DIGITALE LINKE
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Das Netz, die Eigentumsfrage und die Freiheit der Kommunikation (Teil III)

Offenheit als Kontingenz

Tatsächlich muss die praktizierte und noch bestehende Offenheit des Netzes als „kontingent“ (ebd.) angesehen werden. Umgekehrt allerdings gilt das ebenso für seinen prognostizierten Zerfall in Territorien. Beide Szenarien verweisen in ihren grundlegenden Implikationen zurück auf zu führende politische Auseinandersetzungen. Denn folgendes ist zu proklamieren: Obgleich die Offenheit des Netzes nicht als Wesensnotwendigkeit zu begründen ist, so bleibt sie doch politisch möglich. Darauf reflektiert in besonderer Dringlichkeit ebenfalls ein jüngerer Mahnruf von Tim Berners-Lee.

Die konkreten Bedrohungen auflistend – Einzäunung und Abschottung von Informationen in Sozialen Netzwerken, Smartphones und Pads; Drosselung und Unterbindung des Zugangs zu rivalisierenden Diensten im mobilen Internet; fortschreitende Überwachungszugriffe auf die Informationsinfrastruktur durch autoritäre ebenso wie durch demokratische Regierungen –, konstatiert er: „Sollten wir, die Nutzer des Netzes [im Orig.: Web], diese und andere Tendenzen weiterhin ungehindert an uns vorbeiziehen lassen, zerbricht das Netz in fragmentierte Inseln. Wir verlören die Freiheit zur Vernetzung mit den Webseiten unserer Wahl.“ (Berners-Lee 2010)

Auf die Frage, warum das die Nutzerinnen und Nutzer tangieren sollte, antwortet der Begründer des World Wide Web: „Weil das Netz euch gehört. Es ist eine öffentliche Ressource, auf die ihr, eure Wirtschaft, euer Gemeinwesen und eure Regierung angewiesen seid. Das Netz ist ebenso unverzichtbar für die Demokratie – ein Kommunikationskanal, der ein kontinuierliches weltweites Gespräch ermöglicht.“ (ebd.) Bereinigt vom emphatischen Überhang und idealistischen Impetus verbleibt in Berners-Lees Aussagen der Hinweis auf das Netz als öffentliche Ressource, die implizite Aufforderung zur Revitalisierung und Zurückgewinnung des öffentlichen Raums Internet.

Nicht grundlos scheint an dieser Stelle die Eigentumsfrage auf. Netzförmige Infrastrukturen und immaterielle Informationen gelten der neoklassischen ökonomischen Theorie als öffentliche Güter (Kollektivgüter). Im Unterschied zu privaten Gütern, die als uneingeschränkt marktfähig bewertet werden, wird die Inanspruchnahme von Kollektivgütern nicht durch einen Knappheitspreis gesteuert. Mit Hilfe der Klassifikationskriterien Ausschließbarkeit vom Konsum und Rivalität im Konsum ist es in Fortschreibung dieses Ansatzes möglich, unterschiedliche Arten von Kollektivgütern zu unterscheiden und gegenüber privaten Gütern abzugrenzen (Hess/Ostrom 2007). Während die Netzinfrastruktur ein unreines öffentliches Gut darstellt – sprich: das Ausschließen eines Nutzers vom Konsum ist nicht oder nur schwer möglich, gleichwohl wird der Nutzen des Gutes (zumindest ab einer kritischen Größe) durch weitere Nutzer eingeschränkt –, handelt es sich im Falle von digitalen Informationen um reine öffentliche Güter.

Sie besitzen im Konsum die Prinzipien Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität. In Differenz zum Konsum eines privaten Gutes, für das der Merksatz gilt: Ein Apfel kann nur einmal gegessen werden, werden zusätzliche Nutzer weder ausgeschlossen, noch wird der Konsum eines solchen Gutes durch weitere Konsumenten desselben Gutes beschränkt. Aus diesen Gründen betragen die Grenzkosten des Konsums reiner öffentlicher Güter ebenso wie deren Marktpreis Null (Boyle 2003; Benkler 2006). Kosten fallen lediglich für das Erstellen der ersten Kopie (First Copy) an. Im Falle unreiner öffentlicher Güter ist es ähnlich, hier sind die Grenzkosten niedrig, die Fixkosten zur Erstellung der Infrastruktur enorm. Markt- oder Wettbewerbsversagen ergibt sich zudem aus den Eigenschaften eines natürlichen Monopols. Das Verlegen paralleler Netze führte in der Regel dazu, dass die relevante Nachfragemenge zu volkswirtschaftlich höheren Kosten produziert würde.

