Die Plenardebatte zum Abschluss der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ am 18. April war kaum beendet, da wurden aus Reihen der CDU-Bundestagsfraktion Informationen darüber gestreut, wo im technisch institutionellen Gefüge der Ministerialbürokratie die Bundesregierung künftig das Thema Netzpolitik anzusiedeln gedenke. Das Kanzleramt wolle, so hieß es in diesen informellen Mitteilungen, keinen Internetminister. Stattdessen solle die Netzpolitik dem Innenministerium zugeordnet werden. Fraktionschef Kauder sei eingeschaltet und unterstütze diese Disposition.
Aus den Reihen der Union hieß es, etwas frustriert ob der eigenen (netzpolitischen) Bedeutungslosigkeit, weiter: Netzpolitik sei vergleichbar der Umweltpolitik. Auch diese sei seinerzeit dem Innenministerium unter Genscher zugeordnet worden. Ebenso sei Umweltpolitik zunächst ein minoritäres Politikfeld gewesen. Es habe eine ganze Weile gedauert, bis alle Abgeordneten deren Bedeutung erfasst hatten.
Und tatsächlich meldete sich noch am selben Tag Bundesinnenminister Friedrich (CSU) mit einem Gastbeitrag auf Spiegel Online zu Wort, um leicht verklausuliert zu erklären, dass Netzpolitik zum Kernbereich seiner Arbeit gehöre. Im Wortlaut teilte er mit:
„Verfügbare und sichere Netze sowie ein auf gemeinsamen Werten gründender Rahmen für das digitale Zusammenleben sind die verbindende Klammer zwischen den verschiedenen Strängen der Digitalisierung. Sie betreffen die Kernbereiche meiner Arbeit als Bundesinnenminister. Als Bestandteile einer digitalen Gesellschaftspolitik sollen sie die bislang vor allem fachspezifische IT- und Netzpolitik übergreifend ergänzen.“
Der auf gemeinsamen Werten zu gründende Rahmen besteht im Übrigen in – wie „in anderen Bereichen […] seit jeher eine Selbstverständlichkeit“ (Friedrich) – der Erschaffung eines rechtlichen Rahmens. Für Kommunikationsfreiheit, Autonomie und Teilhabe ist in des Bundesinnenministers Universum kein Platz. Die offenbar mit dem Segen des Kanzleramtes erdachte Abschiebung der Netzpolitik ins Ministerium des Inneren machte diese denn auch vorrangig zu einem Aspekt der Inneren Sicherheit.
Aber nicht nur das. Auch die von der Enquete-Kommission einstimmig getroffene Empfehlung, im Parlament einen ständigen Ausschuss für Internet und digitale Gesellschaft fest zu verankern, verkäme zur Farce. War Netzpolitik bislang im Unterausschuss Neue Medien angesiedelt, und damit ein Appendix des Ausschusses für Kultur und Medien, so wäre sie künftig nicht viel mehr als ein Anhängsel des Innenausschusses – ein Unterausschuss Internet sozusagen.
Die mit dem Vergleich von Umwelt- und Netzpolitik aufscheinende Dystopie muss niemand teilen. Sie besteht darin, dass es 15 Jahre brauchte, bis die Umweltpolitik jene Bedeutung erlangte, die sie heute hat. Rechnerisch: von der Einrichtung des Sachverständigenrats für Umweltfragen in Genschers Innenministerium im Jahr 1971 bis zur Gründung eines Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in 1986. Doch tendiert die Bedeutung von Netzpolitik in Mutter Merkels Kreisen gegen Null.
Davon beredt Auskunft gibt sie selbst, zuletzt in einem am 20. April veröffentlichten Video-Podcast. Dieser galt vordergründig der Vorschau auf ein Treffen mit den Vertretern der Deutschen Content Allianz, das wenige Tage später stattfand. Die Content-Lobby aus Presse-, Musik- und Filmindustrie sowie privatem und öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschwerte sich bei dieser Gelegenheit erneut – siehe exemplarisch hier –,dass die netzpolitische Diskussion technik- statt contentorientiert geführt werde (Pressemitteilung).
Frau Merkel nimmt ausweislich des Videos – es ist mit dem Titel „Ein Gespräch über Regeln im digitalen Zeitalter“ überschrieben – das Wort Internetnutzer offenbar nur ungern in den Mund. Nutzer sind in ihrer Sicht Verbraucher. Das Netz ist in den Augen der Kanzlerin nichts anderes als ein Marktplatz. Auf ihm tummeln sich Urheber, gewerbliche Nutzer und konsumierende Verbraucher. Entsprechend ist sie froh, wenn sie sich einmal im Jahr mit Verbraucherschützern trifft, und entschuldigt sich, „dass nicht mit der Entstehung einer technischen Möglichkeit sofort der Regulierungsrahmen da ist“. Das sei wie bei der Erfindung des Automobils, das Setzen von regelnden Standards brauche Zeit.
Die Kanzlerin kündigt an, einen Ausgleich zwischen Urhebern, gewerblichen Nutzern und Verbrauchern zu schaffen, und erwähnt die Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage sowie die Verlängerung des Leistungsschutzrechts für Musikaufnahmen von 50 auf 70 Jahre als Positivbeispiele. Auch muss sie in dieser Eigeninszenierung immer wieder auf ihren Sprechzettel schauen, um Erläuterungen zum Handeln der Bundesregierung geben zu können.
In nicht einmal fünfeinhalb Minuten dokumentiert das Video eindringlich: Netzpolitik ist auch künftig im Kanzleramt kein Thema. Nachzutragen bleibt noch: Frau Merkel und die Vertreter der Content-Allianz vereinbarten einen kontinuierlichen Dialog.
Aufgelesen und kommentiert 2013-05-09…
Inge Hannemann über ihre Tätigkeit im Jobcenter Hamburg Hartz IV: Ein Bericht aus der Realität Agenda 2010 wirkt: Staat muss immer öfter Löhne aufstocken Leiharbeit und Minijobs: Karussell statt Sprungbrett Jeder Zweite ist unzufrieden mit seinem Job…
[…] dem eigenen Ausschuss für Netzpolitik und erst recht mit der oder dem StaatsministerIn eher doch nichts wird. Vielmehr solle das Thema beim Innenministerium gebündelt angesiedelt werden. Und siehe […]