DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Der schrille Sound des Feuilletons

An der Debatte um das Buch „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegemann ist sehr vieles interessant – bis auf das Buch selbst und die Autorin. Es würde kaum verwundern, wenn der Roman nur veröffentlicht wurde, um den Literaturbetrieb im Land der Dichter und Denker als überdrehten Christkindlmarkt der geldgetriebenen Hysterien zu entlarven. Blogger Deef Pirmasens schreibt zum Plagiatsfall:

Es ist nicht Heleme Hegemanns alleinige Schuld, aber sie hat durch ihr Wirken nacheinander das Ansehen der deutschen Literaturkritik, des Ullstein Verlags und gestern das des Buchpreises der Leipziger Buchmesse beschädigt.

Was, wenn das die Absicht war?

Nachdem „Lila, Lila“ den romantisch-verkitschten Seitenhieb auf diesen Betrieb anbot, kommt nun die Hardcorevariante – allerdings in realitas. Das deutsche Feuilleton konnte sich zunächst kaum einkriegen vor so viel Talent. Nun erfolgt, nach der vermeintlichen Enttarnung des „Plagiatfalls Hegemann“ die 180-Gradwendung. Dabei sind bezeichnenderweise Männer die Protagonisten. Und sie machten die Fehler, die den Literaturbetrieb kennzeichnen: 

1. Sie vergaßen, dass Literatur IMMER Fiktion ist. Sie lasen „Axolotl Roadkill“ wie das Tagebuch einer 16-jährigen. Peter Mühlbauer verweist zu Recht auf die Implikationen dieser Sichtweise in den Zeiten von Sperrgesetzen und Zensurdebatte.  Das Buch „Strobo“, in dem der Blogger Airen, eine von Hegemanns Quellen, seinen Blog ausdruckte, hat jedenfalls kaum Aufsehen erregt, obwohl Airen die Geschichten in einer „schlimmen Zeit“ seines Lebens so oder so ähnlich erlebt haben dürfte. Aber ein einsamer Praktikant einer großen Unternehmensberatung – auf der Suche nach dem großen  MEHR – hätte wohl zu sehr auf die Protagonisten auf den Wirtschaftsseiten der genannten großen Tageszeitungen verwiesen. Zudem ist das Buch in einem Subkulturverlag ohne PR- und Marketingabteilung. erschienen. Seine Credibility ist unbestritten, als Projektionsfläche für Altherrenphantasien ist er hingegen unbrauchbar. Er hält auch keine Geldmaschine am Laufen, sondern liest bestenfalls auf eigene Rechnung in Clubs. Die Diagnose Airens (FAZ), dass sein Buch selbst jetzt, nach der Entlarvung des „Plagiatsfalles“, keine besondere Beachtung in den Zeitungen fände, ist aus der Logik des „Betriebes“ heraus durchaus begründet. Niemand in diesem Apparat hat ein Interesse an einem 28jährigen Erwachsenen, der nach einer harten Zeit der Adoleszenz glücklich sein Leben lebt.

2. Sie sind erzürnt, dass Hegemann nicht das ist, was sie selbst in ihrer Jugend gern gewesen wären – ein abgefucktes, wildgewordenes, einsames Genie, das alle lieben. Möglicherweise ist der Roman von einem ganzen Team von Menschen geschrieben worden und Helene Hegemann fungierte lediglich als Marke. Beispiele für solch ein Vorgehen gibt es nicht erst seit Bertolt Brecht, der zumindest ab Mitte der 20er Jahre neben dem Beruf des Dichters und Regisseurs auch als Geschäftsführer und Marketingleiter von „Brecht&Co.“ (John Fuegi) fungierte. Und natürlich gehören auch Quellen dazu, aus denen sich ein Autor oder eine Autorin des 21. Jahrhunderts bedienen kann – und sogar muss. Es gibt keinen Grund, solch ein Vorgehen in einer ansonsten arbeitsteilig organisierten kapitalistischen Ökonomie problematisch zu finden. Der „Bestohlene Blogger“ Airen sieht dies im genannten Interview in der FAZ klar. Auf die Frage, ob er sich als Opfer fühle, antwortet er zunächst, dass Hegemann ihm nichts getan hätte. Die Geschichte bleibe seine. Anders sieht es mit dem Kapital in der Aufmerksamkeitsökonomie aus, da sei er wohl ein Opfer:

Was die Urheberrechtsverletzung angeht: ja. Helene Hegemann hat sich auf eine ungerechte Art und Weise bereichert, wie es viele Menschen jeden Tag tun, aber nicht auf meine Kosten.

Stehlen und bestohlen werden – es gibt keinen Grund, die Literatur zur Ausnahme von der Regel zu stilisieren. Es sei denn, der geschätzte Kritiker hängt der bürgerlichen Ideologie an, dass die Literatur der von Geld und Macht befreite Raum für den unverfälschten Ausdruck eines einsamen, aus sich schöpfenden Individuums sei. Dazu Jürgen Kaube:

Doch eine von der Angst bürgerlicher Blässe und des Altwirkens heimgesuchte Literaturkritik freut sich dann daran, dass das Leben die Hosen herunterlässt, die den Kritikern selbst nicht mehr passen, man feiert das junge Célinchen als görè fatale, obwohl sie selber eine Stubenhockerin ist, die Bücher und Webseiten ausgewertet hat.

Spannend ist an dem Buch doch nicht, wer was dazu beigetragen hat, sondern ob es beim Leser funktioniert und welche Debatten es auslöst. Alles andere ist Klatsch und Tratsch. Oder „Verlags-PR“ (Maxim Biller). Oder Verhandlungssache zwischen Justiziaren. Oder ein gefundener Gegenstand für die Rezeptionsforschung mit Genderperspektive – je nach Sichtweise. 

 

3 Kommentare zu “Der schrille Sound des Feuilletons”

  1. […] Dichter und Denker als überdrehten Christkindlmarkt der geldgetriebenen Hysterien zu entlarven. … — digitale linke Beschlagwortet mit:Autor, Axolotl Roadkill, Helene Hegemann, Star, Urheberrecht, […]

  2. Björn Grau sagt:

    Kleine Detailkritik:
    Die „Autorin“ ist sehr wohl interessant. Sei es als Marke, die Du ja selbst ansprichst (das junge wilde Ding, dass die Rezensenten geil fänden), sei es die dahinterstehende Person, weil Helene Hegemann den Text vielleicht ja doch allein zusammenkopiert hat, was weiterhin einiges an schriftstellerischem Talent für einen Teenager bedeuten würde (aber eben nicht in die Phantasien und Autorschaftskonzepte des bürgerlichen Feuilletons passt).
    Und das Buch im Sinne des Romans ist mindestens aus der perspektive intertextueller Analyse ebenfalls interessant. Was alles wurde da wie zu welchem Mehrwert zusammengestellt, wäre da die Leitfrage.

    Das tangiert alles Deine sehr treffende und gelungene Argumentation zum Plagiatsdiskurs nicht, aber die hätte auch Dein lediglich als Behauptung erscheinendes Diktum des Nicht-Interessant-Seins von Autorin und Text gebraucht.

  3. […] usw., vielleicht auch an Hegemann selbst Kritik üben, auch wenn einige Feuilletonisten (wie wir hier kommentiert haben) dabei ein Opfer ihrer eigenen eigenartigen Prämissen und Vorstellungen geworden […]