DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Piraten: Die Wiedergeburt des Bürgerrechtsflügels der FDP?

Schlag auf Schlag ging es gerade für die Piratenpartei. Nach dem Erfolg bei den Europawahlen fanden ihr Bundesparteitag und die Verabschiedung des Wahlprogramms ein beachtliches Medienecho. Unmittelbar danach machten Schlagzeilen  über ein Mitglied die Runde, das etwas verschwurbelt den Holocaust relativiert hatte (Übersicht über die Reaktionen bei zeitrafferin). Nun zeigte sich die Dynamik der Netzcommunity, die nicht zuletzt Twitter immer virtuoser zu nutzen versteht. Bei der Online-Petition und dem Widerstand gegen die Netzspeere hatte dieser Schwung der Piratenpartei noch mit zum Erfolg verholfen. Jetzt drehte sich der Wind.

In den klassischen Medien fand der „Skandal“ um das rechte Parteimitglied Niederschlag. Willkommen im Club, mag man der frisch gewählten Parteiführung der Piraten zurufen. So sieht eben eine Lektion des harten Geschäfts im professionellen Politikzirkus aus – Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt, besagtes Mitglied hat eine Erklärung abgeben, aber die wird von Teilen seiner Partei als unzureichend angesehen – sie fordern von ihm in einem offenen Brief, seine Parteiämter niederzulegen oder gar auszutreten.

In der Blogosphäre war der Vorfall jedenfalls Anlass, über die Grenzen der Meinungsfreiheit zu diskutieren – aber auch um die Weiterentwicklung der Piratenpartei: Johnny Häusler etwa, Boss bei Spreeblick und Mitinitiator der Bloggerkonferenz „re:publica“, plädierte dafür, dass die Piratenpartei sich linksliberal positionieren sollte: „Ich halte es für richtig, sich gegen unnötigen Kontrollwahn zu wehren, gegen Überwachung, gegen die Installation von technischen Zensurmöglichkeiten, aber auch gegen Bildungs- und Sozialabbau, gegen wirtschaftliche Verantwortungslosigkeit, gegen staatliche Ungerechtigkeit.“

Dafür ist die Piratenpartei allerdings der falsche Adressat. Deren als „Zwischenstand“ bezeichnetes Wahlprogramm demonstriert: Zeuge wird man hier eher einer Abspaltung der FPD. Oder richtiger: der Wiedergeburt des Bürgerrechtsflügels der Liberalen. Der hatte die vergangenen Jahre eigentlich nur noch ein lebendes Denkmal namens Sabine Leuthaus-Schnarrenberger vorzuweisen; unter Guido Westerwelle hat sich in aller Schlichtheit der marktradikale Flügel durchgesetzt.

Jenseits netzpolitischer Themen wird sich die Piratenpartei kaum auf linke Positionen zur Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik einigen können. Das Wahlprogramm der Piratenpartei spiegelt wider, was als Konsens möglich ist. Da ein Teil der Funktionäre offenbar im wissenschaftlichen Mittelbau an Hochschulen arbeitet, hat sich einzig das Thema „Bildung“ neben Netzthemen etablieren können. Insgesamt geht es aber immer um Thematiken, die sich um immaterielle Güter drehen. Hier wollen die Piraten die Verhältnisse modernisieren; auch das Wirtschaften. Die realen Besitz- und Machtverhältnisse, um die es in sozialen Fragen geht, werden nicht thematisiert. Insofern lässt sich Piratenpartei als ein outgesourceten Teil der FDP verstehen.

Als Besitzstandwahrer und Leistungsträger verstehten sich die Anhänger der FDP. Und betrachtet man das politische Personal der Piraten passt das Bild: Geht man nach der Kandidatenliste der Europawahl,  sieht man hier vor allem Vertreter der technokratischen Kaste: Naturwissenschaftler, Informatiker, Ingenieure. Solche Repräsentanten pflegen nicht selten einen gewissen Leistungsethos, der schnell in Sozialdarwinismus umkippen kann – Liberalität in netzpolitischen Fragen bringt nicht automatisch humanistische Ideale mit sich. Dass der Namensgeber der europäischen Piratenpartei-Bewegung, das Filesharing-Projekt „The Pirate Bay“, von einem schwedischen Rechtsradikalen finanziert wurde, ist dafür nur ein Fingerzeig.

Die Grüne Julia Seeliger erklärte in ihrem Blog zeitrafferin „warum ich nicht zu den Piraten gehe“. Sie legt dar, warum der Vergleich – von wegen „Ein-Punkt-Partei“ – zwischen den Anfängen der Grünen und der Piratenpartei unpassend sei. Letztere sei eine „Protestpartei“ und: „Man sollte aber nicht vergessen, dass die Grünen aus ganz unterschiedlichen Bewegungen – in der ausgehenden 68er-Zeit – hervorgegangen sind. Ein paar Beispiele: Frauenbewegung, Friedensbewegung, Ökologiebewegung, Schwulenbewegung, Antiautoritäre, Spontis, Kommunisten. Es gab sogar Reaktionäre bei den Grünen, wie zB Herbert Gruhl, der einen tendenziell menschenfeindlichen Ökologismus pflegte und später zu den rechtskonservativen “Unabhängigen Ökologen Deutschlands” wechselte – das ist zum Glück lange vorbei.“

Die Piratenpartei in Deutschland, sollte sie mehr als ein Protestpartei werden, wird sich also als dritte liberale Kraft irgendwo zwischen Grünen und FDP positionieren. Ob sie die Funktionäre und Aktivisten der Partei den langen Atem dafür behalten, ist offen. Die Fünf-Prozent Hürde bei der kommenden Bundestagswahl würden etwa 2,3 Millionen Stimmen bedeuten – das wäre das Zehnfache der erreichten Wählerstimmen bei der Europawahl. Geht man davon aus, dass die Piraten schon ein Großteil ihres Klientels aktiviert haben, sollte sich als realistisches Ziel die 0,5 Prozent Hürde setzen –  damit wird die Wahlkampfkostenrückerstattung erreicht. Die würde einige hunderttausend Euro in die Kassen spülen und für die kommenden Jahre ermöglichen, Stellen für paar hauptamtliche Funktionäre zu finanzieren.

Was auch passiert, die Piratenpartei zeigt jedenfalls, wie eine Partei neuen Typs im Netzzeitalter aussehen könnte: Sie organisiert sich transparent über eine Webplattform und gibt so einen Ausblick, wie Demokratie im Netz organisiert werden kann.

Beitrag von Lorenz Matzat im Blog der AG Digitale Demokratie.

Keine Kommentare mölich.