DIGITALE LINKE
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Verleger zuerst 2.0: Die SPD als Lobbyist der Zeitungsverlage – und in eigener Sache

An dieser Stelle wurde bereits auf Frank-Walter Steinmannseiers medienpolitischen Presselobbyismus im Digitalzeitalter hingewiesen. Nun hat der Spiritus Rector dieser Überlegungen Marc Jan Eumann, SPD-Landtagsabgeordneter in NRW und in Personalunion Chef der SPD-Medienkommission auf carta.info mitgeteilt, wie Steinmeiers Thesen zu verstehen sind. Auffällig ist, worüber Eumann sich – unmittelbar vor dem Wahltag – nicht ausläßt.

Das Wort „Leistungsschutzrechte“ fällt in seinem Text an keiner Stelle. Dabei hat die SPD- Medienkommission unter seinem Namen und unter dem Datum des 23.09.2009 einen Antrag für den nächsten SPD-Bundesparteitag im November 2009 mit der Forderung eingebracht nach:

„Einführung eines Leistungsschutzrechtes für Verlage, damit kostspielig erstellte Inhalte nicht beliebig kostenlos kommerziell verwertet werden können“

Was sind Leistungsschutzrechte? Das von Luc Jochimsen und Petra Sitte, beide MdB DIE LINKE, im März 2009 in Auftrag gegebene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags [die Rechte zur Veröffentlichung liegen uns nicht vor, eine Veröffentlichung durch den Wissenschaftlichen Dienst ist allerdings avisiert] besagt dazu:

„Das Urheberrechtsgesetz enthält in seinem Teil 2 Schutzbestimmungen für andere wichtige Leistungen im kulturellen Bereich, die keine persönlichen geistigen Schöpfungen darstellen und somit keine geschützten Werke im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG sind. Es sind die sogenannten ‚Verwandten Schutzrechte’ oder ‚Leistungsschutzrechte’ (§§ 70-87e, 94 UrhG). Es sind Schutzrechte für Leistungen, die, da sie keine persönlichen geistigen Schöpfungen im Sinne von § 2 UrhG darstellen und damit keinem Urheberrechtsschutz zugänglich sind, aus persönlichkeitsrechtlichen Erwägungen oder mit dem Ziel des Schutzes organisatorisch-wirtschaftlicher Leistungen auf kulturellem Gebiet geschützt werden sollen11. Die Leistungsschutzrechte finden sich im deutschen Urheberrecht damit in einem eigenen Zweiten Teil des Gesetzes. Zu den „Verwandte Schutzrechten“ zählen z.B. der Schutz bestimmter Ausgaben wie wissenschaftliche oder nachgelassene Werke (§§ 70,71 UrhG), von Lichtbildern (§72 UrhG), von ausübenden Künstlern (§§ 73-84 UrhG), von Tonträgerherstellern (§§85,86 UrhG), von Sendeunternehmen (§87 UrhG) oder Datenbankherstellern (§§87-87e UrhG).“

Weniger juristisch formuliert, geht es im Kern um ein den Zeitungsverlegern bislang nicht gewährtes Recht. Ihnen soll im Angesicht der Wirtschaftskrise ermöglicht werden, neue Einkommensquellen zu erschließen. Ein Leistungsschutzrecht für die Presse soll ermöglichen, von vermeintlich unproduktiven Aggregatoren wie Google News – aber auch Bloggern – Geld verlangen zu können. Verschwiegen wird dabei, dass Google jederzeit Publikationen von der Newssuche auszuschließen bereit ist, wenn dies vom Verleger gewünscht wird. Doch das ist den Verlegern kein Thema im interessegeleiteten Kampf um Gewinne in der digitalen Aufmerksamkeits- und Verwertungsökonomie.

Wie über ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage das für die Meinungsfreiheit konstitutive Zitatrecht gewährleistet werden kann und wie Journalistinnen und Journalisten – die zumeist über Total-Buy-Out-Verträge an die Verlage gebunden sind – an der digitalen Zweitverwertung ihrer Texte in Online-Medien beteiligt werden, ist weder der SPD noch den Verlegern ein Wort wert.

Unter dem Titel „Faszination des Mystischen. Zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage“ schreibt Till Kreutzer im aktuellen Heft von epd medien (Nr. 76, Printfassung) dazu und zu Total-Buy-Out-Verträgen:

„Die Verlage stehen auch ohne Leistungsschutzrecht ganz und gar nicht rechtlos da. Vielmehr profitieren sie annähernd uneingeschränkt von den sehr weitgehenden Nutzungsrechten, die sie sich von den Urhebern, also den Journalisten und Fotografen, einräumen lassen. Im Verkehr mit den Nutzungsrechten an Artikeln und Fotos diktieren die Presseverlage die Konditionen. Das führt in der Praxis dazu, dass die Urheber üblicherweise all ihre Rechte durch ‚Total-buy-out-Verträge’ gegen geringe Pauschalvergütungen an die Verlage abtreten müssen.

