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Nicht kontrollierbar

Jan Korte und die Bundestagsfraktion DIE LINKE haben sich in einer Kleinen Anfrage „Die strategische Rasterfahndung des Bundenachrichtendienstes (BND) im Zeitraum 2002 – 2012“ nach der Bilanz der verdachtslosen Fernmeldeüberwachung des Geheimdienstes erkundigt. Die Antworten der Bundesregierung (BT-Drs. 18/733) wurden im wesentlichen bereits von Kai Biermann auf Zeit Online seziert und eingeordnet. Da sich der vom Bundestag eingesetzte NSA-Untersuchungsausschuss auch mit der Rolle des BND im Konzert der westlichen Spionageapparate beschäftigen wird, das Thema daher auf der Tagesordnung bleiben wird, dokumentieren wir im folgenden eine interne Auswertung aus den Reihen der Bundestagsfraktion.

Auswertung der Antworten der Bundesregierung

1. Auffällig ist zunächst, dass die Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung weder dem Vorwurf widerspricht, die technischen Bedingungen der Netzinfrastruktur seien seinerzeit in der Gesetzesbegründung zur Novellierung des G 10-Gesetzes (Juni 2001) falsch dargestellt worden, noch dem seit den Snowden-Enthüllungen im Raum stehenden Verdacht, die westlichen Geheimdienste unterhielten untereinander einen Tauschring, mit dem sie Zugriff auf ihnen aktiv zu erheben untersagte Inlandskommunikation erhielten.

Hingegen kritisiert wird von der Bundesregierung der Begriff „Rasterfahndung“, der ein polizeiliches Instrument darstelle, keines des Nachrichtendienstes. Tatsächlich aber stammt die Bezeichnung „Rasterfahndung“ von Dr. Bertold Huber, Vorsitzender Richter am VG Frankfurt/Main und stellvertretender Vorsitzender der G 10-Kommission. Dieser erfasst darunter ausdrücklich die strategische Fernmeldeüberwachung des BND nach § 5 G 10 (Huber: Die strategische Rasterfahndung des Bundesnachrichtendienstes – Eingriffsbefugnisse und Regelungsdefizite, NJW 2013, 2572).

2. Auffällig ist ferner, dass die Bundesregierung keine Angaben zur Anzahl der TK-Verkehre (weltweit, von und nach Deutschland, rein innerdeutsch) und zur Relation der von und nach Deutschlands geführten TK-Verkehre nach Übertragungswegen machen kann oder will (Antworten 1, 2). Diese bildeten die Zahlengrundlage, aufgrund derer das BVerfG (Juli 1999) die strategische Fernmeldeüberwachung des BND nach dem G 10-Gesetz bewertete und urteilte, dass „eine flächendeckende Erfassung jedenfalls des internationalen Fernmeldeverkehrs nicht zu besorgen“ sei, da nur der nicht leitungsgebundene internationale TK-Verkehr (Rundfunk oder Satellit) von und nach Deutschland der Überwachung unterläge und dessen quantitativer Anteil lediglich „etwa zehn Prozent des gesamten Fernmeldeaufkommens“ betrug (1 BvR 2226/94,1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95, Rz. 222/223).

Ebenfalls wird negiert, dass eine statische Erfassung darüber erfolge, wie viele TK-Verkehre täglich in die Erfassungssysteme des BND gelangen (Antwort 5). Dies sei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das aber waren genau jene Angaben, die seinerzeit vor dem BVerfG geltend gemacht wurden und mit der Novellierung des G 10-Gesetzes erneut vorgelegt wurden. Damals bestand ebenfalls keine gesetzliche Notwendigkeit, solche statistisch auszuweisen. Insofern wird die Auskunft darüber verweigert, in welchem Ausmaß eine Zunahme in der Überwachungsintensität mit der Novelle des G 10 real einhergegangen ist. Fakt ist lediglich, dass mit dieser die Überwachungskapazität rechtlich auf 20 % Prozent der gesamten TK ausgedehnt wurde.

