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Zugangserschwerungsgesetz: Die Stellungnahmen zur Anhörung im Rechtsausschuss

Heute findet die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss zum Zugangserschwerungsgesetz statt. Die schriftlichen Stellungnahmen der geladenen Sachverständigen liegen inzwischen vor. Nachfolgend wird ein Überblick zu den darin enthaltenen Kernaussagen gegeben:

Prof. Dr. Dirk Heckmann, Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichts und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht, sieht „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“:

[…] Der sehr geringen Zwecktauglichkeit des Mittels stehen erhebliche Risiken und Nebenwirkungen von Netzsperren gegenüber. Durch solche Sperren können, wie technische Expertisen gezeigt haben, z.B. auch legale Inhalte erfasst werden (sog. Over-Blocking), so dass Grundrechte Dritter verletzt werden. Außerdem kann sich die Sperrinfrastruktur kontraproduktiv für den Opferschutz auswirken.

Darüber hinaus bestehen rechtsstaatliche Bedenken im Hinblick auf die hinreichende Bestimmtheit des Gesetzes, den Parlamentsvorbehalt für wesentliche Entscheidungen, das Fehlen eines Richtervorbehalts, die Rechtsschutzgarantie und die Verwaltungskompetenzen des Bundes.

Die vorgenannten Bedenken werden durch den „Nichtanwendungserlass“ des BMI nicht beseitigt. […]

Aus diesen Gründen kann empfohlen werden, den vorliegenden Gesetzentwürfen folgend das ZugErschwG ersatzlos aufzuheben. Es bleibt aber eine bedeutende, vorrangige Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wirksamere Wege zur effizienten Bekämpfung des Kindesmissbrauchs zu suchen und zu beschreiten.

Prof. Dr. Klaus Hoffmann-Holland, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie und Strafrecht an der FU Berlin, konstatiert ebenfalls „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“:

Gegen das am 23. Februar 2010 in Kraft getretene ZugErschwG bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Der notwendige Rechtsgüterschutz wird durch das ZugErschwG nicht wirksam gewährleistet, sondern teilweise erschwert. Eine Aussetzung der Sperrvariante durch bloße Nichtanwendung steht mit Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG nicht in Einklang. Vielmehr bedarf es einer Aufhebung des ZugErschwG.

Ergänzend verweist er darauf,

[…], dass das ZugErschwG problematische Aspekte zeigt, die mitunter als „symbolische Gesetzgebung“ bezeichnet werden. Die Ressourcenbindung durch ein ineffizientes Gesetz vermag die Wirksamkeit bestehender Alternativen zu schwächen.

Der Begriff der „symbolischen Gesetzgebung“ charakterisiert eine Methode legislativen Tätigwerdens, die sich im Bekenntnis zu bestimmten Werten bzw. in der aktionistischen Reaktion auf gesellschaftliche Erwartungen erschöpft, hierbei aber den postulierten Rechtsgüterschutz nicht oder allenfalls geringfügig zu erreichen vermag.

Dr. Christoph Schnabel, Rechtswissenschaftler und Mitarbeiter beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, hält fest:

Soweit in der Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz auf dessen Symbolgehalt verwiesen wurde, geht dies daher aus zwei Gründen fehl: Zum einen besteht keine Notwendigkeit, einen gesellschaftlichen Konsens der Verurteilung des Kindesmissbrauchs herzustellen, da dieser längst existiert. Zum anderen besteht die Gefahr, dass sich die Tätigkeit des Gesetzgebers im Zugangserschwerungsgesetz erschöpft. Gegen das Problem, dass Bilder und Videos im Internet verfügbar sind, die den realen Missbrauch Kinder und Jugendlicher zeigen, ist damit jedoch nichts getan.

Der wesentliche und qualitative Unterschied zwischen dem Zugangserschwerungsgesetz und den bisherigen gescheiterten Sperrversuchen ist darin zu sehen, dass der Irrtum nun in ein Spezialgesetz gegossen wurde. Dadurch wird eine Infrastruktur aufgebaut, Technik angeschafft und Zuständigkeiten geschaffen, deren weitere Nutzung bereits jetzt begehrt wird, bevor das Gesetz auch nur einen einzigen Tag für seinen eigentlichen Zweck, der Sperre von kinderpornographischen Internetinhalten, angewendet wurde.

Und:

Die Sperrmechanismen, derer wir uns bedienen und die das Zugangserschwerungsgesetz als technische Maßnahmen vorsieht, sind nichts weiter als Krücken. Sie simulieren technische Fehler, um die Erreichbarkeit der Inhalte zu unterbinden. Wenn der Einbau technischer Fehler zur Regel wird, wenn dies nicht nur totalitäre Staaten tun, sondern Deutschland und weitere demokratische Staaten, wenn das Internet so territorialisiert und aus technischer Sicht ein uneinheitlicher Flickenteppich wird, dann wird dies nicht ohne Folgen für die Funktionsfähigkeit des Internet bleiben. Auf lange Sicht kann dies negative Folgen für das Internet haben, dessen bisheriger Erfolg vor allem auf seiner Offenheit für Inhalte, Formate und Transportwege bestand.

