DIGITALE LINKE
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Nachhaltige Netzpolitik statt netzradikale Politik: Kulturgrüne fordern Richtungswechsel grüner Netzpolitik

In der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG Kultur von Bündnis90/Die Grünen rumort es gewaltig. Grund dazu bildet der von der grünen Bundestagsfraktion und Teilen der Partei eingeschlagene Weg in der Netzpolitik im allgemeinen und im Urheberrecht im besonderen. Das geht aus einem Mailwechsel der BAG hervor, der unter dem Betreff „Die Themen der Piraten sind genauso grüne Themen – die Lösungsvorschläge der Piraten könnten wahlweise auch von der FDP oder der Linken kommen“ geführt wurde und als  Beitrag bei Pastebin öffentlich zugänglich gemacht wurde.

Ausgangspunkt des Rumorens ist der jüngste Erfolg der Piraten bei den Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus und eine darauf Bezug nehmende Mail von Eva Kiltz, Geschäftführerin des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen (VUT). Der Verband, in ihm sind kleine und mittelständische Musikunternehmen organisiert, trat bislang durch Stellungnahmen für eine repressive Netz- und Urheberrechtspolitik hervor.

Beispiele: „Es kann nicht Ziel von Netzpolitik sein, jedem Angebot im Internet immer vollständige Anonymität zu verschaffen.“ Und: „Der VUT befürwortet ein Modell anlassbezogener persönlicher Warnhinweise als erste Maßnahme bei Feststellung von Rechtsverstößen in P2P Netzwerken.“ Verbunden mit der Forderung: „Verpflichtung der Provider zum Einsatz technischer Maßnahmen zu Verhinderung bzw. Behinderung offensichtlicher Rechtsverletzungen“. ( pdf)

Kiltz rät den Grünen nun, die Piratenthemen unter dem Gesichtspunkt der „Grünen Nachhaltigkeit“ aufzugreifen. In Auszügen liest sich das wie folgt:

Wie steht es mit Antworten auf die schöne Idee des freien Zugangs zu Informationen bei den Grünen? Die Frage ist: wie weit reicht diese Idee? Ist sie nachhaltig? Können wir als Gesellschaft uns das leisten? Und wenn freier Zugang zu Wissenschaft und Kultur und allen staatlichen Vorgängen und Informationen gegeben wird, wie weit ist es dann dahin, dass jegliche Information, die bisher als Leistung angeboten wird, frei sein muss? Anwaltliche Beratung? Managertätigkeit? Journalismus? Erfindertum? Telefonauskunft? Politiker? Lehrer? […]

Und wie reagieren wir auf die Trittbrettfahrer des Freien Zugangs? Die Datensammler und Onlinewerber, die Webspaceverkäufer und Dropboxvermieter? Nicht zuletzt befinden sich wegen des Freien Zugangs zu geheimen Dokumenten, den Wikileaks geschaffen hat, gerade mehrere 100 Personen (Whistleblower) in Lebensgefahr.

Nachhaltigkeit bedeutet für Kiltz, den Konsens in der Gesellschaft zu finden, der die Republik so grün wie möglich macht. Ideologisch offenbar ähnlich ungehemmt betrachtet Helga Trüpel, grüne Europaabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europaparlament, den Sachverhalt. Sie bedankt sich für den Beitrag ausdrücklich mit den Worten:

Aus meiner Sicht wirft er die entscheidenden Fragen nach der nachhaltigen Fin[nan]zierung von geschuetzten Inhalten im Netz auf, stellt die Frage nach einer verantwortlichen, demokratischen Regulierung im Netz, die auf Interessenausgleich zielt.

Wie es um diesen Interessenausgleich tatsächlich steht, ist auf Pastebin dem Beitrag eines weiteren Mitdiskutanten zu entnehmen. Ein Lukas S. äußert sich:

Trotzdem ist es gerade die Netzpolitik, welche die Piraten gefährlich macht. Nahezu alle Forderungen der Piraten in der Offlinewelt, vom Grundeinkommen bis Liquiddemocracy sind praktisch nicht umsetzbar. Ihre Forderungen für das Netz werden aber, unterstützt durch das massive Lobbying von Google, eco und Co., sowie die tendenziöse Berichterstattung von Leuten wie Spielkamp, Beckedahl, Sixtus usw. und nicht zuletzt durch den wachsenden Einfluss der digitalen Großkonzerne auf die Wissenschaft (Institut für Internetforschung – Google), von vielen Parteien zu ernst genommen. Uns Grüne nehme ich da nicht aus. […]

Wollen wir Grüne in der Netzpolitik den Piraten gefährlich werden, sehe ich den einzigen Weg in einer echten grünen Netzpolitik. Einer Netzpolitik, die sich an grünen Grundsätzen orientiert, sich aus ihnen ableitet. Eine Definition von digitaler Nachhaltigkeit wird in einer solchen Programmatik eine zentrale Rolle spielen. Nachhaltig umgehen müssen wir mit den neuen digitalen Freiräumen für die persönliche Entfaltung und politische Teilhabe genauso, wie wir nachhaltig mit den kulturellen Ressourcen, mit Werken und Werkschaffenden umgehen müssen. Eine netzradikale Politik, wie sie die Piraten verfolgen ist hier offensichtlich der falsche Weg und wir wären schlicht dumm, wenn wir glaubten wir könnte[n] den Piraten ein oder zwei Prozent ihres Wahlergebnisses abluchsen indem wir unsere Programmatik bei Hofmann, Beckedahl oder Tschmuck abschrieben.

