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Grüne: In dubio pro Leistungsschutzrecht?

Die Anhörung zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage des Bundesjustizministeriums am Montag letzter Woche (28.06.2010) war eine skurrile Veranstaltung. Auf dem Podium saßen die Beamten des Ministeriums, davor die Presseverleger, die ihre Forderungen präsentierten, nicht aber präzisierten. Im Rest des gut gefüllten Saals hatten die Kritiker Platz genommen. Die Beamten beschränkten sich aufs Moderieren, hatten keine Nachfragen, blieben überwiegend stumm – sie waren in ein Spiel geraten, dessen Spielregeln ihnen von den Presseverlegern vorgegeben werden. Durch geschicktes Lobbying hatten insbesondere Burda und Springer im letzten Jahr dafür gesorgt, dass die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht Aufnahme in den Koalitionsvertrag fand.

Robert Schweizer, Vorstandsmitglied für Recht und Compliance der Hubert Burda Media GmbH, und Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG, waren es denn auch, die im Verbund mit dem von ihnen engagierten Juristen Jan Hegemann (wir berichteten) die eigentliche Regie führten. Das mißlang ihnen im Verlauf der Veranstaltung aufgrund zahlreicher, zunehmend neuer Interventionen von Seiten der Kritiker gründlich. Im Nachhinein muss sogar von einem (zumindest) argumentativen Scheitern ihres Anliegens gesprochen werden.

Einen Tag später berichtete auch Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion und für diese zugleich Mitglied in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, über die Veranstaltung. Doch trotz der schlechten Performance der Presseverleger konnte sie sich nicht zu einem Nein zum Leistungsschutzrecht durchringen. Ihren Blog-Beitrag „Anhörung zum Leistungsschutzrecht. Was will es, was kann es?“ beschloss sie mit den Worten:

Dennoch bin ich um jede Redakteursstelle dankbar, die erhalten bleiben kann, weil ein Verlag über ein Leistungsschutzrecht Zusatzeinnahmen generiert. Und wenn die Journalistinnen und Journalisten über die VG Wort angemessen an den Einnahmen beteiligt werden, das Urheberrecht nicht geschwächt wird und die Verlage sich darauf einlassen, keine Total-Buy-Out-[V]erträge mehr abzuschließen, dann werde ich mir überlegen, ob das Leistungsschutzrecht ein Baustein in einem Gesamtpaket zum Erhalt medialer und journalistischer Vielfalt sein kann.

Nun hatten die Verleger auf der Anhörung ausdrücklich erklärt, dass die Problematik der Total-Buy-Out-Verträge, in denen die Autoren alle Verwertungsrechte abtreten, Sache der Tarifparteien sei und nicht in ein Leistungsschutzrecht gehöre. Zudem erläuterten sie, dass künftig nicht nur Snippets, sondern auch Überschriften wie der (anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft kreierte) Bild-Titel „Ätschivederci, Italien!“ verwertungspflichtig würden – mithin eine erhebliche Einschränkung des Zitatrechts (§ 51UrhG) vorläge. Was war also der Grund, dass sich Rößner dennoch zu keiner klaren Ablehnung entschließen konnte?

Vermutlich folgender: Rößners Zweifel wird im Kern durch Einlassungen klassischer medienpolitischer Provenienz getragen. Sie argumentiert unter Bezugnahme auf den Erhalt von Medienvielfalt und journalistischer Qualität im Pressewesen. Provenienz aber ist, wie zu zeigen sein wird, nicht gleichbedeutend mit Evidenz. Doch zuvor noch einmal sie selbst:

Nicht vergessen werden darf jedoch, dass die Verlage – vor allem die Kleinen, die bei der Diskussion nicht im Rampenlicht stehen – massive Existenzprobleme haben. Die Gründe sind bekannt: Ja, sie haben die Digitalisierung und die Möglichkeiten der Monetarisierung zu spät für sich entdeckt. Die Verlage leiden aber auch darunter, dass Werbekunden wegen der “Mehrklick”-Garantie lieber bei Google als im gedruckten Blatt oder der Online-Ausgabe werben. Von 1998 auf 2008 ging der Werbeumsatz um 1,7 Mrd. Euro oder 27,9 Prozent zurück. Aufgrund des Internets und der dort vorhandenen kostenlosen Angebote gehen außerdem viele Stammleserinnen und -leser verloren. Selbst Boulevardzeitungen haben von 1993 bis 2008 gut 26 Prozent ihrer Auflage eingebüßt. Massive und meist von den Leserinnen und Lesern unbemerkte inner-redaktionelle Konzentrations- und Rationalisierungsprozesse sind die Folge. Die Medienvielfalt im regionalen und lokalen Bereich ist definitiv in höchster Gefahr. Aber auch die Vielfalt im Überregionalen büßt mehr und mehr ein – siehe das nahezu identische Angebot der Berliner Zeitung und der Frank[t]furter Rundschau. Als Medienpolitikerin sehe ich mich dazu aufgefordert, diese Probleme ernst zu nehmen. Meine Position kann nicht sein: das Internet hat die Voraussetzungen verändert, seht zu, wie Ihr klarkommt.

Die dargelegten Argumente stehen auf wackligen Füßen: Festzuhalten ist, dass die Preise und folglich auch Erlöse im digitalen Anzeigengeschäft weit unter jenen im Printbereich liegen. Der Hinweis auf die vermeintliche “Mehrklick”-Garantie bei Google ist irreführend. Tatsächlich sind auf Google News keinerlei Werbeanzeigen geschaltet, fällt entsprechender Werbe-Traffic erst nach dem Klick auf den Link von Google News bei den Presseverlegern selbst an. Letztere stellen ihre Online-Angebote aus freien Stücken kostenfrei ins Netz und unterbinden, was technisch möglich wäre, aus ebenso freien Stücken die Indexierung und Auffindbarkeit ihrer kostenfrei ins Netz gestellten Inhalte durch Googles Suchmaschine nicht.

