DIGITALE LINKE
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Zum Fest der Liebe wünscht sich die Musikindustrie endlich Online-Überwachung – schwarz-gelbe Weihnachtsmänner würden gern liefern

2012 wird das Jahr der Entscheidung im Kampf der Content-Industrie für Online-Überwachung. Auf der Agenda steht die Durchsetzung von Rechten des sogenannten geistigen Eigentums. Dazu präsentierte der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) ausgewählten Bundestagsabgeordneten und Regierungsvertretern bereits am Dienstag in Berlin seine Weihnachtswünsche im Rahmen eines Parlamentarischen Abends. Nach einem Heise-Bericht plädierten dort Olivia Regnier, Leiterin des Europabüros der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI), Thorsten Schliesche, Deutschlandchef von Napster, sowie der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag Siegfried Kauder (CDU) für die rechtliche Verankerung eines Systems der abgestuften Erwiderung – vergleichbar dem französischen Loi Hadopi und der Digital Economy Act in Großbritannien, auch bekannt unter der Bezeichnung Three-Strikes.

Auf der Veranstaltung wurde es den Vertretern aus Parlament und Regierung gar ganz allerliebst ermöglicht, „illegale Quellen persönlich auszuprobieren“, um, wie es in einer Pressemitteilung heißt, „sich damit ein eigenes Bild von der aktuellen Situation im Internet zu machen.“ Die Politik sei gefordert, erklärte BVMI-Vorstandsvorsitzender Dieter Gorny, „endlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zum ganzheitlichen Schutz des geistigen Eigentums und des legalen Angebots sowie auch zur Eindämmung neuer illegaler Phänomene zu schaffen.“ Es gelte, Handlungsdruck zu erzeugen, sekundierte BVMI-Geschäftsführer Florian Drücke zum Hintergrund der Veranstaltung.

Handlungsdruck wird auch die vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Warnhinweis-Studie, deren Erscheinen Anfang nächster Woche erwartet wird, erzeugen. Letzteres ist einer Pressemitteilung (ebenfalls von Dienstag) der CDU-Urheberrechts-Hardliner Günter Krings und Ansgar Heveling zu entnehmen. Darin zeichnen sie eine Argumentation vor, wie sie dem Auftragnehmer der Studie – Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Leiter der Forschungsstelle für Medienrecht an der FH Köln – zu genüge kommt. Ohne den Urheber zu benennen, übernehmen Krings und Heveling kurzerhand dessen Interpretation zur EuGH-Entscheidung vom 24.11.2011 („Scarlet Extended“).

Schwartmann hatte den EuGH-Entscheid in der Legal Tribune Online recht freihändig und ohne tiefergehende materielle Grundlage dahingehend interpretiert, dass mit ihm der Weg für ein interessengerechtes Schutzsystem zwischen Rechteinhabern und Providern frei gemacht werde. Zwar – so Schwartmann in Auslegung des Urteils – verstoße eine aktive Überwachung des Internet-Traffics mittels Deep Packet Inspection gegen die Informationsfreiheit und das Datenschutzrecht der Nutzer. Doch sei der Logik der Entscheidung auch zu entnehmen, dass die Provider in die Pflicht zu nehmen seien, sich an einem präventiven als auch repressiven Modell zum Schutz des geistigen Eigentums zu beteiligen. In welcher Form das rechtlich und technologisch zu bewältigen ist, teilte Schwartmann freilich nicht mit.

Schwartmännisch ist auch der Verweis auf die jüngsten privatwirtschaftlichen Vereinbarungen zwischen Rechteinhabern und Internet-Providern in den USA. Krings und Heveling sehen darin „ein praktikables und verfassungsrechtlich unbedenkliches Instrument“ und betrachten es als auf Deutschland übertragbar. Schwartmann selbst hatte sich (wir berichteten) vor geraumer Zeit dafür ausgesprochen, „einen großen Teil der Verantwortung und Belastung auf die Provider“ zu übertragen, indem sie „urheberrechtswidrige Aktivitäten feststellen“ und „Bestandsdaten ertappter Nutzer […] quasi ‚in Echtzeit‘ vom Zugangsanbieter abgefragt werden.“

Das US-Modell ist – obwohl mit PROTECT IP (Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act, pdf) und SOPA (Stop Onliny Piracy Act, pdf) gegenwärtig zwei Anläufe im Kongress vorliegen, Behörden und Rechteverwerter mit umfangreichen Mitteln im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen auszustatten – insofern von Bedeutung, weil auch dort ähnlich wie in Deutschland erhebliche Widerstände gegen staatlich erlassene Filter- und Sperrmaßnahmen bestehen. Es sieht auf Basis eines Übereinkommens zwischen den einflussreichen Verbänden der Unterhaltungsindustrie Motion Picture Association of America (MPAA), Recording Industry Association of America (RIAA), Independent Film and Television Alliance (IFTA), American Association of Independent Music (A2IM) sowie namhaften Netzbetreibern, darunter AT&T, Verizon, Comcast, Cablevision und Time Warner Cable, ein System der abgestuften Erwiderung in insgesamt sechs Schritten vor.

Bei Abruf von inkriminierten Inhalten über bestimmte IP-Adressen oder mit entsprechenden digitalen Markierungen werden Nutzerinnen und Nutzer demnach zunächst über Sicherheitsmaßnahmen ihres Netzanschlusses und legale Alternativen aufgeklärt. Im Wiederholungsfall ist ein Warnhinweis mit ausdrücklich zu bestätigender Einwilligung in den Abruf solcher Inhalte verbunden. Beide Schritte können von den Providern wiederholt werden. In einem letzten Schritt schließlich erfolgen die Drosselung der Verbindungsgeschwindigkeit auf Seiten des Anschlussinhabers oder die Sperrung von abgerufenen Internetdiensten. (Siehe Memorandum of Understanding – Center for Copyright Information (CCI). Final, July 6, pdf.)

