DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Windkraft für Digitalien: Leserbrief an Dirk von Gehlen

Heute erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel, der sich mit den netzpolitischen Ergebnissen des Grünen-Parteitages vom Wochenende befasst. Dieser Artikel könnte den Eindruck erwecken, dass die Grünen die einzige Partei mit ausformulierten netzpolitischen Positionen sei. Das dem nicht so ist, haben Halina Wawzyniak und Petra Sitte in einem offenen Leserbrief an den Autor und die Süddeutsche Zeitung zum Ausdruck gebracht. Den Wortlaut des Leserbriefes möchten wir an dieser Stelle dokumentieren (aka unser LINKES Mimimi zum Thema):

 

Offener Leserbrief zu ihrem Artikel „Benzin im digitalen Tank“ vom 29. November 2011

Sehr geehrter Herr von Gehlen,

in Ihrem Artikel „Benzin im digitalen Tank“ in der Süddeutschen Zeitung vom 29.11.2011 kommentieren Sie die netzpolitischen Beschlüsse der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90 / Die Grünen vom 27.11. Dort schreiben Sie, die Grünen „stellen sie sich erneut an den Beginn einer Entwicklung, die heftige Auseinandersetzungen nach sich ziehen wird.“ Den Beginn dieser netzpolitischen Entwicklung auf das vergangene Wochenende zu legen, wird wohl all denen nicht gerecht, die seit Jahren, auch bei den Grünen, Politik im und für das Netz betreiben. Dazu gehören ja nicht zuletzt Sie selbst, haben Sie doch beispielsweise mit „Mashup – Lob der Kopie“ einen wichtigen Beitrag in den netzpolitischen Diskurs eingebracht.

Breite Öffentlichkeit erhielt Netzpolitik spätestens im Sommer 2009 bei der Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz, mit dem die damalige Familienministerin Ursula „Zensursula“ von der Leyen eine Überwachungsinfrastruktur ins Netz einziehen wollte, um damit einen Mantel des Schweigens über online verbreitete Mißbrauchsdarstellungen von Kindern zu decken. Die Grünen haben sich damals, am Beginn, sehr zum Ärger ihrer eigenen Netzpolitiker_innen nicht einheitlich für ein freies Netz engagiert.

Auch in dem von Ihnen ausführlicher im Artikel behandelten Feld Urheberrecht ist die Behauptung, die Grünen stellten sich an den Beginn, etwas fragwürdig. Vielmehr gibt es in allen Parteien seit längerer Zeit Debatten und Auseinandersetzungen um eine Modernisierung des Urheberrechtes. Wir zitieren hierzu aus dem Blog der Wikimedia Deutschland, wo Jan Engelmann die Ergebnisse der grünen Bundesdelegiertenkonferenz wie folgt einordnet:

„Nach den Modernisierungsvorschlägen der Partei DIE LINKE vor der Sommerpause gibt es nun auch eine ständige Web-Präsenz der Union, wo ebenso eine faire Ausbalancierung der Interessen von Urhebern, Verwertern und Nutzern gefordert wird. Diese Trias angemessen zu berücksichtigen, hatte sich auch ein Leitantrag des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen zur Aufgabe gemacht, der vergangenes Wochenende auf dem Kieler Parteitag mit einigen Veränderungen verabschiedet wurde.“

Weiter schreiben Sie, „als erste im Bundestag vertretene Partei bündeln die Grünen nun ihre Haltungen zu digitalen Fragen.“ Wenn es einen Wert an sich darstellt, ein einzelnes umfassendes Papier zu einem Thema zu beschließen, mag das so stimmen.

Unsere Partei hat bereits im Jahr 2008 den Beschluss „Herausforderungen der digitalen Welt begegnen – Grundlagen für eine digitale Medienordnung schaffen“ gefasst.  Seitdem hat es eine kontinuierliche Politikentwicklung zu netzpolitischen Themen gegeben, die in eine zentrale Verankerung im neuen Parteiprogramm mündete. Die entsprechenden Kapitel sind:

Demokratie in der digitalen Gesellschaft
Gleichheit und Freiheit im Netz

Wissensproduktion und Urheberrecht.