Im Interesse aller Beteiligten sollte das Zugangserschwerungsgesetz daher so schnell wie möglich aufgehoben werden und seinen Status einnehmen als Fußnote im Kapitel „Fehlentwicklungen“ in der Geschichte der Entwicklung des Internet in Deutschland.

Auch Rechtsanwalt Dominik Boecker, Fachanwalt für Informationstechnologierecht, fordert die Aufhebung des ZugErschwG. Zusammenfassend stellt er fest:

1) Die derzeitige Handhabung des ZugErschwG ist verfassungswidrig. Die Weisung durch das Bundesministerium des Inneren ist ersichtlich rechtswidrig.

2 ) Das ZugErschwG selbst ist formell und materiell ebenfalls verfassungswidrig. Das ZugErschwG ist formell verfassungswidrig wegen a) der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes und b) der fehlenden Verwaltungskompetenz des BKA. Materielle Verfassungswidrigkeit folgt aus dem Verstoß gegen diverse Grundrechte und der inhaltlicher Unbestimmtheit des Gesetzes.

Rechtsanwalt Dr. Dieter Frey, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, empfiehlt aufgrund fehlender „verfassungsrechtlich gebotene[r] Normenklarheit und Normenbestimmtheit“ ebenfalls eine Aufhebung des Gesetzes. Ferner konstatiert er:

Das ZugErschwG birgt schließlich die große Gefahr, dass es zu einem „Dammbruch“ hin zu einem universellen Einsatz von Internetsperren im Internet kommt. Sperrungen werden mittlerweile in vielen Rechtsgebieten, insbesondere in den Bereichen des Online-Glücksspielrechts, des Wettbewerbsrechts und der Immaterialgüterrechte, verlangt. Uns sind beispielsweise rechtliche Auseinandersetzungen bekannt, bei denen Internetsperren unter Hinweis auf das ZugErschwG im Bereich des Urheberrechts gerichtlich geltend gemacht wurden. Auch im Bereich des Glücksspielrechts sind unter Berufung auf das ZugErschwG Sperranordnungen durch eine Verwaltungsbehörde gegen Access-Provider verfügt worden, die gegenwärtig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sind. Die beschriebene Entwicklung stellt den verfassungsrechtlich gebotenen ultima ratio-Charakter von Internetsperren in Frage und führt zu dem Missverständnis, es handele sich bei Internetsperren um ein beliebiges Mittel der Rechtsdurchsetzung.

Lediglich Dr. Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichthof, erachtet es für „sinnvoll und notwendig, das Zugangserschwerungsgesetz unter Wegfall der rechtlich fragwürdigen Einschränkungen künftig umfassend anzuwenden.“ Den Aufhebungsgesetzentwürfen kann er nicht zustimmen,

[…] weil mit der Abschaffung des gesamten Gesetzes auch die allgemein für erstrebenswert gehaltene Aufforderung zur Löschung von Seiten mit kinderpornographischem Inhalt nicht mehr als Verpflichtung staatlicher Behörden (insbesondere BKA) dargestellt wird. Wird aber die Verpflichtung zur Löschung solcher Seiten praktisch ins Belieben von Polizei und/oder von Providern gestellt, bedeutet dies de facto eine Unterstützung bei der Verbreitung kinderpornographischen Materials.

Auch BKA-Vizepräsident Jürgen Maurer sieht den „kriminalpolizeilichen Bedarf des Zugangserschwerungsgesetzes“ für „unverändert gegeben“. Seine Begründung lautet:

Die intensiven Bemühungen zur Löschung kinderpornografischer Inhalte im WorldWideWeb im Ausland führen zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Die Inhalte sind weiterhin über Tage verfügbar. Mehr als 40 % der dem BKA im Ausland bekanntgewordenen Inhalte sind sogar nach einer Woche noch verfügbar.

Jede Zeitspanne einer weiteren Verfügbarkeit ist aus den bereits genannten Gründen (gefahrenabwehr-)rechtlich inakzeptabel, so dass ergänzende Maßnahmen erforderlich sind.

Die mit dem Zugangserschwerungsgesetz geschaffenen Möglichkeit, den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im WorldWideWeb über in Deutschland ansässige Internet Service Provider (ISP) deutlich zu erschweren, stellt eine geeignete ergänzende Maßnahme dar, um die Dauer der Verfügbarkeit der Angebote zu reduzieren, bis diese gelöscht sind.

Lars Underbjerg, Kriminalinspektor der Dänischen Nationalpolizei am National High Tech Crime Centre, verweist noch einmal auf die vermeintlich unzureichenden – siehe dazu auch die jüngste, diametral entgegengesetzte Mitteilung des Verbands der Deutschen Internetwirtschaft eco – Löschanstrengungen in den USA und der Russischen Föderation. Erfahrungen mit einer sogenannten „worst list“ ergaben denmnach:

Reporting 126 domains to US and 10 to RU for a “take down” would have little or no effect since it has low or no priority in these countries.

Therefore filtering these domains have the effect that Danish end users will not be exposed to child abuse material distributed from these domains. From a law enforcement perspective this is positive and taking part in the preventive policing of the Internet. Since Denmark started filtering child abuse websites less websites has been reported by the public to the police hotline.

Die Stellungnahmen – noch nicht alle sind zum jetzigen Zeitpunkt online gestellt – finden sich hier.

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