DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Im Schützengraben der Urheberrechtsdebatte – eine Analyse des Aufrufs „Wir sind die Urheber“

Der Kampf um die ideologische Hegemonie in der Urheberrechtsdebatte geht in die nächste Runde.

Der Brief der Tatort-Autor_innen etwa wurde auch hier von LINKS beantwortet. Nachdem die 100-Köpfe-Kampagne des Handelsblattes unter anderem deswegen schief ging, weil mindestens so viele Nichturheber wie Urheber dazu zählten, finden sich nun mehrere neue Initiativen gegen die vermeintliche „Kostenloskultur des Internets“. Bei der Linksfraktion ging ein Brief einer Journalistin ein, die das LINKE 10-Punkte-Papier zum Thema „Urheberrecht in der digitalen Welt“ scharf kritisierte. Die Mail, in der die Autorin um Nichtveröffentlichung bat, erschien etwa zeitgleich auf dem Blog des Deutschen Journalistenverbandes, gekürzt um die Bitte der Nichtveröffentlichung. Die Antwort der angeschriebenen Abgeordneten ist dort inzwischen ebenfalls zu lesen.

Die Kampagne Ja zum Urheberrecht  machte mit Plakatmotiven von sich reden, die die Sympathiewerte für die Krimiautoren wohl nur begrenzt steigerten.

Am meisten Furore macht derzeit sicher die Kampagne wie-sind-die-urheber.de Unter den 100 Erstunterzeichner_innen finden sich fast ausnahmslos Buchautorinnen und -autoren. Organisiert wurde das Ganze vom Literaturagenten Matthias Landwehr. Mittlerweile haben mehr als 1500 Personen unterschrieben. Einige, die angesprochen wurden, haben auch nicht unterschrieben und begründen dies öffentlich. Andere starten erfolgreiche Gegenkampagnen wie diese oder diese. Vor der dennoch beeindruckenden Liste der Unterzeichnenden steht ein äußerst dürftiger Aufruf, der an dieser Stelle über diesen Artikel von Christian Stöcker hinaus, kommentiert werden soll:

Mit Sorge und Unverständnis verfolgen wir als Autoren und Künstler die öffentlichen Angriffe gegen das Urheberrecht.

Es ist unverständlich, was sie Autor_innen damit meinen. Niemand greift das Urheberrecht in seiner Gänze an. Auch der Zeitpunkt des Vorstoßes überrascht und kann eigentlich nur im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Piraten gedacht werden. Doch auch diese wollen das Urheberrecht nicht abschaffen, wie hier nachzulesen ist. Entweder geht es hier vor allem um eine gefühlte Gefahr für das Urheberrecht – oder die Kampagne entstand tatsächlich im Interesse des organisierenden Literaturagenten.

Das Urheberrecht ist eine historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit, und es garantiert die materielle Basis für individuelles geistiges Schaffen.

Unbestritten sind Urheberrechte eine historische Errungenschaft. Daher will sie ja auch niemand abschaffen. Die feudale Abhängigkeit ist aber seit Jahrhunderten beendet und weicht neuen Abhängigkeiten. Dazu sagen die gehätschelten Stars der Buchszene wenig, viele andere Kreative, etwa die bei Freischreiber oder der dju Organisierten hingegen schon. Auch das gerade durch das Internet beförderte nichtprofessionelle geistige Schaffen ist offensichtlich nicht im Fokus der Apellierenden. Marcel Simon Weiss macht sich darüber hier berechtigte Gedanken und fragt, warum ausgerechnet das Urheberrecht für die soziale Lage der Profiurheber herhalten soll.

 Der in diesem Zusammenhang behauptete Interessengegensatz zwischen Urhebern und „Verwertern“ entwirft ein abwegiges Bild unserer Arbeitsrealität. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft geben Künstler die Vermarktung ihrer Werke in die Hände von Verlagen, Galerien, Produzenten oder Verwertungsgesellschaften, wenn diese ihre Interessen bestmöglich vertreten und verteidigen.

 Auch hier: kein Wort zu den Problemen, die viele Autorinnen und Autoren mit ihren Verlagen haben. Im Gegenteil werden Interessengegensätze negiert, was noch einmal den Verdacht aufwirft, dass der Aufruf wohl kaum von Urheberinnen und Urhebern selbst verfasst wurde.

Die neuen Realitäten der Digitalisierung und des Internets sind kein Grund, den profanen Diebstahl geistigen Eigentums zu rechtfertigen oder gar seine Legalisierung zu fordern.