Weil dies ihren eigenen Interessen widerspricht, gerade freie Journalisten sich hiergegen jedoch aufgrund ihrer generell schwachen Marktposition nicht wehren können, hat der Gesetzgeber sogar im Jahr 2002 eigens neue Schutzpositionen der Urheber eingeführt. Das seither geltende Urhebervertragsrecht soll sie vor Ausbeutung durch ihre Vertragspartner schützen. Viel gebracht hat es freilich bislang nicht, schon gar nicht, dass die Urheber nun nicht mehr annähernd all ihre Rechte auf die Verlage übertragen würden.

Die so erlangten urheberrechtlichen Nutzungsrechte verschaffen den Verlegern eine umfassende Schutzposition. Es bleibt ihnen unbenommen, ihre Inhalte nur gegen Entgelt anzubieten. Tun sie es – wie derzeit im Online-Bereich üblich – nicht, ist das ihre eigene Entscheidung. Wer Verlagsinhalte ohne Erlaubnis nutzt, begeht eine Urheberrechtsverletzung und macht sich damit haft- und unter Umständen sogar strafbar. Wer sich unerlaubt kostenlosen Zugang zu kostenpflichtigen Inhalten verschafft und dabei z. B. Log-In- oder Bezahlsysteme umgeht, kann ohne weiteres von den Verlagen belangt werden.

Dass die Rechtsverfolgung […] vor allem für Tageszeitungen problematisch sei, weil hier ‚gesetzlicher Normalfall’ sei, dass der Journalist dem Verleger lediglich einfache Nutzungsrechte einräumt, ist irreführend. Denn was auch immer der gesetzliche Normalfall ist, übliche Praxis sind die oben geschilderten umfassenden Rechteübertragungen. Sie führen dazu, dass die Verlage annähernd vollständig in die Rechtsposition der Autoren eintreten.

Es geht also nicht um Rechte, sondern um mehr Rechte. Ein Leistungsschutzrecht würde den Verlagen nur einen Mehrwert bringen, wenn es über das – ohnehin schon sehr weitgehende – Urheberrecht an den Beiträgen hinausginge.“

Laut Kreutzer wären bei einem Leistungsschutzrecht für Verlage im Prinzip auch Zitate und sogenannte Snippets von Verwertungsregeln betroffen:

„Je nachdem, wie weit man das treibt, könnte man zum Beispiel bestimmen, dass der Satz: ‚Merkel will mehr Polizisten und Videoüberwachung’ dem Spiegel-Verlag ‚gehört’, weil er ihn am 19. September 2009 als Überschrift für eine Online-Nachricht verwendet hat. Lässt Google in der News-Suche diese Überschrift anzeigen oder weist ein Blogger auf den Artikel unter Verwendung des Satzes hin, müssten sie den Spiegel-Verlag um Erlaubnis fragen oder (wenn das Leistungsschutzrecht nur einen Vergütungsanspruch gewähren würde) zumindest eine Lizenzgebühr zahlen.“

Und: „Um dem Treiben von Google-News beizukommen, würde es freilich auch ausreichen, nur Ausschnitte wie: ‚Verleger fordern Leistungsschutzrecht im Internet – Die deutschen Zeitungsverleger haben erneut ein gesetzliches Leistungsschutzrecht gegen die Gratis- Angebote im Internet verlangt. …’ (so sieht ein typischer Google-Snippet aus) dem Leistungsschutzrecht zu unterwerfen.“

Sein Fazit: „Die wirtschaftlichen Probleme der Verlagswirtschaft könnten so ohne weiteres behoben werden. Wenn von allen Blogs, Nachrichtenseiten, Enzyklopädien oder Foren und sonstigen Angeboten, in denen auf fremde Inhalte hingewiesen oder über die gleichen Ereignisse berichtet wird, Geld eingesammelt wird, könnten sicherlich erkleckliche Summen eingetrieben werden.“

Weshalb erwähnt Eumann all das nicht? Dafür sind zwei Gründe naheliegend. Erstens: Die Forderung nach Leistungsschutzrechten für die Presse kommt aus dem Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und wird am vehementesten vom Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, vertreten. Als Lobbyvertreter für Springer und Konsorten will die SPD sich aus wahltaktischen Gründen aber offenbar lieber nicht outen.

Zweitens: Die SPD ist selbst in großem Maße Zeitungsverleger. Laut jüngstem Rechenschaftsbericht des Bundetags der Parteien 2007 (BT-Drs. 16/12550) und der Auflistung von Wikipedia betragen die Einnahmen der SPD aus Unternehmenstätigkeiten und Beteiligungen über 9,1 Mio. Euro, somit 5,8 % der Gesamteinnahmen. Keine andere Partei bezieht solche Werte aus Unternehmensbeteiligungen, und das sind zum ganz überwiegenden Teil Beteiligungen an Medienunternehmen [Dank an Frank für den Hinweis].

Wählertäuschung? Ja, was sonst!

2 Kommentare zu “Verleger zuerst 2.0: Die SPD als Lobbyist der Zeitungsverlage – und in eigener Sache”

  1. Anne Tricks sagt:

    Irgend ne Ahnung wie sehr das verallgemeinerbar ist?

  2. uwe wallner sagt:

    Ist denn die tendenziöse und tendenzielle Zuwendung der Sozen
    zu den Verlegern bereits länger festzustellen, oder ist man hier einen
    mächtigen großen Bruder gefällig, in der Hoffnung auf Wahl- und finanzielle Hilfe?