Folglich können Märkte öffentliche Güter nicht effizient bereitstellen. Es bedarf daher einerseits einer Fülle von Regulierungsmaßnahmen, um für den privaten Betrieb von Netzinfrastrukturen wettbewerbliche Marktbedingungen zu schaffen (Fischbach 2009a), andererseits Strategien des Ausschlusses vom Konsum (Kopplung an stoffliche Träger, Verschlüsselung) in Verbund mit der Errichtung ausschließlicher Nutzungsmöglichkeiten durch geistige Eigentumsrechte oder der Finanzierung auf Umwegen (Datenhandel, Werbung), um Informationsgüter marktfähig zu machen (Goldhammer 2006). In der Vergangenheit waren solche informationellen Verwertungsstrategien durchaus erfolgreich. In Form von – um nur einige zu nennen – Print-Medien, CDs, DVDs (Kopplung an stoffliche Träger), Pay-TV (Verschlüsselung) sowie Privat-TV (Werbung) gelang es der Medien- und Unterhaltungsindustrie, für sie praktikable Geschäftsmodelle zu etablieren.

Unter den Bedingungen einer netzwerkbasierten Informationsökonomie allerdings stellt sich die Frage nach Geschäftsmodellen neu: Einerseits bestehen Verschlüsselung, Datenhandel und Werbung als Strategien zur Kommodifizierung reiner öffentlicher Güter fort, andererseits bereitet die Bindung von Informationen an das materielle Trägermedium fortgesetzte Schwierigkeiten. Proprietäre Hard- und Software, Clouds und andere Walled Garden-Geschäftsmodelle bilden hier den Pol zur Inwertsetzung auf der einen, der Zugriff bis hinein in die Kommunikationsprotokolle und die Ebene des Datentransports jenen auf der anderen.

Wissen–Information–Daten

Wie tiefgreifend der Kontrollzugriff aus der Perspektive gesellschaftlicher Organisation und Teilhabe tatsächlich ist, wird deutlich unter Betrachtung des zugrundeliegenden Systems in dem Verhältnis von Wissen, Information und Daten. In ihm bezeichnen Daten kodierte Informationen in Form roher Bits (Einsen und Nullen), Informationen die strukturierte Anordnung von Daten in einem Kontext sowie Wissen – verstanden als Ensemble aller intelligiblen Aktivitäten – die Aufnahme und das Verstehen von Informationen (Hess/Ostrom 2007). Entsprechend gilt die Korrelation: „Wissen entstammt Information, ebenso wie Information Daten entstammt.“ (Davenport/Prusak 1998) Aus der wechselseitigen Beziehung Wissen–Information–Daten resultiert im digitalen Umfeld unmittelbar zweierlei:

Erstens erfolgt der Kontrollzugriff nicht allein zur Unterbindung der Zirkulation des noch letzten freigesetzten Werkes, sondern auch im Wettbewerb und Konkurrenzkampf um erweiterte Akkumulationsressourcen. Zu benennen sind Bestrebungen zur Patentierung von Datenanordnungen etwa im Falle von Gensequenzen oder des Schutzes in der Zusammenstellung von ausgestalteten Bit-Folgen zur Kontrolle noch kleinster, verwertbarer Informationseinheiten (Boyle 2003). Zweitens ist der Kontrollzugriff auf der Ebene der Datenübertragung unabdingbar verbunden mit einem Eingriff in die Freiheit von Kommunikation selbst. Denn: „Kommunikation ist der Austausch von Bedeutungsgehalten durch den Austausch von Informationen.“ (Castells 2009) Die Prozesse der Kommunikation werden entsprechend durch die Technologie der Kommunikation und ihrer Einbettung in den Kontext der sozialen Beziehungen definiert. Aus diesen Gründen können im digitalen Zeitalter die Protokolle der Kommunikation nicht länger zu den Prozessen kommunikativen Handelns ausgelagert begriffen werden (ebd.).

Die ausgreifende Landnahme auf dem Gebiet der Kommunikations- und künftigen Akkumulationsressource Wissen–Information–Daten wird von den Vertretern des aus dem kritischen Teil eines grundlegend offeneren US-Wissenschaftsmilieus entstammenden, in Europa weitgehend noch randständigen Diskurses über Digital Commons (Digitale Gemeingüter) als „zweite Einhegungsbewegung“ (Boyle 2003) benannt. Nach der Einhegung und gewaltsamen Umwandlung von Gemeindeland in Privateigentum zu Beginn der industriellen Revolution erfolgt diesem Befund zufolge heute die „Einhegung der immateriellen Gemeingüter des Geistes“ (ebd.). Die Gemeingüter der Kommunikationsrevolution des Netzes werden zur erweiterten Profitgenerierung und zur Verwandlung persönlicher Freiheiten in Waren durch die Unterhaltungsindustrie angeeignet, die sozialen Subjekte gleichsam „expropriiert“ (Castells 2009), heißt es an anderer Stelle.