Der Begriff „Diebstahl Geistigen Eigentums“  macht das ganze Dilemma der Debatte deutlich. Das „Geistige Eigentum“ ist für viele Künstler_innen ein Synonym ihrer Lebensleistung. Die Doppeldeutigkeit und Problematik dieses Begriffes, erst recht, wenn man jemanden den Diebstahl vorwirft, ist den meisten nicht bewusst. Sie sollte ihnen jedoch bewusst sein, denn sie verdienen nicht nur Geld mit ihren Werken, sondern beteiligen sich auch an Öffentlichkeit und gehen mit Sprache um. Abgesehen davon rechtfertigt niemand illegale Downloads, sondern man stellt fest, dass es sie gibt – mit stark abnehmender Tendenz.

Die Debatte wird darum geführt, wie im Netz mit Kulturgütern so umgegangen wird, dass eine Win-win-Situation für Nutzende und Künstler_innen entsteht. Denn die Technologie bietet nun einmal Vervielfältigung zu Grenzkosten gegen 0. Es wäre eine normaler Vorgang, diesen Fortschritt auch im Sinne von mehr Verbreitung und – ja – auch mehr Wettbewerb im Verwerterbereich zu nutzen. Stattdessen kämpfen Medienunternehmen und Verlage darum, dass der Staat die alten Geschäftsmodelle mittels Digital Rights Management, Internetüberwachung, Strafrecht und Three-Strikes durchsetzt.  Den Aufrufern muss unterstellt werden, dass ihnen diese Mittel zur Durchsetzung von Vewerterrechten im Internet nicht nur egal sind, sondern sie diese Strategie ihrer „Interessenvertreter“ offen unterstützen. Dann sollen sie es aber auch sagen.

Im Gegenteil: Es gilt, den Schutz des Urheberrechts zu stärken und den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen.

Vorschläge bitte konkret auf den Tisch. Sonst ist keine rationale Debatte möglich. Bezeichnenderweise ist von niemandem der 100 ErstunterzeichnerInnen eine konkrete Idee zur Urheberrechtsreform bekannt geworden. Es geht anscheinend dem Aufruf vor allem darum, eine ideologische Hegemonie zu erreichen. Dies ist bereits aus anderen Kampagnen ähnlicher Art bekannt.

Das Urheberrecht ermöglicht, dass wir Künstler und Autoren von unserer Arbeit leben können und schützt uns alle, auch vor global agierenden Internetkonzernen, deren Geschäftsmodell die Entrechtung von Künstlern und Autoren in Kauf nimmt. Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz.

Gier und Geiz sind wohl demnach die Triebkräfte der Internetkommunikation. Kein Wort darüber, dass die Leute bereit sind, für kreative Leistungen gutes Geld zu zahlen. Wenn diese schnell, unkompliziert, digital und zu angemessenen Preisen zu haben sind. Wie wäre es, wenn sich die Urheberinnen und Urheber mal mit ihren Verlagen und Musikunternehmen zusammensetzen und fragen, warum eigentlich das Geschäft mit Ebooks und Onlinemusikdiensten- und Videotheken hierzulande viel schlechter läuft als in anderen Ländern? Könnte es sein, dass dabei Gier und Geiz eine gewisse Rolle spielen?

Man kann die Unterzeichnenden nur bitten, aus ihrem Schützengraben zu kommen und mit der Politik, der Gesellschaft, ihren Leserinnen und Lesern in einen Dialog über die Zukunft kulturellen Austausches zu treten. Politik ist im besten Fall transparente, wertegeleitete Interessenabwägung im partizipativen Verfahren – auch im Falle Urheberrecht. Aufrufe von derart minderwertiger Qualität, die nicht auf Antwort warten, sondern drohen, helfen dabei gewiss nicht.

 

7 Kommentare zu “Im Schützengraben der Urheberrechtsdebatte – eine Analyse des Aufrufs „Wir sind die Urheber“”

  1. Simon Weiß sagt:

    Danke für den Link, mein Name ist aber Simon und nicht Marcel Weiß 😉 (die Verwechslung ist bei dem Thema natürlich verständlich)

  2. Tobias Schulze sagt:

    Sorry, Simon, Weiss ich natürlich ;-). Ist Freitag nachmittag. Danke für den Hinweis.

  3. Aponaut sagt:

    Ich bin Urheber…

    Eine Antwort auf den unsäglichen Aufruf  der sich "bedroht" fühlenden 100 Künstler.  >>> spiegel.online >>> Aufruf>>> Ich habe in den letzten Jahren mehr als 500 Artikel geschrieben. Ich habe an Publikatio…

  4. Michael Schneider sagt:

    Dass niemand das UrhG abschaffen will stimmt sicher. Mich bewegt allerdings eine Frage, die das unmittelbar betrifft – und zwar, ist das UrhG in seiner jetzigen Form ein Förderer geistiger Kultur oder ein Bremser. Welche geistigen Grundlagen bestimmen unsere Massenmedien? Z.B. BILD, RTL und ähnliche. Die sind meines erachtens noch nicht mal im 20. Jahrhundert angekommen. Vom 21. erst gar nicht zu reden.

