Müssen Kinder und Jugendliche vor Datenfressern im Netz besonders geschützt werden? Nein, findet die Mehrheit in der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Ein anders ausgerichteter Text, den die Fraktion DIE LINKE zusammen mit der Sachverständigen Constanze Kurz verfasst hatte, wurde in der letzten Sitzung der Kommission abgelehnt. Zwar würden Daten von Kindern in kaum geringerem Umfang erhoben als solche von Erwachsenen, gesteht der Mehrheitstext ein. Aber das sei kein Problem. Denn das Netz sei ja nicht das ganze Leben: „Freunde, Familie und gute Noten sind wichtiger als das Netz. 98 Prozent der Jugendlichen sind ihre Freunde wichtig, 86 Prozent sagen dies vom Internetzugang.“
Gute Gründe für die Enquete-Mehrheit, einen wirksamen Datenschutz für Kinder und Jugendliche abzulehnen. Schließlich habe ja auch bereits „ein Erkenntnisprozess bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Zunehmend werden schon Schulkindern die Probleme bewusst, die mit der Veröffentlichung von persönlichen Daten im Internet verbunden sein können. Sie überlegen sich bereits, was sie ins Netz stellen, ob sie ihren richtigen Namen verwenden etc. Auch Eltern erkennen die Gefahren des Internets für ihre Kinder in steigendem Maße.“ Also gibt es keinerlei Grund, die Datengier der Unternehmen regulatorisch einzuschränken, wie es DIE LINKE gefordert hat.
DIE LINKE hat nun ein Sondervotum eingereicht, in dem Klartext gesprochen wird. Untenstehend dokumentieren wir den Text. Vielleicht schließt sich das eine oder andere Mitglied der Enquete noch an.
SONDERVOTUM DIE LINKE, SV CONSTANZE KURZ:
Der Datenschutz bei besonders schutzwürdigen Gruppen bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Die Ausnutzung der neuen informationstechnischen Möglichkeiten darf nicht zulasten der schwächsten Glieder (etwa Kinder und Heranwachsende) unserer Gesellschaft gehen. Gleichzeitig sollen sie aber auch nicht von einer angemessenen Teilhabe an der Informationsgesellschaft ausgeschlossen sein.
Daten von Kindern werden in einem kaum geringeren Umfang als Daten von Erwachsenen erhoben, verarbeitet und weitergegeben. Eine Vielzahl der Unternehmen unterscheidet hinsichtlich ihrer Internetangebote und der damit verknüpften Datenverarbeitungen nicht oder kaum zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen. Auch Kinder und Jugendliche sind heute selbstverständlich aktive Nutzer von Informationsdiensten und setzen diese zum Informationsaustausch ein. Doch ebenso selbstverständlich sind dabei auch Kinder von Geburt an ebenso wie Erwachsene Träger von Grundrechten. Dazu gehört auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, so dass auch Kinder und Jugendliche alle Datenschutzrechte und damit grundsätzlich das Recht haben, über die Herausgabe und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen. Sie wachsen bereits mit der Nutzung von digitaler Technik und der Angebotsvielfalt des Internets auf und sind damit die am besten vernetzte Altersgruppe: 98 Prozent der 10- bis 18-Jährigen nutzen mittlerweile das Internet. Dies hat eine Studie im Auftrag des Verbandes BITKOM „Jugend 2.0“ergeben. Selbst Kinder von 10 bis 12 Jahren sind zu 96 Prozent online. Fast schon selbstverständlich ist für Teenager die Mitgliedschaft in Internet-Gemeinschaften. Nach der Studie sind 77 Prozent in verschiedenen „Communitys“ angemeldet, 74 Prozent nutzen sie aktiv.
