DIGITALE LINKE
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#Fail-safe – Eine Nachbetrachtung zum JMStV (Teil II)

Die Novellierung des JMStV ist auf der Zielgeraden gescheitert. Im Landtag von NRW stimmten letzte Woche Donnerstag alle Fraktionen gegen den Staatsvertrag. Nachdem feststand, dass nicht nur FDP und DIE LINKE ihre Zustimmung verweigerten, sondern auch die CDU ins Ablehnungslager eingeschwenkt war, wollte die rot-grüne Landesregierung sich nicht die Alleinverantwortung für das Vertragswerk unterschieben lassen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ließ mitteilen, dass die Koalition „aus staatspolitischer Verantwortung“ zugestimmt hätte, für die ablehnende Haltung der für die Ausgestaltung des Vertrags mitverantwortlichen CDU aber nicht den Kopf hinhalten wolle (AFP).

Das Scheitern des Vertrags erweist sich vor diesem Hintergrund nicht als Ausdruck von politischer Vernunft, sondern eines machtpolitischen Kalküls. Rot-Grün in NRW drohte aufgrund fehlender eigener Mehrheiten eine Abstimmungsniederlage. Sie herbeizuführen, galt das Taktieren der CDU. In den Fokus der Aufmerksamkeit rückt damit erneut der dringende Handlungsbedarf zur Reform eines vordemokratischen Modells von föderal ausgehandelten Staatsverträgen. Zugleich sind damit auch noch einmal die Koalitionsszenarios in den rot-rot regierten Ländern in den Blick zu nehmen. Letztere wurden bislang lediglich in Hinsicht auf notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen erläutert.

Im einzelnen können für die vorauseilenden Zustimmungen zum JMStV in Berlin und Brandenburg sicherlich mehrere Gründe angeführt werden. Ganz oben in der Motivhierarchie dürfte allerdings der Sachverhalt stehen, dass das Politikfeld Internet und digitale Gesellschaft in den Landtagsfraktionen noch gar nicht angekommen ist. Die gesellschaftliche Entwicklung hin zu neuen, netzbasierten Formen politischer Kommunikation ist gegenwärtig real schneller als ihr parlamentarischer Nachvollzug. Damit verbunden ist gleichsam eine mangelnde strategische Weitsicht in der parlamentarisch verfassten Parteiendemokratie.

Auf Seiten der LINKEN hat in den letzten Jahren allein Lothar Bisky immer wieder auf die sich herausbildenden Strukturveränderungen im „informationellen Kapitalismus“ (Castells) hingewiesen. Der Erzeugung und Steuerung von Wissen, Information und Technologie komme künftig eine wesentliche Bedingung für die Organisation der gesamten Gesellschaftsstruktur zu. Im Verständnis dessen, was das bedeutete, mochte oder konnte ihm kaum jemand in seiner Partei folgen. Heute jedoch werden die von Bisky skizzierten Folgen explizit jenseits der staatlichen Regulierung der Medienordnung, der Präsenz von Politik in den Medien und der Politik der Medienkonzerne erfahrbar.

In einer Welt, in der immer mehr Menschen das Internet als Informationskanal nutzen, in der Kommunikation und Koordination über das Netz erfolgen, konstituieren sich zugleich neue Formen des Protestes einer digitalen Öffentlichkeit. Ob Zensursula, JMStV oder Stuttgart 21 – allen ist gemeinsam, dass nicht nur die Mobilisierung von Protest über das Netz erfolgt, sondern dessen Vermittlung und Präsenz über digitale Kanäle in die Berichterstattung und Aufmerksamkeitsökonomie der klassischen Medien gleichermaßen zurückfließen.

Wer sich über mangelnde Präsenz in jenen klassischen Medien – nicht zuletzt in dem von einer Zwei-Parteienautokratie aus CDU/CSU und SPD beherrschten öffentlich-rechtlichen Rundfunk – beklagt, sollte nicht den Fehler begehen, die technologischen Konstitutionsbedingungen solchen Protestes durch eine an vermeintlichen Gefährdungsszenarien ausgerichtete Verbots- und Zensurpolitik zu unterbinden. Nichts anderes jedoch bildete den Ansatzpunkt des JMStV.

Der Umstand, dass in NRW der Staatsvertrag am schwächsten Glied in der Kette des rundfunkpolitischen Ratifizierungsverfahrens zerbrach und nun der erneuten Bearbeitung bedarf, sollte genutzt werden, um die parlamentarischen ebenso wie die außerparlamentarischen Akteure real zu beteiligen. Netzpolitik entsteht nicht in den Hinterzimmern von paternalistisch handelnden Ministerpräsidenten. Zukunftsfähiger Jugendmedienschutz kann nicht länger nach vordemokratischen Prinzipien und in Form von behördlich sanktionierter Bewahrpädagogik mit erheblichen Kollateralschäden für die Meinungsfreiheit erdacht und betrieben werden. Die Grundlagen dazu sind in den Landtagsfraktionen jetzt zu schaffen.

Teil I erschien hier.

2 Kommentare zu “#Fail-safe – Eine Nachbetrachtung zum JMStV (Teil II)”

  1. […] Teil II mit einer Analyse begangener Fehler folgt hier. […]

  2. […] die in einigen Bundesländern keine besonders gute Figur in der JMStV-Debatte gemacht hat. Hier und hier zieht Jürgen Scheel von Digitale Linke ein Fazit und stellt das „vordemokratische Modell von […]