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Zweierlei Maß: Die Ministerin und die Zwangskollektivierung

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat am Montag in ihrer Berliner Rede zum Urheberrecht eine Kulturflatrate mit der Zuschreibung, es handele sich um eine „Zwangskollektivierung der Rechte“, abgelehnt. Gleichzeitig bekannte sie sich zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage. Wie geht das zusammen? Sind nicht beides – in der Diktion des Wirtschaftsliberalismus – Formen einer Zwangskollektivierung?

Dazu zunächst die Worte der Ministerin zur Kulturflatrate:

Eine Kulturflatrate – die stellen sich einige offenbar so vor, wie eine Internet-GEZ. Jeder Anschlussinhaber ist verpflichtet, einen Pauschalbetrag zu bezahlen, und kann dann sämtliche urheberrechtlich geschützten Netzinhalte nutzen.

Aber was wäre die Konsequenz davon? Dies wäre eine Zwangskollektivierung der Rechte, die einen gewaltigen Verteilungskampf der Urheber um die Einnahmen zur Folge hätte. […]

Das Leistungsschutzrecht ist nun aber nichts anderes als eine Pauschalvergütung für Presseinhalte im Netz – eine verkappte Kulturflatrate Presse. Nach den bekannt gewordenen Plänen – zumindest von Verlegern und Journalistenverbänden (wir berichteten) – sollen künftig Suchmaschinenbetreiber, Social-Media-Aggregatoren, generell alle Unternehmen, die ihren Angestellten Zugang zum Internet gewähren, sowie Blogger über eine Verwertungsgesellschaft Presse Leistungsschutztantieme für die von den Verlegern aus freien Stücken kostenfrei ins Netz gestellten Angebote abführen. Da die Verleger niemand zwingt, letzteres zu tun, handelt es sich bei der Erhebung einer Verwertungsabgabe mittels Leistungsschutzrechts um die Schaffung einer kollektiven Zwangsabgabe.

Diesen Einwand mag die Ministerin vorausgesehen haben. Denn Sie fuhr in ihrer Rede mit den Worten fort:

[…] Nun mag man einwenden, dass wir auch jetzt schon die Privatkopie und die pauschale Geräteabgabe kennen, aber da gibt es doch einen entscheidenden Unterschied: Die Pauschalvergütung heutiger Art zielt auf die so genannte Zweitverwertung, aber wenn wir schon die primäre Verwertung pauschalieren und kollektivieren, dann trennen wir Werk und Autor und dann bleibt die Leistungsgerechtigkeit auf der Strecke. Deshalb ist eine so verstandene Kulturflatrate keine Lösung, die meinen Prämissen für ein faires Recht entspricht.

Was aber ist im Digitalzeitalter Erstverwertungsrecht, was Zweitverwertungsrecht? Was ist Original, was Kopie, wenn digital erstellte Presseinhalte zeitgleich in der Papier- und in der Online-Ausgabe erscheinen? Was ist primäre Verwertung, was sekundäre, wenn – wie inzwischen häufig praktiziert – Presseinhalte zuerst in der Online-Ausgabe publiziert werden, bevor sie gedruckt vorliegen?

Dreyer/Kotthoff/Meckel verweisen in ihrem Kommentarband „Urheberrecht“ (2. Aufl., 2009, S. 304) darauf, dass der Begriff der Erst- oder Zweitverwertung „wenig aussagekräftig“ ist und „mit Vorsicht verwandt werden“ sollte. Die Unterscheidung beruhe auf der Überlegung, „dass das Werk mehrfach nacheinander auf unterschiedliche Arten verwertet werden kann und bestimmte Verwertungsarten begrifflich eine vorangegangene andere Werkverwertung voraussetzen“. Die Unterteilung in Erst- und Zweitverwertung ließe sich „nicht streng durchhalten“ und passe für die in § 15 Abs. 1 Nr. 1–3 UrhG geregelten Rechte „ohnehin nicht, weil diese sowohl Erst- als auch Zweitverwertung sein können.“

Und da digitale Kopien sich nicht von digitalen Originalen unterscheiden, wird die Abstellung auf einen Unterschied auch technologisch obsolet. Die graduelle Unterscheidung – Pauschalierung der Primärverwertung ist Zwangskollektivierung, Pauschalierung der Sekundärverwertung aber nicht – lässt sich nicht aufrechterhalten. Die Ministerin misst offenkundig mit zweierlei Maß.

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