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Netzsperren: Neues aus Brüssel und zu Censilia

„Es ist nur der erste Schritt, pädophile Inhalte innerhalb der EU zu sperren. In Zukunft […] ist es möglich, die Kooperation beim Sperren auf andere Arten von Kriminalität auszuweiten“

Christian Engström, für die schwedische Piratpartiet Mitglied im Europäischen Parlament, hat sich vor zwei Tagen mit einer interessanten Schriftlichen Frage an die EU-Kommission gewandt. In seinem Blog überschreibt er den Kontext seiner Frage treffend mit den Worten: „What are Cecilia Malmström’s promises on Internet censorship worth?“ Konkret konfrontiert er die Kommission mit einer Aussage von EU-Innenkommissarin Cecila Malmström im Mai 2010 mit einem jüngst veröffentlichten Bericht über die Beratungen der Law Enforcement Working Party (LEWP) im Februar 2011.

Die LEWP bildet ein bedeutendes Verbindungsglied und Gremium für rechts- und sicherheitspolitische Vorentscheidungen im komplexen Betrieb des institutionalisierten Europäischen Regelwerks. Sie ist dem Rat „Justiz und Inneres (JHA)“ der Europäischen Union zugeordnet, besteht aus Delegationen aller EU-Mitgliedstaaten und tritt regelmäßig in Brüssel zusammen. Geleitet wird sie durch das jeweilige EU-Vorsitzland – gegenwärtig: Ungarn.

Malmström hatte seinerzeit auf der eNACSO-Konferenz „Protecting Children Online“ (Agenda) in Brüssel gesprochen und erneut heftig für ihren Vorschlag zum Löschen und Sperren von kinderpornographischen Inhalten im Netz geworben. In ihrer Rede hatte sie versichert, Sperrmaßnahmen bezögen sich ausschließlich auf die Abbildung von Kindemissbrauch im Internet. Die Kommission verfolge keinerlei Pläne, Sperren auf andere Arten von Inhalten zu übertragen. Sie selbst werde sich persönlich und mit Nachdruck gegen solche Vorstellungen einsetzen.

Dem Bericht über das Treffen der LEWP am 17. Febraur 2011 allerdings sind genau solche Pläne zur Ausweitung der Sperrinfrastruktur zu entnehmen. Demnach wurde dort die Absicht präsentiert, konkrete Maßnahmen zur Errichtung eines „einheitlichen sicheren Europäischen Cyberspace“ mit „virtuellen Schengen-Grenzen“ und „virtuellen Access Points“ zu schaffen. Den Internet Service Providern (ISPs) würde in diesem Szenario die Aufgabe obliegen, illegale Inhalte auf der Grundlage einer „black-list“ der EU zu sperren.

Weitere Informationen zu den Plänen für einen abgeschotteten und kontrollierten Europäischen Cyberspace wurden gestern (via EDRI und Netzpolitik) bekannt. Veröffentlicht wurde die Power Point-Präsentation (pdf) eines nicht genannten ungarischen Experten. Vorgeführt wurde sie auf dem genannten Treffen der LEWP. Und an ihrem Ende steht das eingangs übersetzte Zitat gwissermaßen als Conclusio:

„It is only the first step to block paedophile content within the EU. In the future – upon the agreement of the Member States – it is possible to broaden the cooperation of the blocking process by involving other types of crimes (e.g. counterfeit medicines on the Internet)“.

Noch ist unklar, welche EU-Länder die Pläne unterstützen. Offiziell heißt es: Die Aussagen der Präsentation, spigelten nicht die offizielle Meinung des Rates, des Generalsekretariats des Rates oder des Vorsitzes wider. Doch die Ausweitung der Sperrzone ist angedacht.

PS: Nach Neulektüre der Rede Malmströms nachstehend noch ein Hinweis:

Malmström behauptete, täglich würden bis zu 200 neue Bilder – sprich: im Jahresdurchschnitt 73.000 wohlgemerkt neue Abbildungen – ins Netz gestellt. Sie berief sich dazu auf nicht näher ausgewiesene Angaben des Special Rapporteur on the sale of children, child prostitution and child pornography der Vereinten Nationen. Tatsächlich wies der Jahresbericht des Special Rapporteur von 2009 diese Zahl aus.

Im Bericht vom 13. Juli 2009 hieß es: „It is estimated that 200 new images are put into circulation every day.” (Rz. 36) Die Quellenlage für die Zahlenangabe allerdings blieb im Bericht selbst unklar. Sie beruhte offenbar auf Angaben der halbstaatlichen – wir berichteten – US-Internetbeschwerdestelle National Centre on Missing and Exploited Children (NCMEC).

Im jüngsten Bericht des Special Rapporteur vom 4. August 2010 werden Zahlenangaben nicht mehr genannt. Dort heißt es: „The actual scope of the sale of children, child prostitution and child pornography remains difficult to determine.” (Rz. 37) Ausdrücklich begründet wird dies mit der Spärlichkeit und Unzuverlässigkeit der dazu vorliegenden Daten.

Noch hinzuzufügen bliebe: Die European NGO Alliance for Child Safety Online (eNACSO), auf deren Konferenz Malmström sprach, erhielt im Verhältnis zu ihrer Aufgabe und Größe von der EU-Kommission seinerzeit beträchtliche Finanzmittel. Im Rahmen des Safer Internet Plus Programme wurden 300.000 Euro für den Zeitraum 01/09/2008 – 31/08/2010 zugewiesen. Dass sie die Vereinigung europäischer, Netzsperren befürwortender Kinderschutzorganisationen ist und ihr auch der in Deutschland sattsam bekannte Innocence in Danger e.V. angehört, bildet da nur eine Petitesse am Rande.

Ein Kommentar zu “Netzsperren: Neues aus Brüssel und zu Censilia”

  1. Anonymous sagt:

    Aufgelesen und kommentiert 2011-05-16…

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