Am 27. Oktober 2015 hat das Europäische Parlament den sogenannten Trilog-Kompromiss zur Verordnung zum Telekommunikationsbinnenmarkt gebilligt und die entsprechende Verordnung (.pdf) beschlossen. Ist die Netzneutralität damit tot? Kommt es, wie vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG Höttges flux darauf angekündigt, zur Internet- Maut – der Etablierung zweiseitiger Märkte, mit denen die Anbieter von Inhalten gezwungen wären, die Netzbetreiber nicht nur für den Anschluss ans Netz zu bezahlen, sondern auch für die Nutzung der Zugangsnetze?
Nicht unbedingt oder besser: nicht zwangsläufig! Ein genauerer Blick in das Regelungswerk zeigt, dass bei strenger Auslegung zweiseitige Märkte unvereinbar sind mit der EU-Verordnung, die unmittelbare Wirksamkeit in den Mitgliedsstaaten entfaltet und ab dem 30. April 2016 gilt. Gleiches ist für Zero-Rating-Angebote – sprich: spezifische Dienste, deren Nutzung vom monatlichen Datentransfervolumen ausgeklammert wäre – zu konstatieren. Halina Wawzyniak schlägt daher in einem Antrag für den Bundestag vor, die Entscheidung darüber, was Netzneutralität und deren Beschränkung bedeutet, nicht der Bundesnetzagentur als nationale Regulierungsbehörde zu überlassen, sondern dem Gesetzgeber selbst.
Vor dem Hintergrund der enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Netzneutralität wird vorgeschlagen, die Thematik über das in einem demokratischen Rechtsstaat geltende Wesentlichkeitsprinzip zurück ins Parlament zu holen. Das Wesentlichkeitsprinzip besagt, wesentliche Entscheidungen dürfen nicht an die Verwaltung delegiert werden, sondern müssen durch das Parlament getroffen werden. Ersteres aber würde geschehen, wenn die Bundesnetzagentur das EU-Regelwerk inhaltlich und, in gewohnter Weise wenig transparent, ausfüllen müsste.
Inhaltlicher Kern des Vorschlags ist es, Geschäftsmodelle, die zweiseitige Märkte oder Zero-Rating Dienste etablieren wollen, explizit auf Grundlage der Verordnung zu untersagen. Beide beruhen auf kommerziellen Erwägungen, stellen mithin weder angemessene Maßnahmen des Verkehrsmanagements noch erfordern sie – so EU-Verordnungssprech – ein vom herkömmlichen Internetzugangsdienst nicht gewährleistetes Dienstequalitätsniveau. Zudem wird definiert, was ausreichende Kapazität für das offene Internet bedeutet, in deren Rahmen laut Verordnung künftig priorisierte Dienste möglich sein sollen.
Diese wird für das offene Internet auf 95 Prozent festgesetzt. Entsprechend wird die Quantität priorisierter Dienste bis zur Errichtung einer flächendeckenden Glasfaserinfrastruktur (FTTB) mithin auf 5 Prozent der tatsächlich vorhandenen Übertragungskapazität begrenzt. Somit würde zugleich ein sanfter Anreiz für die Telekommunikationsanbieter geboten, beständig in den Ausbau der Netzinfrastruktur zu investieren, bis ein Zustand erreicht ist, in dem nach heutigen Maßstäben Knappheitsgesichtspunkte in der Verteilung von Bandbreiten nicht mehr bestehen.
Wir stellen den Vorschlag hier unter den folgenden Formaten .odt / .docx / .pdf zur Debatte. Hinweise, Kritik, Ergänzungen können nachstehend als Kommentar eingebracht werden oder sind per E-Mail unter dem Betreff „Netzneutralität nach der EU-Verordnung“ zu richten an: halina.wawzyniak(at)bundestag.de
[…] zeigt sich an den beiden markanten Fragestellungen der Verordnung: Zero Rating-Angebote und Spezialdienste. Erstere beispielsweise werden nicht auf Grundlage der Verordnung untersagt, sondern die Nationalen […]