Da bereits drei Viertel aller deutschen Kinder und Jugendlichen in sozialen Netzwerken Mitglied sind und regelmäßig über diese Plattformen kommunizieren, entsteht teilweise bereits von jungen Teenagern ein genaues Persönlichkeitsprofil und ein digitales Abbild ihrer Wünsche, Vorlieben, Beziehungsgeflechte, Gewohnheiten. Bekanntlich beruht das Geschäftsmodell der Social Networks im Wesentlichen darauf, Daten ihrer Nutzer zu erheben und kommerziell zu verwerten. Schon im Hinblick auf Erwachsene erscheint diese Nutzbarmachung von Teilen der Privatsphäre für wirtschaftliche Zwecke bedenklich, erst recht jedoch bei Kindern und Jugendlichen. Letztere verfügen häufig noch nicht über das nötige Reflektionsvermögen, um die Nutzung des Angebots mit dem Geschäftsmodell in Verbindung zu bringen. Sie sind sich oft gar nicht darüber im Klaren, dass sie statt mit Geld mit ihren persönlichen Daten für diese Angebote bezahlen. Erst recht überblicken sie oft nicht die langfristigen Folgen ihren Handelns, können also etwa die Gefahr einer vom Nutzer nicht zu kontrollierenden Profilbildung oder erstellten Prognosen durch die Anbieter noch nicht zutreffend einschätzen und bewerten. Darüber kann auch ein diffuses Unwohlsein und die wachsende Sensibilisierung der Betroffenen im Hinblick auf den Datenschutz nicht hinwegtäuschen. Zwar heißt es in der erwähnten BITKOM-Untersuchung, 58 Prozent aller 10- bis 18-Jährigen wünschten sich mehr Datenschutz. Es wäre jedoch gewagt, hieraus zu folgern, die Betroffenen wären sich der umfassenden Nutzung ihrer Daten zu kommerziellen Zwecken der Anbieter stets bewusst oder gar in der Lage, sich auf der Grundlage solcher Kenntnis aktiv gegen die Nutzung ihrer Daten zu entscheiden.
Was bei den Geschäftsmodellen der Social Networks problematisch ist, ist bei Angeboten, die speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten sind, besonders bedenklich. Dies gilt nicht nur für die Auswertung des Nutzungs- und Surfverhaltens, sondern auch für die Werbepraktiken bei solchen Angeboten. So können die Betroffenen häufig Werbung und redaktionelle Inhalte weniger klar auseinanderhalten, als dies Erwachsenen möglich ist. Sie sind für personalisierte Werbung mithin empfänglicher und somit manipulierbarer als andere Nutzer, die über mehr Medienerfahrung verfügen. Insbesondere bemerken Kinder es oft nicht, wenn sie von redaktionell betreuten Seiten auf rein kommerzielle Werbeangebote umgeleitet werden, weil die Trennung redaktioneller Inhalte von Werbeinhalten häufig nicht klar erkennbar ist oder bewusst verschleiert wird. Ein Datenschutzproblem ergibt sich daraus beispielsweise schon dann, wenn in diesem Zusammenhang von Werbetreibenden Cookies gesetzt werden, die eine weitere Auswertung des Surfverhaltens der Nutzer auch jenseits des ursprünglichen Angebots ermöglicht.
Ein weiteres, eng damit verbundenes Problem ist die zunehmende Verschuldung schon von Minderjährigen. Beruhend auf der Analyse ihrer hinterlassenen Daten werden Heranwachsende oft mit auf sie zugeschnittenen, manipulativen Werbebotschaften zu übermäßigem, ihren finanziellen Verhältnissen nicht angemessenen Konsum angeregt.
Als Konsequenz aus den obigen Befunden stellt sich die Frage, ob Kinder und Heranwachsende, die nicht wie Erwachsene langfristige Folgen ihres Handelns abschätzen können, in stärkerem Maße einer öffentlichen Fürsorge und eines gesetzlichen Schutzes bedürfen und ob es in diesem Zusammenhang ermöglicht werden muss, Geschäftsmodelle der Anbieter, die nach dem derzeitigen Datenschutzgesetz noch legal sind, im Interesse des Schutzes von Kindern und Jugendlichen einzuschränken.