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Keeses SOPA

Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG, hat vor wenigen Tagen in seinem privat betriebenen Blog der presseschauder eine Eloge auf den Stop Online Piracy Act (SOPA) gesungen. Entgegen weit verbreiteter Kritik handele es sich bei dem Vorhaben in Wirklichkeit um ein „maßvolles und durchdachtes Gesetz“, lautet sein Fazit nach Durchsicht des Gesetzestextes: „SOPA ist viel besser als sein Ruf und sollte Gesetz werden“. Eine seiner zentralen Feststellungen allerdings erweist sich bei näherem Hinsehen als nicht haltbar.

Keese schreibt:

Sehr wichtig ist die Definition von „U.S.-directed site“. SOPAs neue Rechte für die US-Exekutive richten sich nur dann gegen ausländische Seiten, wenn diese auf die USA gerichtet sind. Keineswegs versucht der US-Kongress mit SOPA also – wie ihm vielfach vorgeworfen worden ist – die gesamte Welt zu regulieren. Es geht nur um Seiten, die sich an die USA richten.

Natürlich sind sind alle Seiten im Internet weltweit erreichbar. Reine Erreichbarkeit ist für SOPA aber kein ausreichender Maßstab. Gemeint sind ausschließlich Seiten, „that are used to conduct business directed to residents of the United States“ oder bei denen Indizien dafür vorliegen, dass sie Güter und Dienstleistungen in die USA verkaufen, beabsichtigen, dies zu tun, oder keine ausreichenden Schutzvorkehrungen treffen, die dies verhindern.

Tatsächlich jedoch findet sich der mit der Konjunktion oder eingeleitete Satzbestandteil im Gesetzentwurf (pdf) nicht. Dort heißt es:

The term ‘‘U.S.-directed site’’ means an Internet site or portion thereof that is used to conduct business directed to residents of the United States, or that otherwise demonstrates the existence of minimum contacts sufficient for the exercise of personal jurisdiction over the owner or operator of the Internet site consistent with the Constitution of the United States […].

Der Begriff der personal jurisdiction verweist auf eine Besonderheit des US-amerikanischen Rechts. Mit ihm wird die auch internationale Zuständigkeit eines Gerichts über eine bestimmte Person begründet. Bereits minimale Kontakte – z.B. der Betrieb einer Internetseite, die in den USA zugänglich ist – reichen gemeinhin aus, um die personenbezogene Zuständigkeit eines US-Gerichts zu begründen. (Siehe Torsten Bettinger, Der lange Arm amerikanischer Gerichte: Personal Jurisdiction im Cyberspace, pdf; sowie Tarec Alio, Grenzenlose US-Jurisdiction: Prozessuale Risiken für deutsche Unternehmen, pdf.)

Dem Gesetzestext zufolge wird zunächst eine Gerichtszuständigkeit über nicht im Staatsgebiet ansässige Betreiber von Webseiten geschaffen. Sodann erfolgt die materielle Spezifizierung dieser Zuständigkeit. Dazu wird nicht, wie Keese behauptet, von Webseiten gesprochen, die Güter und Dienstleistungen in die USA verkaufen, sondern von Webseiten, die Güter und Dienstleistungen anbieten (provide), bzw. Webseiten, für die Anzeichen bestehen, dass sie solche Güter und Dienstleistungen anbieten (offer or provide) oder den Zugang (access) zu oder die Belieferung (delivery) mit solchen Gütern und Dienstleistungen anbieten (offer or provide).

Folglich wird bereits aus der Definition des Begriffs der „U.S.-directed site“ ersichtlich, dass mit SOPA weitreichende Eingriffe verbunden sind. Nicht nur wird eine universelle Zuständigkeit von US-amerikanischen Gerichten zur Urheberrechtsdurchsetzung im Netz geschaffen. Auch werden Grundprinzipien rechtsstaatlicher Verfahren wie die Unschuldsvermutung durch Annahme- und Vermutungstatbestände ersetzt. Letzteres, sich in den Begriffsbestimmungen zunächst andeutend, wird in den späteren Passagen zur Privatisierung der Rechtsdurchsetzung (Sec. 103. Market-based system to protect U.S. customers and prevent U.S. funding of sites dedicated to theft of U.S. property) zur Gewißheit.

Angesichts der US-Dominanz von Suchmaschinen-, Werbe- und Zahlungsanbietern, die künftig gezwungen wären, Links, Zahlungstransaktionen und sonstige Geschäftsverbindungen zu Webseiten zu unterbinden, deren Betreiber sich dem US-amerikanischen (Urheber-)Rechtssystem nicht unterstellten, entfaltete SOPA erhebliche Folgewirkungen auf die offene, dezentrale und partizipatorische Struktur des Netzes. Yochai Benkler hat die politischen und geschäftlichen Hintergründe der hierin aufscheinenden Entwicklung in einem von der deutschsprachigen Netzöffentlichkeit bislang unbemerkt gebliebenen Aufsatz eingehend analysiert: „WikiLeaks and the PROTECT-IP Act: A New Public-Private Threat to the Internet Commons” (pdf).

Seine Ergebnisse gelten COICA (Combating Online Infringement and Counterfeits Act) und PROTECT IP (Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act). Sie sind eins zu eins auf SOPA übertragbar.

Ein Kommentar zu “Keeses SOPA”

  1. Interessanter Artikel … leider habt ihr nicht den ebenso interessanten und aktuellen Beitrag http://blog.die-linke.de/digitalelinke/acta-geht-uber-geltendes-europaisches-recht-hinaus/ weitergeführt … es wird jetzt offensichtlich wieder neu aufgelegt …