Während Google das Kostenlosangebot Google Books als Werbeoberfläche nutzt, um E-Books zu verkaufen, stockt die Erstellung öffentlicher Digitalisierungsoffensiven. Größte Probleme: das Geld, der Föderalismus und das Urheberrecht.
Die von der Bundesregierung bereit gestellten 2,6 Millionen Euro reichen gerade, um die eigentliche IT-Infrastruktur zur Einbindung der Datenbanken und für die Benutzeroberfläche zu erstellen. Den eigentlichen Kostenfaktor, die Digitalisierung, sollen die Einrichtungen selbst leisten. DIE LINKE im Bundestag hatte immer wieder ein Förderprogramm zur Digitalisierung gefordert (wir berichteten) – so auch zum Haushaltsentwurf 2011. Wie die Regionalzeitung MAZ aus Potsdam berichtet, haben die Contentlieferanten in Bibliotheken, Archiven und Wissenschaftseinrichtungen große Schwierigkeiten 1. sich über Länder- und Institutionengrenzen hinweg auf einheitliche Formate und Standards zu einigen und 2. Personal und Finanzen für eine flächendeckende Digitalisierung zu stellen.
Aber auch das Urheberrecht verhindert weitere Digitalisierungsschritte. Nachdem dieses Problem im 3. Korb des Urheberrechtsgesetzes nicht angegangen wurde, denkt die EU-Kommission in Reaktion auf die Konsulation des „Grünbuches zum Urheberrecht in der wissensbestimmten Wirtschaft“ (pdf) über eine europaweite Lösung im Rahmen der Urheberrechtsrichtlinie nach. Ein entsprechendes Papier mit Lösungsvorschlägen soll Anfang 2011 vorgelegt werden.
Nun prescht die SPD-Fraktion im Bundestag vor und bringt einen Gesetzesvorschlag (Drs. 17/3991) zum Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken ein. Dieser setzt u.a. das Lizenzmodell von VG Wort, Börsenverein und Bibliotheken in Rechtsform um. Die VG Wort und Bild-Kunst haben bereits ihren Wahrnehmungsvertrag entsprechend geändert (mehr dazu beim Kulturrat hier und vom Vorstand der VG Wort hier). Auch der Kulturstaatsminister hat sich für die Umsetzung dieses Modells stark gemacht.
Auch wenn der Schritt, endlich einen Weg aus den genannten Dilemmata zu suchen, zu begrüßen ist: das Modell und die darauf fußende Gesetzesnovelle ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Hier war schon (auf der Grundlage des damaligen Kenntnisstandes) von den Problemen die Rede. Auch die Anhörung des Justizministeriums hat Schwierigkeiten deutlich gemacht.
Die zentralen Kritikpunkte am ausgehandelten Modell:
- wirklich Rechtssicherheit für die Bibliotheken ist trotz Nutzerfreistellung und ggf. Vergütungspflicht nicht gegeben. Der Urheber behält weiterhin alle Rechte, die Veröffentlichung zu unterbinden oder gegen die veröffentlichte Institution vorzugehen.
- es sollen auch Lizenzgebühren für Werke fließen, deren Rechteinhaber tatsächlich unauffindbar sind, die also abschließend als „verwaist“ klassifiziert werden. Sollte sich bis zum Ablauf der Schutzfrist kein Rechteinhaber melden, werden diese Gelder wohl an alle VG Wort-Mitglieder ausgeschüttet.
- der Veröffentlichung und Lizensierung soll eine „sorgfältige Suche“ vorausgehen, für die europaweit einheitliche Kriterien vorgeschlagen wurden. Der Bibliotheksverband hat wiederholt deutlich gemacht (zuletzt in einem Brief an EU-KOM-Präsident Barroso), dass eine solche Vorschrift die Einrichtungen überfordert und dazu führt, dass sich viele Einrichtungen an Digitalisierungsprozessen nicht beteiligen werden.
- eine kommerzielle Nutzung verwaister Werke und der Entstehung neuer Schutzrechte wird nicht entgegen gewirkt. Daran hätte der Börsenverein wohl auch kein Interesse, wie hier angemerkt wird. Möglicherweise will man sich die Tür offen halten, ein neues Geschäftsfeld aufzubauen. Der eigentlichen Intention, die digitalen Werke kostenfrei und ohne DRM zu veröffentlichen, liefe das jedoch zuwider.
Möglicherweise wird die EU-Kommission einer solchen Gesetzinitiative zuvor kommen und eine Schranke für verwaiste Werke vorschlagen. Dann wäre der deutsche Sonderweg wohl hinfällig bzw. müsste angepasst werden. Eine Schranke könnte auch den o.g. Problemen besser entgegen wirken und die Praktikabilität erhöhen. Das Bündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ hat bereits 2007 einen Vorschlag für eine solche Regelung im hiesigen UrhRG gemacht.
Update: Der Bibliotheksverband begrüßt den SPD-Entwurf, problematisiert allerdings ebenfalls die Vorschrift der „sorgfältigen Suche.
[…] verwaisten und vergriffenen Werken vorgelegt hat (Drs. 17/3991) und dieser Kritik unter anderem an dieser Stelle erntete, legt die LINKE nun einen eigenen Entwurf (Drs. 17/04661) […]
[…] Vorschlag erarbeitet, den die SPD als Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht hat (mehr dazu hier). Der Vorschlag sieht im Wesentlichen vor, dass die Bibliotheken, wenn sie Bücher digitalisieren […]
[…] der Deutschen Literaturkonferenz und den Verwertungsgesellschaften geschlossene informelle Einigung (“Verbändemodell”), die von der SPD in Gesetzesform in den Bundestag eingebracht wurde, nicht mehr EU-rechtskonform […]