Die Linksfraktion hat das Bundesgesundheitsministerium zum Stand der elektronischen Gesundheitskarte befragt. Heise hat über die Antwort vorab berichtet, ebenso Gesundheit ad-hoc. Die FDP, die sich im Wahlkampf 2009 als Gegnerin des Projekts profilierte und in den Koalitionsvertrag noch ein Moratorium verhandelt hatte, vollzieht eine Kehrtwende. Näheres zur Auswertung der Antwort:
1. Die FDP hatte in einem Antrag (Drucksache 16/11245 pdf) noch 2008 die Einführung der eGK abgelehnt. Insbesondere müsse „eine aktuelle Bewertung unter Einbeziehung der bisher gewonnenen Erkenntnisse ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis“ ergeben und die „technischen Konzepte durch unabhängige Gutachter im Hinblick auf die Sicherheit der Daten“ überprüft werden. Im Rahmen der Kleinen Anfrage kann festgestellt werden, dass die Bundesregierung zu dieser Kosten-Nutzen-Bewertung keinerlei Angaben machen kann (Frage 17, 18, 19). Sie hat, anders als gefordert, auch keine Gutachten zum Nutzen-Kosten-Verhältnis erstellen lassen, sondern verweist auf das zwei Jahre alte, nicht konsentierte Gutachten von Booz und Company (Frage 1), die wiederum auf der alten, vom CCC geleakten Studie von 2006 basiert. In die Bestandsaufnahme wurden keine unabhängigen Gutachter einbezogen, sondern diese wurde von der gematik selbst durchgeführt und durch das BMG moderiert (Frage 5). Umso erstaunlicher ist, dass es keine klaren Angaben zum Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung gibt. Es ist davon auszugehen, dass beim angedachten verminderten Leistungsumfang keinerlei Effizienzgewinne zu verzeichnen sind und sich die eGK damit als eklatanter Kostenbringer im Gesundheitswesen erweist. Trotzdem sieht die Betreibergesellschaft gematik die Neuausrichtung als erfolgreich an.
2. Die Kosten der Einführung wurden für das Jahr 2009 noch mit 665 Millionen Euro jährlich angegeben (Drs. 16/11411 pdf). Im Jahr 2011 ist die Bundesregierung trotz Bestandsaufnahme nicht mehr in der Lage, die Kosten für die Einführung der Karte und der Telematikinfrastruktur anzugeben (Frage 15 und 16). Die genannte Studie von Booz and Company sieht die Kosten der Einführung jedoch bei bis zu 5,4 Milliarden Euro. Da die Regierung auf diese verweist, sind offensichtlich die bisherigen Regierungsangaben (1,4 Milliarden) basierend auf der IBM Orga-Studie von 2004 (pdf) hinfällig. Die gematik selbst bleibt hingegen bei diesen niedrigen Schätzungen und macht dafür u.a.gesunkene Preise für die Karten selbst verantwortlich.
3. Weiterhin müsse, so hatte die FDP 2008 beantragt, sicher gestellt werden, dass „aus dem Gebrauch der elektronischen Gesundheitskarte kein erhöhter bürokratischer Aufwand resultiert, insbesondere auch beim Einlesen der Karte in Arztpraxen, Apotheken usw. sowie bei der Anwendung der PIN-Nummer.“ Genau diese Probleme hatten die Feldtests in den Regionen ergeben (Auswertung hier). Als Reaktion werden nun vor allem Funktionen wie das elektronische Rezept und die Patientenakte auf Eis gelegt. Die PIN-Eingabe, notwendig zur Aufrechterhaltung der strengen Datenschutzauflagen, wird bei der Einführung der eigentlichen Online-Funktionen bleiben. Der Aufwand wird mit der „schnelleren und qualitativ besseren Verfügbarkeit von für die Behandlung notwendiger medizinischer Daten“ begründet (Frage 2). Diese wird es jedoch auf absehbare Zeit nicht geben.
