DIGITALE LINKE
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ACTA-Abkommen: Verhandlungspositionen en détail geleakt!

An dieser Stelle wurde bereits kurz auf ein neues, jüngst geleaktes Dokument zum gegenwärtigen Verhandlungsstand über das im Geheimen verhandelte Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) hingewiesen. Inzwischen liegt uns das diesbezügliche Dokument in einer weiteren, offenbar von der EU-Kommission für spezifische Zwecke des Europäischen Rates versandten Originalversion vor. Das insgesamt 44 Seiten umfassende Papier trägt das Datum 12. Februar 2010, wurde demnach nach der letzten Verhandlungsrunde am 26.–27. Januar in Guadalajara (Mexiko) erstellt und gibt eine tabellarische Übersicht über die Verhandlungspositionen der USA, der EU und weiterer Staaten. Es ist, wie der ACTA-Experte Michael Geist in seinem Blog konstatiert,

„probably the most significant leak to-date since it goes even beyond the transparency debate by including specific country positions and proposals.“

Adressiert ist das Dokument an die „Gruppe der Freunde des Präsidentschaft“. Bei dieser handelt es sich – siehe hier – um eine informelle Arbeitsgruppe des Rates:

„Die Freunde der Präsidentschaft sind eine Gruppe von Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission, die eingesetzt wird, wenn sektorübergreifende Themen zu bearbeiten sind, die nicht eindeutig einer einzelnen Ratsformation zugeordnet werden können. Die Freunde der Präsidentschaft werden ad-hoc einberufen durch das Land, das die Ratspräsidentschaft inne hat. Die Mitgliedstaaten können entscheiden, wen sie in die Gruppe entsenden. Die Arbeitsweise der Freunde der Präsidentschaft hat einen informellen Charakter. Die Verhandlungen finden z.B. überwiegend auf Englisch statt.“

Damit setzt die EU-Kommission, trotz zahlreicher Proteste auch aus dem Europäischen Parlament (siehe hierzu: „ACTA: ‚Wir wollen wissen, was los ist’“, für die Fraktion GUE/NGL die Pressemitteilung von Eva-Britt Svensson sowie die überfraktionelle Parlamentarische Anfrage vom 24. Februar 2010), ihre Politik der konsequenten Nichtöffentlichkeit fort. Informiert wird in außerparlamentarischen Verhandlungssystemen, nicht aber in demokratisch legitimierten Parlamenten. Das war im übrigen bislang auch die offizielle Linie der Bundesregierung in den Verhandlungen, wie der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zu entnehmen (wir berichteten).

Wenn nun Bundessjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine Offenlegung der Verhandlungstexte fordert, ist das zu begrüßen, wirft zugleich aber auch Fragen auf. Spiegel Online – „Copyright-Pakt Acta: Justizministerin will Surf-Verbot für Raubkopierer verhindern“ – gibt die Ministerin heute mit den Worten wieder:

Leutheusser-Schnarrenberger verlangt eine Publikation der Acta-Dokumente: „Die vorläufigen Verhandlungstexte sollten so bald wie möglich veröffentlicht werden.“ Sie plädiert für „mehr Transparenz und Offenheit bei den Vertragsverhandlungen“, um „unbegründeten Befürchtungen und Fehlinformationen“ vorzubeugen. Man habe das im Rahmen der EU-internen Beratungen mit einer Reihe weiterer Staaten „auch sehr deutlich gemacht“.

Fraglich an dieser Darstellung ist, dass Deutschland tatsächlich zu den Vorreitern in Sachen Transparenz bei ACTA zählt. Michael Geists Auswertung „The ACTA Transparency Scorecard“ auf Basis eines aus den Niederlanden stammenden, ebenfalls vor kurzem geleakten Dokuments mit Datum vom 15. Januar 2010 kommt da zu einem gänzlich anderen Ergebnis. Deutschland widersetzte sich demnach bislang ebenso wie die EU-Kommission der Forderung nach Transparenz. Sollte die Bundesregierung nun einen Kurwechsel vollzogen und – wie Spiegel Online unter Berufung auf die Ministerin berichtet – die sogenannte Erklärung der „Friends of Transparency“, die am Freitag auf der Tagesordnung der Sitzung des Haushaltspolitischen Ausschusses der EU steht, unterzeichnet haben, wäre das immerhin ein bedeutsamer Fortschritt.

Zum Inhalt des Dokuments: Wiedergegeben wird der Verhandlungsstand zu den Kapiteln „Civil Enforcement“ und „Special Measures related to Technological Enforcement Means and the Internet“ – letzteres wird oft auch als sogenanntes lnternet-Kapitel bezeichnet. Beide Punkte wurden auf der Verhandlungsrunde in Mexiko diskutiert (siehe hierzu den geleakten Bericht der Generaldirektion Handel vom 12. Februar 2010). Zu erkennen ist das Bemühen der EU, Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten zu gewinnen, nicht aber dem US-Ansatz gänzlich zu widersprechen. So wird von den EU-Unterhändlern dem Drängen der USA nach technisch wirksamen Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen, nach Ausweitung der Haftungspflicht für Diensteanbieter sowie nach Verbot der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (DRM) von Inhalten kein grundsätzlicher Widerstand entgegengebracht.