Auch die LINKE spricht sich für die Netzneutralität aus, lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab und will den Datenschutz modernisieren. Auch wir wollen Whistleblower besser schützen, das Urheberrecht modernisieren und die Anonymität im Netz sichern. Eine Übersicht über die netzpolitischen Initiativen der LINKEN im Bundestag auf dem Stand vom September finden Sie hier: http://netzfueralle.blog.rosalux.de/materialien/ Seitdem sind weitere hinzugekommen. Offenbar ist es uns bis jetzt nicht gelungen, Ihnen unsere Positionen in dem Maße nahezubringen, wie es den Grünen gelingt. Vielleicht bietet sich aber demnächst einmal die Möglichkeit, das im direkten Gespräch nachzuholen.

In der Arbeit im Bundestag haben in den vergangenen Jahren mal die Grünen, mal die LINKE, aber auch SPD und mitunter gar die FDP zu diesen Punkten als erste Initiativen eingebracht. Aus eigenem Antrieb, aber durchaus auch angeregt durch die Piraten oder viele andere außerparlamentarisch aktive netzpolitische Gruppen.

Die Entwicklung ist im vollen Gange, den Beginn haben wir längst hinter uns. Dass die Grünen sich nach holprigem Start 2009 dem Thema immer beherzter annehmen, kann nicht schaden. Allein auf weiter Flur oder besonders weit vorne sind sie nicht. Im Gegenteil, es gibt eine breite Allianz links der Mitte, die mit den parteitypischen Schwerpunkten und Unterschieden letztlich gemeinsam für ein freies Netz, für freies Wissen und progressive Gesellschaftspolitik in der digitalisierten Welt kämpft.

Mit freundlichen Grüßen

Halina Wawzyniak (netzpolitische Sprecherin und Obfrau der Fraktion DIE LINKE in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“)

Dr. Petra Sitte (technologiepolitische Sprecherin und Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“)

2 Kommentare zu “Windkraft für Digitalien: Leserbrief an Dirk von Gehlen”

  1. Sehr geehrte Frau Wawzyniak,
    sehr geehrte Frau Sitte!

    Vielen Dank für den Leserbrief.

    Mir ist bewusst, dass die netzpolitische Bewegung nicht am Wochenende von den Grünen erfunden wurde (selbst wenn ich es gedacht hätte: mimimittlerweile haben mich Netzpolitiker aus fast allen Parteien auf ihre eigene Arbeit verwiesen). Neu ist die kompakte Bündelung in diesem Rundumschlag. Und neu sind vor allem die Reaktionen, die das Papier hervorgerufen hat. Die Vorschläge (die an sich nicht neu sind) werden damals erstmals in einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung diskutiert.

    Ob dies auch dazu führt, dass die Grünen die Debatte bestimmen werden, wird auch von der Arbeit der anderen Parteien abhängen. Der Artikel endet mit den Worten: „Die Debatte kann beginnen.“

    Ich bin gespannt

    Besten Gruss aus München

    Dirk von Gehlen

  2. Imre sagt:

    Sehr geehrter Herr von Gehlen, ich denke, weder der Rundumschlag, noch die Reaktionen noch die breitere Debatte über die Themen sind neu. Auch nicht neu ist, dass die Grünen sich selbst häufig als Avantgarde sehen („Nicht links, nicht rechts, sondern vorn.“). Und am wenigsten neu ist, dass sich auch Journalisten in der Nähe der Avantgarde natürlich wohl fühlen. Und spannend wird es, wenn es drauf ankommt wie bei den Netzsperren. Sie sind gespannt auf die Debatte? Meine Sie die Debatte um das Grünenpapier? Die ist bereits heute zu Ende, weil es eben (wie Sie richtig bemerken) kaum etwas Neues liefert. Die Themen und auch die Positionen sind alle mehrere Jahre alt. Spannend ist an solch einem Papier doch auch, was alles nicht drin steht, aber in der Community diskutiert wird. Dazu hätte ich gern etwas gelesen.