4. Zunächst soll nur der Stammdatenabgleich mit den Krankenversicherungen und die Notfalldaten geben (Frage 3). Damit kann die Karte nicht viel mehr als die bisherige Versichertenkarte. Erst später soll die adressierte Online-Kommunikation (Arzt-zu-Arzt) und eine elektronische Fallakte (als Mehrwertdienst) angegangen werden, wenn diese die neuen Testverfahren bestanden haben. Ein medizinischer Mehrwert für Patienten ist damit nicht zu erkennen, es stehen lediglich verwaltungstechnische Abläufe im Vordergrund (Frage 10). Der Notfalldatensatz hat bisher seine Tauglichkeit in Tests nicht nachweisen können. Er wird derzeit neu konzipiert, unter anderem weicht die PIN-Eingabe bei der Erstellung des Datensatzes einer schriftlichen Einwilligung (sic!).
5. Laut FDP-Antrag von 2008 sollte eine „eingehende Prüfung durch unabhängige Sachverständige dahingehend stattfinden, ob moderne alternative Speicherungsmöglichkeiten, wie z. B. die Speicherung auf der Gesundheitskarte selbst oder auf so genannten USB-Sticks, praktikabler und sinnvoller sind als eine Speicherung auf zentralen Servern.“ Diese Untersuchung als „ergänzende Alternative zur dezentralen, serverbasierten Speicherung“ (Frage 3) hat 2009 durch die gematik und ein von ihr beauftragtes Institut stattgefunden und empfiehlt eine Weiterverfolgung dieser Option (siehe entsprechende Studie hier). Die Bundesregierung hat nun in die Verordnung zu den Testmaßnahmen die dezentralen Speicherlösungen aufgenommen. Diese sollen nun „technikoffen“ getestet werden, ohne jedoch die Onlineanbindung der Telematik zu ersetzen.
6. Die für die Onlineanbindung der eGK notwendigen schnellen Internetverbindungen weisen große Lücken auf (Frage 14). Zunächst muss konstatiert werden, dass eine 1Mbit-Leitung im Downstream und 128 kb im Upstream für verschlüsselte Kommunikation mit größeren Datenmengen wie Röntgenbildern etc. nicht ausreicht. Zudem weisen insbesondere die ostdeutschen Bundesländer eklatante Lücken selbst bei diesen langsamen Anschlüssen auf (siehe Drs. 17/5588 pdf). Eine Onlineanbindung der eGK wird damit für viele Praxen in ländlichen Räumen auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass die Bundesregierung den Ausbau der eGK u.a. mit der Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum begründet (Frage 31).
7. Im Rahmen der neuen Verordnung über Testmaßnahmen für die Einführung der eGK (pdf) sind die 10.000er und 100.000er Feldtests als Einteilung abgeschafft worden. Mit der Straffung des Aufgabenspektrums innerhalb der Selbstverwaltung sind auch die Testverfahren selbst in die Hände der Selbstverwaltung und der gematik gelegt worden. Es ist unklar, wie die Funktionen mit dem eigentlichen Mehrwert getestet und eingeführt werden sollen. Trotzdem treibt die Bundesregierung den Roll-out voran.
8. Die FDP hat ihre kritische Position dahingehend aufgegeben, dass sie die von ihr vertretenen Lobbygruppen getauscht hat. Hatte sie zu Oppositionszeiten Ärzte und Apotheker im Blick, die die Gesundheitskarte und den damit verbundenen bürokratischen Aufwand mehrheitlich ablehnen, vertritt sie nun eher die Interessen der IT-Branche (dazu das Handelsblatt). Diese hatte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Bestandsaufnahme des Projekts scharf kritisiert und einen schnellen Roll-Out der Karten gefordert. Dem ist Minister Rösler mit dem GKV-Finanzierungsgesetz nachgekommen und drückt dem Gesundheitswesen ein System auf, dessen Nutzen immer schlechter belegbar ist (dazu auch SPON und WELT).