Auch sieht es mit der Meinungsvielfalt im regionalen und lokalen Bereich dürftig aus. Gert Hautsch, ein profunder Kenner der Konzentrationstendenzen in der deutschen Medienwirtschaft, urteilt: „Charakteristisch für das deutsche Zeitungswesen ist das Monopol.“ Mehr als die Hälfte der deutschen Zeitungen werden von zehn Verlagen – alle im Privatbesitz – herausgebracht. Die regionale und lokale Berichterstattung wurde 2004 in 59 Prozent der deutschen Städte und Landkreise von einem einzigen Verlag bedient. In 60 Prozent aller Kommunen fiel die Gatekeeper-Funktion über Informationen im regionalen Presseangebot lediglich einer einzigen Zeitung zu. (Siehe Gute Bekannte. Kapitalkonzentration in der deutschen Medienwirtschaft: Fast überall trifft man auf dieselben Namen, S. 271.)

Seitdem hat sich die Lage nicht verbessert. Die Entwicklung hin zur Pressekonzentration allerdings setzte ein, lange bevor das Internet als Distributionskanal überhaupt in Erscheinung trat. Ähnliches gilt in Bezug auf Auflagenschwund und Einnahmeverluste der Presse generell. In einem jüngst vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) veröffentlichten Papier „Die deutsche Zeitungslandschaft – Entwicklungen und Perspektiven“ findet sich der Hinweis, dass der schleichende Rückgang der Auflagen bereits mit Einführung des privaten Rundfunks Mitte der 1980er Jahre einsetzte – mitverantwortlich für sinkende Verkaufszahlen sind ebenfalls die schwindende Leser-Blatt-Bindung zur lokalen Zeitung infolge gestiegener Mobilität und die Zunahme von Single-Haushalten in Großstädten.

Zeitungen bilden den Aussagen des BDZV zufolge mit 4 Mrd. Euro Nettoumsatz weiterhin den größten Werbeträger noch vor dem Fernsehen. Ihr Volumen am Gesamtwerbemarkt beträgt rund 23 Prozent (Fernsehen: 20 Prozent). Bis zum Boomjahr 2000, in dem aufgrund des hohen Werbeaufkommens aus der Privatisierung des Telefoniemarktes und zahlreicher Börsengänge der New Economy Rekordmargen erreicht wurden, erzielten die deutschen Zeitungen zwei Drittel der Umsätze aus Anzeigen und Werbung, ein Drittel aus dem Vertrieb der Zeitung. Seitdem hat sich dieses Verhältnis egalisiert. Mittlerweile stammen 50 Prozent des Umsatzes aus dem Vertrieb. Dies ist mit ein Grund dafür, dass sich der deutsche Zeitungsmarkt nach dem Krisenjahr 2009, ganz im Unterschied zur Situation in den USA – dort beträgt das Verhältnis 80 (Anzeigen/Werbung) zu 20 (Vertrieb) –, „in sehr guter Verfassung“ (BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff in einer Pressemitteilung vom 16.05.2010) befindet.

Es ist daher zu kurz gegriffen, den Rückgang von Auflagen und Werbeumsätzen allein dem Internet zuzuschreiben und Sonderbedingungen, wie die massiven Umsatzeinbrüche nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2001–2003 und der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009, auszublenden. Personalabbau und Rationalisierungsprozesse bilden seit längerem die Folge einer rein betriebswirtschaftlich ausgerichteten Unternehmensrationalität, die sich insbesondere auch in einer jüngeren Verlegergeneration aus den Gründerfamilien Bahn gebrochen hat. Es sind Renditeerwartungen von über 20 Prozent, die hochprofitable – darunter auch regionale – Zeitungsgruppen vor dem Krisenjahr 2009 erzielten (siehe Martin Dieckmann: Wirksamkeit und Defizite der kartell- und medienrechtlichen Konzentrationskontrolle, S. 29), die die Presseverleger treiben und die sie weiterhin oder erneut erzielen wollen. Und gerade diese Hochprofitablen sind es, die auch beim Leistungsschutzrecht den politischen Druck erzeugen.

Damit ist nicht gesagt, es gebe keine Zeitungsverlage mit renditeschwächeren Ergebnissen. Doch was wissen wir über ihre wirtschaftliche Lage? Die Antwort ist einfach: Seit Aufhebung des Pressestatistikgesetzes 1997 unter der Regierung Helmut Kohl so gut wie nichts. Sicher ist nur: Der Erweis einer Referenz an die Losung: „Was für die Presseverleger gut ist, ist auch für Journalistinnen und Journalisten gut“, bietet keine Lösung. Brauchten die Kleinen tatsächlich Hilfe, müssten sie ihre Lage offenbaren. Dann könnte über gezielte Hilfen nachgedacht werden.

Als Fazit bleibt: Das Leistungsschutzrecht ist der durchsichtige Versuch der Presseverleger, sich zusätzliche Gewinne zu Lasten Dritter und zu Lasten der Informationsfreiheit im Netz anzueignen. Niemand muss aus seinem analogen Herzen eine digitale Mördergrube machen, um es abzulehnen.

2 Kommentare zu “Grüne: In dubio pro Leistungsschutzrecht?”

  1. vera sagt:

    Anita Blasberg · Götz Hamann Zeitungen und Zeitschriften · Deutschland, entblättert
    Eine Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2009.

  2. […] Vergleiche hierzu die Darstellung von Juergen Scheele, die nachfolgend weitgehend zitiert wird: http://blog.die-linke.de/digitalelinke/grune-in-dubio-pro-leistungsschutzrecht/ […]