Mit den Aussagen der Rechtspolitiker Krings und Heveling verfestigt sich der Befund, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung nach ihrer Absage an gesetzliche Internetsperren im Koalitionsvertrag (wir berichteten) die Ahndung von Urheberrechtsverletzungen im Netz auf der Ebene der Provider regeln will. Hierin trifft sich ihre Intention mit jener von Kulturwirtschaftspolitikern wie Hans-Joachim Otto (FDP) und Bernd Neumann (CDU). Kulturstaatsminister Neumann gilt seit langem als Anhänger einer Ausweitung der Providerhaftung. Er befürwortet, wie hier auf der CDU-Media-Night im Mai 2011, ein sogenanntes Warnhinweismodell mit einer im Wiederholungsfall ernstzunehmenden Reaktion.

Otto – in der vorangegangenen Legislaturperiode Vorsitzender des Kulturausschusses im Bundestag, heute als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie verantwortlich für die Vergabe der Warnhinweis-Studie an Schwartmann – unterbreitete bereits im Dezember 2009 einen Two-Strikes-Vorschlag. Nach diesem, seinerzeit noch als persönliche Meinung deklariertem Modell würden die Provider in die Pflicht genommen: „Nicht eine Behörde, sondern die Internet Service Provider selbst sollten Kunden, bei denen sie urheberrechtswidrige Aktivitäten feststellen, zweimal mahnen. Die Kunden bekämen sozusagen die gelbe Karte von ihrem Provider gezeigt“, verlautete es damals aus seinem Mund.

Eine Formulierung, die – Weihnachtsmann, ich hör dir trapsen! – nahezu deckungsgleich ist mit Schwartmanns Stellungnahme von Ende November 2010: „Nicht eine Behörde, sondern die Internet Service Provider selbst sollten Nutzer, bei denen sie urheberrechtswidrige Aktivitäten feststellen, mahnen und ihnen die ‚gelbe Karte zeigen‘.“ Vergabe und Ergebnis der Studie scheinen daher von vornherein ausgemacht.

Dass ein solches Modell allerdings in Einklang zu bringen sei mit der Informationsfreiheit und dem Datenschutzrecht der Nutzer, wie Krings, Heveling und Schwartmann unisono behaupten, darf mit Recht bezweifelt werden. Zum einen ist ein nicht aktives – sprich: passives – Durchleuchten des Netzverkehrs nicht möglich. Der von der Content-Industrie geforderte Einsatz von Deep Packet Inspection zur Ahndung von Urheberrechtsverstößen erfordert eben immer ein Auslesen der Inhalte aller transportierten Datenpakete – selbst dann, wenn diese nur nach verdächtigen, von den Rechteverwertern indizierten Bit-Mustern durchsucht würden. Ohne Einblick in die Nutzinformationen ist Online-Überwachung in Echtzeit nicht zu haben.

Zum anderen hat erst vorgestern das Datenschutzportal unwatched.org enthüllt, wie fragwürdig die den bestehenden Überwachungsmaßnahmen zu Grunde liegende gängige Praxis zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen via IP-Adressen ist. Blogger hatten mithilfe der russischen Plattform YouHaveDownloaded.com entlarvt, dass Angestellte der Hollywood-Studios NBC Universal, Sony Pictures und Fox Entertainment von der Konkurrenz produzierte Filme, Serien und Musik heruntergeladen haben.

Ähnliches ergab sich im Falle der holländischen Rechteverwertungsgesellschaft Buma/Stemra. Nachdem holländische Blogger herausfanden, dass urheberrechtlich geschützte BitTorrent-Downloads zu IP-Adressen der Verwertungsgesellschaft führten, ließ diese verkünden, die IP-Adressen seien von Außenstehenden gekapert worden. Das ist im Bereich des Möglichen und könnte theoretisch auch im Falle der Hollywood-Studios geschehen sein. Es macht zugleich deutlich, wie problematisch eine rechtssichere Zuordnung von Urheberrechtsverletzungen zu Anschlussinhabern ist.

Solche Feinheiten jedoch hindern die Content-Industrie und ihre schwarz-gelben Weihnachtsmänner nicht, weiterhin Gesetzesverschärfungen und Technologien zu propagieren, die die Nutzerinnen und Nutzer im Netz unter Generalverdacht stellen, sie flächendeckend überwachen, ihnen gegebenenfalls den Netzzugang drosseln oder gar ganz oder teilweise sperren.

Siegfried Kauder übrigens hatte vor einigen Wochen gar versprochen, das Geschenk Warnhinweise einschließlich Internet-Entzug in Form einer Gesetzesinitiative noch vor Weihnachten zu liefern. Dazu dürfte es jetzt allerdings knapp werden.

 

tl;dr

Das Ergebnis der vom Wirtschaftsministerium vergebenen Warnhinweis-Studie ist längst ausgemacht, Rechts- und Kulturwirtschaftspolitiker der Koalition bedienen die Interessen der Content-Industrie nach Online-Überwachung.

3 Kommentare zu “Zum Fest der Liebe wünscht sich die Musikindustrie endlich Online-Überwachung – schwarz-gelbe Weihnachtsmänner würden gern liefern”

  1. […] Digitale Linke: Zum Fest der Liebe wünscht sich die Musikindustrie endlich Online-Überwachung – schwarz-gelbe We… (via […]

  2. […] Weihnachten einen Gesetzentwurf zu Warnhinweisen einschließlich Internet-Entzug vorzulegen (wir berichteten). Dazu und zu weiteren Planungen ist nun in einem Interview mit Kauder in der April-Ausgabe der […]

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