DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Staatstrojaner schlägt Wellen

Der vom CCC aufgespürte Staatstrojaner schlägt Wellen. Dabei ist die Sache gar nicht so neu: Onlinedurchsuchungen wurden in Deutschland spätestens seit 2005 durchgeführt. Eine Rechtsgrundlage für derartige Maßnahmen gab es zunächst jedoch nicht.

Bis am 30. Dezember 2006 in Nordrhein-Westfalen, wo das Innenministerium von der FDP geführt wurde, eine Änderung des Verfassungsschutzgesetzes in Kraft trat, womit dem Dienst der „heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel“ genehmigt wurde. Am 27.02.2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht den entsprechenden Abschnitt des Gesetzes jedoch für nichtig und schrieb in sein Urteil das sogenannte „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ hinein.

Zum 1. Januar 2009 trat dann das mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD verabschiedete Neufassung des BKA-Gesetzes in Kraft. Onlinedurchsuchungen waren nun auch auf Bundesebene möglich, allerdings mit hohen Hürden. Erkennbar wollte der Bund eine Regelung schaffen, die den vom Bundesverfassungsgericht gelassenen Spielraum voll ausschöpft. Gegen das Gesetz liegen mehrere Verfassungsbeschwerden vor, unter anderem vom damaligen Herausgeber der ZEIT, Michael Naumann.Eine Befassung steht noch aus.

Nach Auskunft der Bundesregierung hat das BKA bis zum 20.05.2010 keine einzige Maßnahme der Online-Durchsuchung gemäß §20k des BKA-Gesetzes durchgeführt, wenngleich bis zu dem genannten Zeitpunkt 101.581,84 Euro an Sachkosten in die Bereitstellung der technischen Mittel zur Durchführung solcher Maßnahmen investiert wurden. Auf neuere Anfragen verweigert die Bundesregierung allerdings unter Verweis auf Geheimhaltungsgründe die Antwort. Der Umkehrschluss legt nahe, dass seit dem 20.05.2010 durchaus Online-Durchsuchungen auf Basis des BKA-Gesetzes durchgeführt werden.

Weit häufiger sprechen die Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Infiltration informationstechnischer Systeme allerdings heutzutage nicht mehr von Online-Durchsuchungen, sondern von „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“. Sie betrachten also nicht das BKA-Gesetz als Grundlage, sondern berufen sich auf die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung, für die es verschiedene gesetzliche Grundlagen gibt, vor allem den §100a der Strafprozessordnung. Zwischen Onlinedurchsuchung und Quellen-TKÜ bestehen demnach sowohl juristische als auch technische Unterschiede, die allerdings von Juristen und Technikern nicht bestätigt werden konnten (vgl. Ulf Buermeyer, Matthias Bäcker: „Zur Rechtswidrigkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung auf Grundlage des §100a StPO. In: HRR-Strafrecht 10 (2009), S. 433-441, sowie Analyse des CCC).

Nichtsdestotrotz setzt etwa die Zollfahndung das Instrument nach wie vor ein. Dies ergab eine im Oktober 2010 beantwortete Anfrage der FDP über das Abhören von Skype-Telefonaten an das Finanzministerium: „Mittels einer speziell entwickelten Software können solche Gesprächsinhalte, noch bevor sie verschlüsselt werden, auf einen bestimmten Server ausgeleitet werden“, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk. Dies stehe im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, da sich die Überwachung „ausschließlich auf Daten aus laufenden Kommunikationsvorgängen“ beziehe.

Auch auf Länderebene werden Onlinedurchsuchungen durchgeführt. So ist in Bayern das Landesamt für Verfassungsschutz zu Online-Durchsuchungen ausdrücklich berechtigt. Art. 6e des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes regelt seit dem 27.7.2009 die „Verdeckte Online-Datenerhebung  Auch im rot-grün regierten Rheinland-Pfalz sind seit dem 23.02.2011 Online-Durchsuchungen möglich, nachdem der Landtag im Januar 2011 die im neuen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz festgeschriebene Regelung gebilligt hat. Ende 2013 soll hier der Erfolg des Landestrojaners evaluiert werden.

Inwieweit in den beiden Ländern tatsächlich Online-Durchsuchungen durchgeführt werden, ist nicht bekannt. Allerdings ist der Piratenpartei bereits 2008 ein Schreiben des bayerischen Justizministeriums zugespielt worden, welches ein Angebot der Digitask GmbH zum Abhören von Skype-Telefonaten beinhaltet. Der Mietpreis für die Software beträgt dabei lediglich 3.500 Euro pro Monat. Digitask erhielt nach Angaben der Frankfurter Rundschau im Jahr 2008 von deutschen Behörden fünf Millionen Euro für entsprechende Überwachungssysteme, was auf einen massenhaften Einsatz hindeutet.

Bislang ist erst ein einziger Fall bekannt, in dem Betroffene rechtlich gegen eine Onlinedurchsuchung vorgegangen sind. Vor dem Landgericht Landshut wurde ein Fall verhandelt, bei dem das Bayerische Landeskriminalamt auf dem Computer des Betroffenen eine Software aufgebracht hatte, durch die  „im zeitlichen Abstand von 30 Sekunden Screenshots von der Bildschirmoberfläche gefertigt wurden, während der Internet-Browser aktiv geschaltet war“ (Az. 4 Qs 346/10 LG Landshut, S. 7). Hierfür gebe es keine gesetzliche Grundlage, befanden die Richter.

Was nun?

Leider haben letztes Jahr außer den Grünen alle gegen den Antrag der LINKEN gestimmt, die Befugnis des BKA zur Online-Durchsuchung aufzuheben. Angeblich war es jetzt gar nicht das BKA. Wer dann? Ein Dienst, z.B. der bayerische Verfassungssschutz? Oder eine Länderpolizei? Nicht moralisch, aber rechtlich wäre das durchaus unterschiedlich zu bewerten. Warten wir mal ab, wer Lust hat, die Verantwortung zu übernehmen, nachdem Jörg Ziercke das offenbar nicht will.


Ein Kommentar zu “Staatstrojaner schlägt Wellen”

  1. Anonymous sagt:

    Aufgelesen und kommentiert 2011-10-10…

    Sozialabbau 2011, Folge 13 Lohndumping bei kirchlichen Unternehmen Leiharbeit in Deutschland – oft gnadenlos ausgebeutet ARD-Kurzreportage: CDU verweigert DDR-Flüchtlingen eine faire Rente Bundesfamilienministerin Schröder (CDU) will Betreuungsgeld ha…