    Politische Parteien, sei es CDU, SPD oder ähnliches sind es im übrigen genauso wenig. Beispiel: der finale Rettungsschuss, der nichts anderes als die Einführung der Todesstrafe ohne Gerichtsverfahren und ohne Gerichtsurteil bedeutet. Das sind die geistigen Grundlagen unserer Politik.

    Das ist nicht das 20. Jahrhundert das liegt im 19. oder sogar noch früher.

    Eine weitere Sache ist der alltägliche Rassismus in den deutschen Zeitungen. Da ist Bspw. der Begriff der sogenannten „Döner-Morde“ – etwas was ungeheuer Kennzeichnend für die geistige Verfassung und Verrohung unserer Journalisten ist.

    Ist das jetzt eine verfehlte Bildungspolitik oder bremst uns das UrhG und wirft uns ins Mittelalter zurück? Und was kann man dagegen tun? Das sind die Fragen, auf die es meiner Meinung nach ankommt.

  5. Alexander Schmidt sagt:

    @Michael Schneider

    “Döner-Morde” das ist in guter Punkt. Was macht uns so aufnahmebereit für fremdenfeindliche Sichtweisen? Ich denke zu einem gewissen Grad ist der Menschen genetisch auf Kleingruppen, auf seine Sippe, geeicht. Wir merken das noch heute, dass nichts eine Gruppe so zusammenschweißt wie Angriffe von außen.

    Das ist der Teil, mit dem wir leben müssen und den wir versuchen könne, kulturell zu überprägen. Bzw. wir können versuchen, dass jeder Mensch freundliche Chancen für ein möglichst wirtschaftlich gesichertes Leben in Würde erreichen kann. Die Nazis, das ist meine Überzeugung, mögen Ausländer in erster Linie nicht, weil sie sich von ihnen wirtschaftlich bedroht fühlen.

    Zu dem „normalen“ Fremdeln kommt noch dazu, dass wir in immer mehr Bereichen die Konkurrenz zu fördern versuchen mit dem Argument, dass das die Anstrengungen des Einzelnen fördere und das Weiterkommen der gesamten Gesellschaft beschleunige.

    Wenn wir uns dann im Detail aber anschauen welche Art Konkurrenz stattfindet, mündet das in Büros häufig in Mobbing, zwischen Betrieben in entwicklungsschädigende Absprachen, zwischen Betrieben und Konsumenten in unlautere Methoden wie verschweigen von billigen oder gar schädlichen Zutaten. In entwickelten Industriestaaten (USA, Europa) sehen wir, dass Wertschöpfung von den Kapitalinvestoren ins Billigausland verlegt wird, weil die Kapitalrendite dann besser ausfällt. Leider hilft das den Bürgern gar nicht. Konkurrenz kann auch ganz schön schädlich wirken.

    Bei den Urhebern und ihren Verwertern kommt noch hinzu, dass sie durch die Urheberrechte Sonderrechte nutzen können, die ihnen sämtliche Preis-Konkurrenten für ihr spezielle Produkt vom Hals hält.

    Wenn Sven Regener eine CD raus bringt, muss sein Verwerter keine Angst haben, dass die CD wo anders billiger lizenziert werde könnte als bei ihm. Dafür hat das Label von der einen Seite gesorgt, als Sven Regener den Labelvertrag unterzeichnet hat, und von der anderen Seite schützt das Urheberrecht, dass kein anderer die CD einfach billiger anbieten kann.

    In diesem Monopol haben es sich die Verwerter gemütlich eingerichtet. Sie haben nicht das Problem, dass ein innovativer Interneteanbieter kommen könnte und ihnen konsumentenfreundliche Konkurrenz macht. Die Preise machen die Rechteverwerter und wer zu ihren Bedingungen nicht mit macht, macht gar nicht – jedenfalls nicht legal.

    Das ist der Status. Das ist die Urheberrechtsklemme.

    Wenn der Staat weiterhin die Monopole durch Urheberrecht aufrecht erhält, muss er den Verwertern weitere Pflichten auferlegen. Zum Beispiel könnte das für Musik/Film/Text-Angebote heißen, dass eine Preisdifferenzierung entsprechend der Qualität der Formate stattfindet. Kunden, die sehr gute Qualität wollen, müssen ein Angebot vorfinden können, und Kunden die nicht so viel ausgeben wollen/können müssen preiswertere legale(!) Möglichkeiten erhalten. Bis zum werbefinanzierten Gratis-Streaming.