Auch wird aus dieser Denkrichtung darauf verwiesen, dass es aus wohlfahrtsökonomischer Sicht effizienter wäre, digitale Informationen allen potenziellen Nutzerinnen und Nutzern unentgeltlich – oder allenfalls zu Kosten, die ihre Erstellung verursachen – zur Verfügung zu stellen (Benkler 2006). Im Fokus des Commons-Diskurses stehen neue institutionelle Formen nicht-marktvermittelter Produktion und Distribution im digitalen Umfeld. Konträr zum Prozess der Privatisierung und Inwertsetzung von Gemeingütern werden das Recht auf Zugang, Nutzen und Teilen, die Bewahrung des Gemeinguts Wissen und der Erhalt des Gemeinguts Kommunikation proklamiert (Benkler 2006; Hess/Ostrom 2007; Castells 2009).

Das Netz im Sinne einer Public Domain (Öffentliche Domäne) oder einer Common-Pool Resource (Gemeinressource) als handlungs- und nutzungsoffenen Raum zu gestalten, bedarf neuer institutioneller Formen gesellschaftlicher Teilhabe. Forschungsarbeiten zu Regulationsmodellen von Gemeinressourcen jenseits von Markt und Staat liegen vor, konkretisierende Überlegungen zur institutionellen Gestaltung des komplexen Systems Internet allerdings befinden sich noch in den Anfängen. Andere Gestaltungsoptionen jenseits von Überwachung und Inwertsetzung bestehen nicht. Eine Revitalisierung und Zurückgewinnung des Netzes als öffentlicher Raum kann angesichts eines globalen Informationsraums nicht über eine Wiederherstellung überlieferter Formen von Staatseigentum bewerkstelligt werden.

Neue institutionelle Formen von nicht-marktvermittelter Produktion und Distribution bedürfen ferner neuer Vergütungsmodelle für Wissens-, Kultur- und Informationsproduzenten. Mit Konzepten wie der Content-Flatrate (Grassmuck 2008), auch unter den Bezeichnungen Kulturflatrate und Tauschlizenz bekannt, oder der Kulturwertmark (CCC 2011) liegen erste Vorschläge zu einer pauschalen Vergütung von Urheberinnen und Urhebern digitaler Werke vor. Trotz Unterschiede in Philosophie und Details: Gemeinsam ist ihnen, dass sie eine bessere Entlohnung von Kreativen sicherstellen und den Krieg gegen das Kopieren und das nicht-kommerzielle Filesharing beenden wollen. Es sind erste Hervorbringungen zur Ausgestaltung von sozialen Ökonomien im Digitalzeitalter, für dessen Gesellschaften gilt, dass die „Protokolle der Kommunikation nicht auf dem Teilen von Kultur, sondern auf der Kultur des Teilens“ beruhen (Castells 2009).

Es sind zugleich Gestaltungsentwürfe in Form einer alternativen Eigentumspolitik. Diese steht konträr zu einem sich herausbildenden informationellen Akkumulationsregime des „digitalen Kapitalismus“ (Schiller 2007), dessen Voraussetzungen auf der proprietären und verknappenden Aneignung von Gemeingütern sowie deren Verrechtlichung durch die Schaffung informationeller Eigentumsrechte beruhen. Die Auseinandersetzungen um digitale Commons und die Kämpfe gegen die Überwachung des Netzes sind, ob bewusst oder nicht, folglich zugleich globale Gegenbewegungen zu einer Politik der Privatisierung im Rahmen des sogenannten Washington Consensus (Boyle 2003; Castells 2009).

Mit ihm wird seit den 1990er Jahren die neoliberale Globalisierung des Konzernkapitalismus betrieben und mit ihm werden die kulturellen und informationellen Ressourcen im Prozess fortschreitender Digitalisierung zu gewichtigen Sektoren der Kapitalakkumulation. Daher stellt sich die Frage: Kann dieser Kampf um eine digitale Allmende gewonnen werden? Unsere Antwort lautet: Wir wissen es nicht! Gewiss scheint lediglich: „Es ist die Aufgabe der Generation von heute, die Pfade der Erkenntnis offen zu halten.“ (Hess/Ostrom 2007) Und: Es wird keine leichte Aufgabe sein, den „Machthabern der Netzwerkgesellschaft“ aus Konzernkapitalismus und Staat in dem Bestreben „zur Einhegung freier Kommunikation in kommerzialisierten und überwachten Netzwerken“ (Castells 2009) entgegenzutreten.

2 Kommentare zu “Das Netz, die Eigentumsfrage und die Freiheit der Kommunikation (Teil III)”

  1. Ich würde mich freuen, wenn die Literaturliste zu den Klammerangaben nachgereicht würde – spätere Printfassung hin oder her. Danke!

  2. […] unter dem Titel „Das Netz, die Eigentumsfrage und die Freiheit der Kommunikation“ (I, II, III) erschien. Der Text des Vorworts steht unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 und ist in […]