DIGITALE LINKE
— Politik in der digitalen Welt! —
 

Willentlicher Konstruktionsfehler: Ein Blick auf das Netzsperrenurteil des EuGH

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern entschieden, dass Netzsperren bei Urheberrechtsverstößen zulässig sein können (Urteil in der Rechtssache C-314/12). Konkret ging es um den österreichischen Internetzugangsanbieter UPC Telekabel.

Die Filmproduktionsgesellschaften Constantin Film und Wega hatten gegen diesen beantragt, eine Website zu sperren, auf denen von ihnen produzierte Filme zum Download oder per Streaming ohne ihre Zustimmung angeboten wurden. Das Handelsgericht Wien ordnete daraufhin an, den Zugang zur beanstandeten Website durch das Blockieren des Domainnamens und der IP-Adresse umzusetzen. In der Revision wurde der Beschluss zunächst mit der Maßgabe abgewandelt, nicht der Sachverhalt an sich sei zu beanstanden, jedoch sei die Benennung des Mittels rechtsfehlerhaft, mit dem der Zugang zu den inkriminierten Inhalten zu unterbinden angeordnet wurde. Sodann wurde der Fall vom Obersten Gerichtshof Österreichs dem EuGH vorgelegt.

Das Urteil des EuGH setzt sich sozusagen aus zwei Bestandteilen zusammen. Bestandteil I besagt, Access-Provider wie UPC Telekabel sind Vermittler im Sinne der Urheberrechtsrichtlinie aus dem Jahr 2001 (Richtlinie 2001/29/EG) und als solche bei Urheberrechtsverstößen rechtlich zu belangen. Hierin folgt das Gericht unionsrechtlichen Vorgaben und insonderheit Erwägungsgrund 59 der Richtlinie, in dem es heißt:

„Insbesondere in der digitalen Technik können die Dienste von Vermittlern immer stärker von Dritten für Rechtsverstöße genutzt werden. Oftmals sind diese Vermittler selbst am besten in der Lage, diesen Verstößen ein Ende zu setzen. Daher sollten die Rechtsinhaber — unbeschadet anderer zur Verfügung stehender Sanktionen und Rechtsbehelfe — die Möglichkeit haben, eine gerichtliche Anordnung gegen einen Vermittler zu beantragen, der die Rechtsverletzung eines Dritten in Bezug auf ein geschütztes Werk oder einen anderen Schutzgegenstand in einem Netz überträgt.“

Insofern bestand für das Gericht in diesem Punkt wenig Ermessensspielraum. Anders sieht das in Bezug auf Bestandteil II aus. Dort wird eine Abwägung zwischen mehreren kollidierenden Rechten aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und eine Einstufung des Verhältnisses unterschiedlicher Schutzgegenstände bei Anwendung der Richtlinie vorgenommen. Im Einzelnen sind das: das Recht des geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 der Charta), das Recht auf unternehmerische Freiheit (Art. 16) und das Recht auf Informationsfreiheit der Internetnutzer (Art. 11).

Das Recht auf unternehmerische Freiheit wird demnach am geringsten tangiert. Zwar ist seine Beschränkung durch Sperranordnungen gegeben, doch werden einem Access-Provider dadurch weder untragbare Opfer noch Pflichten auferlegt, die mit seiner übrigen wirtschaftlichen Tätigkeit unvereinbar sind. In das Recht auf Informationsfreiheit der Internetnutzer hingegen wird in weitaus stärkerem Maße eingegriffen. Dennoch sind Netzsperren dann nicht ungerechtfertigt, wenn der Eingriff „streng zielorientiert“ erfolgt und die Internetnutzer ihre Rechte vor Gericht geltend machen können – sprich: die vom Access-Provider getroffenen Durchführungsmaßnahmen beanstandet werden können.

Werden diese beiden Rechte – und darin spiegeln sich Crux und willentlicher Konstruktionsfehler des Urteils zugleich – vom Ausmaß ihrer negativen Beeinträchtigung her abgewogen, wird das Recht des geistigen Eigentums dementgegen aus der Perspektive seiner positiven Durchsetzung bewertet. Zwar, so das Gericht, entfalte sich das Recht des geistigen Eigentums weder schrankenlos noch sei sein Schutz bedingungslos zu gewährleisten, doch müssten Internetnutzer „zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des genannten Grundrechts zugänglich gemachten Schutzgegenstände zuzugreifen.“

Dass die Umkehrung gewollt erfolgt, zeigt sich eindrucksvoll ebenso in der dem vorstehenden unmittelbar voran gehenden Passage. Demnach sind Netzsperren selbst dann nicht ungeeignet und unvereinbar mit dem Erfordernis, ein „angemessenes Gleichgewicht“ zwischen den drei genannten Grundrechten herzustellen, wenn Rechtsverstöße durch sie nicht vollständig abzustellen sind. Wie „nicht vollständig“ dennoch „zuverlässig“ sein kann, entzieht sich jeglicher sinnhafter Rationalität.

Hierin hat der Irrsinn offenbar Methode. Mit einer ungleichen Abwägung von Grundrechten spricht der EuGH politisch Recht.

Keine Kommentare mölich.