    Ich bin sicher, wenn diese angebotsseitigen Möglichkeiten erst bestehen, werden die illegalen Angebote nur noch einen sehr schweren Stand haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass Kim Schmitz neben der Werbung auch Geld mit Monats- und Jahrestickets verdient hat. Es ist keineswegs so, dass im Internet kein Geld mit den Downloadern und Streamern zu verdienen ist. Die Verwerter haben bisher nur wenig Lust, weil sie sich auf dem urheberrechtlich abgesicherten Monopol ausruhen.

  6. Puck sagt:

    „Doch auch diese [die Piraten] wollen das Urheberrecht nicht abschaffen, wie hier nachzulesen ist.“

    Doch wollen sie zu einem erheblichen Teil!

    Oder wie soll man den Text aus ihrem Parteiprogramm verstehen:
    „Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern,…“

    Warum werden konkrete, fragwürdige Aussagen der Piratenpartei geleugnet, währenddessen der Linken andauernd etwas unterstellt wird, was sie nicht gesagt und gemeint hat ?

  7. Alexander Schmidt sagt:

    @Puck
    „Warum werden konkrete, fragwürdige Aussagen der Piratenpartei geleugnet…“

    Also, ich vermute – ich bin ziemlich sicher, dass viele Piraten, den Urhebern ihr Urheberrecht nicht nehmen wollen, sondern sie sind nur nicht damit einverstanden, wie die meisten Verwerter mit dem geliehenen Urheberrecht gegenüber den Konsumenten umgehen.

    Ein Hauptpunkt ist eben, dass die Verwerter bestrebt sind, das Urheberrecht, das einstmals die Urheber gegenüber den Verwertern, konkret den Druckern, ermächtigen sollte, heute gegen die Konsumenten instrumentalisiert wird. Und viele Politiker und Gerichte spielen da mit.

    Das Urheberrecht war eigentlich nicht dazu gedacht, die Werke zu verknappen, was heute durch die hohen Preise gemacht wird, sondern dafür zu sorgen, dass wenn Werke verwertet werden, die Urheber auch was davon abkriegen.

    Das Urheberrecht wurde nicht dafür geschaffen, die Preise möglichst hoch zu halten, egal wie preisgünstig Kopien hergestellt werden können. Dafür genau wird das Urheberrecht aber heute unter der Verwaltung der Verwerter genutzt. Die hohen Preise verknappen die Werke. Die Knappheit der Werke führte erst zu den illegalen Angeboten, wo die Kopien zum Selbstkostenpreis erstellt werden können.

    Wenn die Verwerter bei ihrer Verknappungspolitik nicht so stur wären, könnten sie all jene sofort wieder zu zahlenden Kunden machen, die bei Kim Schmitz oder bei Usenet Monats- und Jahresabos abgeschlossen hatten.

    Es wurde schon mehrfach versucht, nicht mehr verfügbare Werke frei kopierbar zu machen. Die Verwerter gingen empört auf die Barrikaden. Denn alles was die Knappheit verringert, greift direkt ihr heutiges Geschäftsmodell an.

    Die Piraten sehen nicht die Urheber und das Urheberrecht als Missstand, interpretiere ich, sondern das, was die Verwerter unter Zuhilfenahme des Urheberrechts in der Bevölkerung anrichten. Soll heißen die Kriminalisierung breiter Gesellschaftsschichten, vor allem junger Leute, zur Maximierung der Profite der Verwerter.

    „…währenddessen der Linken andauernd etwas unterstellt wird, was sie nicht gesagt und gemeint hat?“

    Die Linke ist der alte, wohl bekannte und am liebsten bekämpfte Feind der meisten Parteien. Der passabelste Kommunistenersatz eben. Wenn den Piraten unterstellt wird, dass sie das Urheberrecht abschaffen wollen, stehen sie mit der Linken zusammen auf der gleichen Unterstellungsstufe.

    Unterstellungen genügen immer dann, wenn sie im Publikum akzeptiert werden. Der beliebteste Spruch gegenüber den Grünen in den 80ern war: „Zurück in die Steinzeit.“ Heute ist die Zukunft grün und erneuerbar. Die Linken und Piraten müssen nur durchhalten … und sollten möglichst lange vermeiden, elementare Programmpunkte, wie die Grünen bei der Friedenspolitik, auf dem Altar der Macht zu opfern.