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Koalition gefährdet wissenschaftliches Arbeiten – §52a Urheberrecht steht vor dem Aus

„Für ein modernes Urheberrecht in der Wissenschaft muss jetzt gehandelt werden.“ So war eine Pressemitteilung der CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Kretschmer und Günter Krings vor drei Wochen überschrieben. Auch wenn ihre Definition eines modernen Urheberrechts für die Wissenschaft höchst fragwürdig ist, die von ihnen behauptete Dringlichkeit ist zweifelsohne gegeben.

Derzeit erlaubt der §52a des Urheberrechts („Öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung“) der Wissenschaft gewisse Freiheiten im Umgang mit urheberrechtlich geschütztem Material. Diese Freiheiten sind an vielen Punkten unpraktikabel und insgesamt viel zu wenige, deshalb fordert beispielsweise DIE LINKE im Bundestag seit geraumer Zeit eine Ausweitung der spezifischen Regelungen für Bildung und Wissenschaft und die Zusammenfassung der Bestimmungen zu einer sogenannten Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht (vgl. hier (PDF, S. 4/5) und hier (PDF, S. 2/3)). Diese Forderung ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern entspricht Positionen aus der Wissenschaftscommunity (vgl. hier, hier, hier oder hier). Dennoch ist sie derzeit im Bundestag nicht mehrheitsfähig.

Die CDU hingegen denkt zum Wohle privatwirtschaftlicher Verlage in die andere Richtung. Sie will, siehe die erwähnte Pressemitteilung, den Anwendungsbereich der bestehenden Regelungen „reduzieren“. Dann allerdings soll die übriggebliebene Restfreiheit dauerhaft im Gesetz festgeschrieben werden. Das wäre nicht im Sinne der Wissenschaft, weniger als heute, aber: es wäre nicht nichts. Nur offenbar gibt es hier keine Einigkeit mit dem Koalitionspartner. So jedenfalls liest sich die Pressemitteilung der Unionspolitiker.

Das Schlimme nun aber ist: Ein „Nichts“ droht derzeit der Wissenschaft. Die bestehenden Regelungen im §52a Urheberrecht sind nämlich durch §137k Urheberrecht befristet und laufen zum Jahresende aus.

Das will eigentlich niemand. Die Herren Krings/Kretschmer können sich deshalb laut ihrer Pressemitteilung vorstellen, dass „eine letztmalige kurze Befristung [des bestehenden Paragraphen] notwendig werden“ könnte.

Die Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), hat mehrfach öffentlich angekündigt, dass eine Verlängerung der Befristung angebracht wäre. Zuletzt auf Nachfrage der LINKEN Bundestagsabgeordneten Petra Sitte beim „politcamp“ am 23. September in Berlin.

Dazu bräuchte es aber eine Gesetzesinitiative zur Änderung von §137k, die bis zum Jahresende erfolgreich durch die Bundestagsgremien kommen müsste.

Deshalb fragte Petra Sitte schriftlich bei der Justizministerin nach, wie denn nun der Zeitplan aussieht für eine solche Initiative. Das Justizministerium antwortete Petra Sitte mit Datum 4.10. wie folgt:

„Die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat mit Schreiben vom 5. Juli 2012 dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages den Bericht über die dritte Evaluierung von §52a des Urheberrechtsgesetzes vorgelegt (Ausschussdrucksache 17(6)201 [PDF]). Mit diesem Bericht wird eine Verlängerung der Befristung vorgeschlagen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass der deutsche Gesetzgeber die für eine Fortgeltung der Regelung erforderlichen Beschlüsse fassen wird.“

Obwohl die Justizministerin also noch im September Hoffnung darauf machte, dass eine Fristverlängerung kommen werde, ist die Initiativarbeit in dieser Sache für ihr Haus mit der Übersendung des Evaluierungsberichtes Anfang Juli abgeschlossen. Dennoch wartet der CDU-Abgeordnete Kretschmer auf eine Initiative des Bundesjustizministeriums, wie in einem Bericht des Magazins „unicum“ vom 2.10. zu lesen ist.

Wir fassen die Tätigkeit der Regierungsfraktionen zusammen:

Der CDU passt die Fristverlängerung eigentlich nicht, da sie den Gesetzesinhalt vorher schmälern will. Dazu gab es offenbar keine Einigung mit der FDP. Das FDP geführte Justizministerium wartet nun, dass irgendwer im Bundestag aber ebendiese Fristverlängerung durchboxt. Die CDU kann sich zwar genau das zur Not nun doch vorstellen, wartet aber auf Vorschläge des Justizministeriums. FDP-Minsisterium und CDU-Abgeordnete schieben sich also Verantwortung zu, nur bis jetzt liegt keine Initiative seitens der Regierungsmehrheit vor.

Der die Verlängerung vorschlagende Evaluierungsbericht des Justizministeriums wurde bis jetzt auch noch nicht auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses gesetzt. Obwohl DIE LINKE den bestehenden Paragraphen für unzureichend hält, versucht sie, den Bericht kommende Woche im Ausschuss behandeln zu lassen. Ein ersatzloser Wegfall von §52a wäre für die Wissenschaft fatal.

Von der SPD liegt immerhin ein Vorschlag (PDF) vor, den entsprechenden Paragraphen dauerhaft zu entfristen. Auch das wäre weitaus besser als der drohende Wegfall und entspricht der Position des Bundesrats (vgl. bspw. diese Kleine Anfrage von Wolfgang Albers (LINKE) im Berliner Abgeordnetenhaus).

Die Zeit wird eng. Der Bundestag tagt noch sechs Wochen in diesem Jahr.

Die Koalitionsmehrheit muss sich jetzt entweder durch DIE LINKE zur Umsetzung der Vorschläge ihrer eigenen Ministerin tragen lassen. Oder sie stimmt dem SPD-Vorschlag zu. Oder sie schafft es noch auf die Schnelle, etwas Eigenes aus dem Hut zu zaubern. Oder aber Semesterapparate und Textarbeit in deutschen Hochschulen funktionieren ab Januar selbst auf Papier nur noch illegal. Der bisherige Verlauf der Geschichte lässt die ersten drei Optionen leider nicht allzu wahrscheinlich erscheinen.

Ein Kommentar zu “Koalition gefährdet wissenschaftliches Arbeiten – §52a Urheberrecht steht vor dem Aus”

  1. […] dazu auch die Beitrag von Jörg Braun im Blog “Digitale Linke” und den Beitrag „Illegal im Lesesaal“ auf […]