Michael Geist hat hier eine erste Kurzauswertung von zentralen Bestandteilen vorgenommen. Eine darauf aufbauende Übersetzung ins Deutsche liefert dankenswerterweise gulli.com:

Einige der interessantesten Bestandteile zum Internetkapitel des ACTA-Abkommens:

  • Die Thematik der „Safe Harbour“-Klausel scheint die Vertragspartner zu entzweien. Die Safe Harbour-Klausel befreit Diensteanbieter von einer Haftung, sofern diese Maßnahmen gegen rechtswidrige Taten ergreifen, falls sie davon erfahren. Neben einem Entwurf der USA stehen auch noch Ansätze aus Japan sowie der EU im Raum. Neuseeland zeigt sich gänzlich zurückhaltend und fordert Klärung, was von der Safe Harbour-Klausel betroffen sein soll.
  • Der japanische Entwurf sieht eine Haftung der Provider vor, sobald diese von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt haben. Die Diensteanbieter dürften zur Haftung herangezogen werden, wenn es technisch möglich ist, weitere Verletzungen zu verhindern. Dies gilt auch dann, wenn der Provider „weiß oder Grund zu der Annahme hat„, dass eine Rechtsverletzung stattfindet.
  • Provider sollen in ihren Nutzungsbedingungen erwähnen, dass sie technisch wirksame Maßnahmen gegen Rechtsverletzungen tätigen (bspw: Three-Strikes-Gesetz). Nur wenn sie sich dazu bereit erklären, können sie sich unter den Schutz der Safe Harbour-Klausel stellen. Neuseeland stellte sich vehement gegen diese Position. Japan hingegen hat erklärt, dass deren Gesetz keine Nutzungsbedingungen vorschreibt. Eine Implementierung solcher Richtlinien wäre also schwierig.
  • Die USA versuchen, einen globalen Digital Millenium Copyright Act (DMCA) durchzusetzen. Dieser ermöglicht es in den USA, sogenannte Löschaufforderungen zu versenden. Die Vollmachten von Rechteinhabern würden damit drastisch steigen. Eine der Nutzungsmöglichkeiten des DMCA sah man beispielsweise beim Fall Microsoft gegen Cryptome (gulli:News berichtete).

Einige der interessantesten Bestandteile zur zivilrechtlichen Durchsetzung des ACTA-Abkommens:

  • Die USA, Japan sowie die EU wollen eine Erweiterung der Rechtsmöglichkeiten auf jedwedes geistige Eigentum, also beispielsweise auch Patentangelegenheiten oder Vergleichbares. Kanada, Singapur und Neuseeland fordern hingegen eine strikte Begrenzung der zivilrechtlichen Möglichkeiten von ACTA. Es soll bei Urheberrechts- und Markenrechtsangelegenheiten bleiben.
  • Der Informationsaustausch bei Ermittlungen soll sehr weitläufig sein, wie die USA fordern. Die EU stellt sich mit der Forderung nach einem limitierten Austausch dagegen. Noch engere Grenzen formuliert lediglich der Vertragspartner Kanada.
  • Die EU fordert eine rechtliche Handhabe gegen Vermittler, deren Dienste zur Verletzung eines geistigen Eigentumsrechtes missbraucht werden. Mit dieser Forderung steht die EU bislang alleine.

Eine tiefergehende Auswertung des jüngsten Dokuments ist erforderlich, gestaltet sich aber als sehr aufwendig. Dies aus dem naheliegenden Grund, weil die von der EU, aber auch von Japan und Neuseeland sowie von weiteren Verhandlungsstaaten vorgelegten Alternativformulierungen zum US-Vorschlag in vielen Fällen eine nachhaltige Kenntnis der internationalen wie auch der jeweils nationalen Rechtsvorschriften zum Urheber-, Telekommunikations- und Telemedienrecht voraussetzten.

Weitere Reaktionen (in Auswahl) auf das Dokument:

KEI notes on the EU leak of the ACTA text

ACTA: haunted by the Telecoms Package

More ACTA Leaks; Reveal Different Positions Taken By Different Countries

Neues ACTA-Dokument durchgesickert

ACTA: Neue Enthüllungen, neue Befürchtungen

New ACTA leak shows major resistance to US-style DRM rules

Ein Kommentar zu “ACTA-Abkommen: Verhandlungspositionen en détail geleakt!”

  1. […] UPDATE: Wie ich gerade sehe, hat die “Digitale Linke” bereits ein 44seitenlangen Leak der Verhandlungen veröffentlicht. […]