchte.
Angeblich sind ohnehin nur 300.000 Personen in der Lage, beim Mailversand eine qualifizierte elektronische Signatur zu nutzen – während schon 2 Millionen Nutzer die eID-Funktion des neuen Personalausweises freigeschaltet haben. Aus Sicht der Bundesregierung ist das offenbar ein klarer Fall von Vorsprung durch Technik. Wobei die Ablösung der qualifizierten elektronischen Signatur durch DE-Mail und eID erst der Anfang sein soll: „Auf diesen Regelungen aufbauend soll in einem nächsten Schritt eine Überprüfung des gesamten Normenbestandes dahingehend erfolgen, welche der zahlreichen öffentlich-rechtlichen Schriftformerfordernisse aus heutiger Sicht entbehrlich sind.“ Man darf gespannt sein.
Billig wird die Sache jedenfalls nicht: Über mehrere Jahre hinweg sind Haushaltsausgaben von mehr als 500 Millionen geplant. 400.000 Euro soll allein die zentrale Anbindung der Bundesverwaltung an De-Mail kosten, 32 Millionen Euro werden für die Schulung der Mitarbeiter veranschlagt, und laufende Betriebskosten werden mit 700.000 Euro im Jahr beziffert. Letztere Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die Bundesebene. Die Kosten für die Länder und Kommunen sind darin noch nicht enthalten.
Dafür sollen die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft jede Menge Zeit und Geld sparen: „aufgrund vereinfachter Dateneingabe, schnellerer Übermittlung und gegebenenfalls eingesparter Wegezeiten“. Das klingt gut. Die mitgelieferten Zahlen lesen sich allerdings wie Satire. Jährlich kommt die Regierung dabei auf „rund acht Minuten pro Person“, auf „Portokosten von 0,55 Euro“ sowie auf eingesparte „Materialkosten für Druck und Kuvertierung von rund 0,10 Euro pro Kontakt“. Man könnte jetzt ausrechnen, nach wie vielen Behördenkontakten sich die Investitionskosten amortisiert haben werden. Oder man könnte fragen, warum die Bundesregierung eigentlich von 55 Cent Portoersparnis ausgeht, obwohl doch bekanntlich auch der Versand von De-Mails kostenpflichtig ist. Ein Rechenfehler? Keineswegs. Hier die Auflösung: Ein Bürger hat „im Durchschnitt ca. zwei Behördenkontakte pro Jahr“, weiß die Bundesregierung, und „bei rund der Hälfte“ (also wohl bei einem davon) könnten in Zukunft elektronische Verfahren eingesetzt werden. Und jetzt kommt der Clou: Bis zu drei De-Mails im Jahr sind kostenlos!
Den ganzen Gesetzentwurf gibt es hier zum Nachlesen.
Das Gesetz macht keinerlei Vorgaben, welche Preise ein De-Mail Anbieter von seinen Kunden nehmen soll -wie auch.
Bei der Telekom sind aktuell 50 De-Mails – und später 3 – pro Monat (nicht Jahr!) kostenlos. Ein De-Mail Anbieter, der 3 kostenlose De-Mail pro Jahr anbietet kenne ich nicht. Daher vermute ich, dass es ein Fehler im Text ist.
Die 3 De-Mails pro Monat sind tatsächlich Ergebnis von Marktforschung. Man verschickt pro Jahr ca. 20-30 Einschreiben. Diese sollen in Zukunft teilweise durch diese dann kostenlosen De-Mails abgelöst werden können.
Aus rechtlicher als auch aus technischer Sicht ist klar, dass für eine verlässliche Garantie der Authentizität sowie Integrität bei digitalen Rechnungen dennoch kein Weg an der Signatur vorbeiführt!!
Die qualifizierte Signatur hat nichts mit Verschlüsselung zu tun. Hatte sie noch nie. Das Signaturgesetz beschäftigt sich auch nicht mit Verschlüsselung. Auch eine klassische Unterschrift sichert keine Vertraulichkeit, sondern nur die Authentizittät (=wer unterschreibt) und Integrität (=was wird unterschrieben).
@Veronika Merl: Wenn man auf Papier keine Unterschriften unter Rechnungen benötigt, wozu dann im elektronischen Verkehr? Wer eine Rechnung bekommt, muss immer prüfen, ob er beim Absender etwas bestellt und das Bestellt auch geliefert hat – welche Kontrolle sollte darüber hinaus noch nötig sein?
Die Zukunft ist da schon, und die industrielle Revolution ist übertroffen. Heutzutage sind die technischen Entwicklungen so entwicklungsfähig und schnell, wie ihre Anwendung manchmal schwer ist, für das Gemeinsame der Sterblichen zu folgen.