Mit Hofmann, Beckedahl oder Tschmuck sind die von den Grünen in die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags entsandten Sachverständigen Jeanette Hoffmann und Markus Beckedahl sowie der von ihnen für die Enquete-Anhörung „Entwicklung des Urheberrechts in der digitalen Gesellschaft“ benannte Sachverständige Peter Tschmuck gemeint. Alle drei vertreten dezidiert progressive Positionen für eine Weiterentwicklung des Urheberrechts im Digitalzeitalter. Ebenso gilt das für Matthias Spielkamp und Mario Sixtus, die hier als tendenziöse Berichterstatter hingestellt werden.

Zugleich beklagt dieser Kulturgrüne, dass sich das Piratengehabe längst in parteiinterne Strukturen eingeschlichen habe. Sitzungen der grünen AG Netzpolitik  seien wie kleine Parteitage der Piratenpartei. Die von Kiltz kritisierten falschen und/oder gefährlichen Lösungswege der Piraten fänden sich viel zu häufig auch in der parteiinternen Diskussion wieder.

Inwieweit die Kulturgrünen als innerparteiliche netzpolitische Opposition größeren Einfluss besitzen oder gewinnen, wird abzuwarten bleiben. Trüpel zumindest dürfte zuletzt wenig Grund zur Freude gehabt haben. Das jüngst von der grünen Fraktion im Europäischen Parlament – ihr gehört ein Abgeordneter der schwedischen Piratenpartei an – verabschiedte Copyright-Papier reklamieren die Piraten als ihren Erfolg.

 

3 Kommentare zu “Nachhaltige Netzpolitik statt netzradikale Politik: Kulturgrüne fordern Richtungswechsel grüner Netzpolitik”

  1. JoernPL sagt:

    Lieber Jürgen,

    vielen Dank für den Hinweis auf die Diskussion. Wir freuen uns sehr, dass Ihr dabei helft, publik zu machen, welche intensiven Diskussionen wir Grünen über die Reform des Urheberrechts führen.

    Wie Dir sicher nicht entgangen ist, hat die grüne Europafraktion gerade ein sehr progressive Papier hierzu verabschiedet. Komisch, dass Du gar nicht darauf verlinkst?! Auch darauf, dass sämtliche unserer bisherigen Beschlüsse im Bereich des Urheberrechts als durchaus progressiv angesehen werden können und wir Grüne es waren, die mit der Kulturflatrate die Idee einer wirklichen Weiterentwicklung des bestehenden Urheberrechts entwickelt haben, für die Ihr Euch im Rahmen der Enquete ja auch gerade ausgesprochen habt, schreibst Du leider nichts. Nun ja.

    Ansonsten werden wir weitere, wichtige Weichenstellungen im Bereich des Urheberrechts auf unserer BDK im November in Kiel beschliessen. Gerne laden wir Dich ein, bei der BDK dabei zu sein und für Eure eigenen Beschlüsse, die ja weitestgehend noch ausstehen, etwas aus Kiel mitzunehmen.

    Herzliche Grüße
    JoernPL

  2. JoernPL sagt:

    oh, hab den letzten Satz überlesen, verzeih bitte, lieber Jürgen. Wir sehen uns in Kiel 😉

  3. Joerg Braun sagt:

    Lieber Jörn,

    1. Dein zweiter Kommentar zeigt mal wieder: Erst in Ruhe lesen, dann aufregen.
    2. Die Linksfraktion im Bundestag hat sich in der Enquete nicht „für“ eine Kulturflatrate ausgesprochen, sondern für wohlwollende Prüfung diverser Pauschalvergütungsmodelle. Weiter haben einzelne Politiker_innen klar gemacht, dass Sie das Modell der Kulturwertmark für durchdachter halten als Euer Konzept der Privatkopie-Ausweitung.
    3. Nicht unverschämt werden. Das unsere eigenen Beschlüsse „weitestgehend noch ausstehen“ kann nur sagen, wer nicht in Ruhe liest. Die LINKE hat im laufenden Jahr diverse Initiativen in diesem Bereich gestartet, die Du alle kennen solltest. Ein erster Lektüreeinstieg gelingt hier: http://linksfraktion.de/themen/urheberrecht-internet/ Unter anderem ist da unser Antrag, der eine umfassende Urheberrechtsreform anmahnt und deren Richtung auch skizziert. Wäre schön, wenn die Grünen so etwas im November dann auch nachreichen.