3. Auf ein praktiziertes Kontrolldefizit verweisen auch die Angaben der Bundesregierung, dass Zahlen weder zu den Übermittlungen der vom BND betriebenen Auslandsüberwachung an ausländische Geheimdienste vorliegen noch zu Übermittlungen mit Deutschlandbezug in umgekehrter Richtung (Antworten 8, 9).

4. Bei Gefahr im Verzug können Anordnungen auf strategische Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 G 10 vollzogen werden, ohne die G 10-Kommission mit diesen vorab zu befassen. Ob die Voraussetzungen vorliegen, um von der Ausnahmevorschrift des § 15 Abs. 6 S. 2 G 10 Gebrauch zu machen, entscheidet das BMI. Die Gründe für die Annahme einer Eilbedürftigkeit unterliegen anschließend der nachträglichen Kontrolle durch die monatlich zusammentretende G 10-Kommission. Die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen zeigen, dass die Vorschrift eher die Regel bildet als die Ausnahme. Beispielsweise wurden 2007 45,5 % und 2008 41,2 % aller Anordnungen vorab unter Gefahr in Verzug angeordnet, 2012 immerhin waren es noch 17,2 % (Antwort 12).

Zugleich – auch das ist erstaunlich – wurde im gesamten Zeitraum 2002–2012 keine einzige der insgesamt (regulär und vorab) angeordneten strategischen Beschränkungsanordnungen des BND von der G 10-Kommisson für unzulässig oder nicht notwendig erachtet (Antwort 13).

5. Die Erfassungssysteme des BND unterliegen keiner technischen Überprüfung von Dritten, eine Einsichtnahme in den Quellcode wurde nicht vorgenommen (Antworten 17, 18). Beteuert wird durch die Bundesregierung zwar, dass kein unberechtigter Zugriff oder eine Manipulation durch unbefugte Dritte erfolgen könne. Das wird aber ebensowenig kontrolliert wie der Umstand, dass ein unberechtigter Zugriff oder eine Manipulation auch durch den BND selbst erfolgen kann.

6. Die Antwort auf die Frage, in welcher Form eine physikalische oder logische Trennung zwischen unterschiedlichen Erfassungssystemen des BND gewährleistet wird, wird als „Geheim“ eingestuft und Auskünfte darüber in die Geheimschutzstelle verwiesen (Antwort 19). Das ist insofern brisant, weil daraus mittelbar zu schließen ist, dass die einfachste Lösung einer physikalischen Trennung – also unterschiedliche Erfassungsgeräte für die strategische Fernmeldeüberwachung nach § 5 G 10 mit einer Kapazitätsgrenze von 20 % und für die strategische Fernmeldeüberwachung der reinen Auslandsüberwachung ohne jegliche Kapazitätsgrenze – nicht gegeben ist. Andernfalls hätte das mitgeteilt werden können.

7. Obgleich die Bundesregierung weder benennen kann, welchen Umfang E-Mails oder Chats am gesamten Datenverkehr beanspruchen, noch in welcher Form das Nichtüberschreiten der 20 %-Grenze kontrolliert wird, hält sie letztere weiterhin für „eine wirksame und zeitgemäße Begrenzung“ (Antwort 20). Darüber hinaus behauptet sie zugleich die Möglichkeit einer weiteren Ausweitung der Überwachungsintensität, in dem das Speichern des zu überwachenden Datenstroms zur Auswertung im Rahmen von „Full take“ und XKeyscore für legitim erklärt wird (Antwort 21).

Fazit: Den Antworten ist eine Mischung aus praktiziertem Kontrolldefizit und dessen aktiver Bemäntelung durch die Bundesregierung zu entnehmen. Dass zu zentralen Tätigkeiten und zur tatsächlichen Überwachungsintensität des BND keine Zahlen vorliegen ist wenig glaubhaft oder wäre geradezu fahrlässig. Zudem wird der BND technisch nicht kontrolliert, sondern ihm vertraut. Eine effektive technische Kontrolle der strategischen Fernmeldeüberwachung ist nicht gegeben.

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