Das Unterbinden missliebiger Datenverkehre in das Agenda-Setting um Netzneutralität zu integrieren, gehörte einst – wie hier gezeigt – zum Forderungskatalog der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Auch staatliche Akteure sowie restriktive Rechts- und Innenpolitiker hierzulande zeigten sich dem nie abgeneigt. Nun schreitet die Große Koalition, angeführt von Wirtschaftsminister Gabriel (SPD), voran, Netzsperren im Namen der Netzneutralität via Europa zu ermöglichen. Doch zunächst ein Rückblick:
Als das seinerzeit FDP-geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Sommer 2013 – bezeichnenderweise unter dem Datum: 17. Juni – den „Entwurf einer Verordnung zur Gewährleistung der Netzneutralität“ (pdf) vorlegte, war darin noch von der inhaltsneutralen Datenübermittlung die Rede. Maßgaben zur Rechtmäßigkeit übertragener Informationen und Inhalte sowie deren Behandlung spielten in dem Verordnungsentwurf keine Rolle. Das änderte sich im September desselben Jahres.
Mit Datum 11. September 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission einen „Vorschlag für eine Verordnung über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents“ (pdf). Dort wurden in Artikel 23 Vorkehrungen für die sogenannte Netzneutralität – ein Begriff der im Text von der Kommission selbst verwendet wird – mit dem Einsatz von Maßnahmen zum Verkehrsmanagement verbunden. Das Blockieren oder Sperren von bestimmten Inhalten, Anwendungen, Diensten oder Klassen sollte im Rahmen von Maßnahmen des Verkehrsmanagements möglich sein, „um einer Rechtsvorschrift oder einem Gerichtsbeschluss nachzukommen oder um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern“ (Art. 23 Abs. 5a).
In dem jüngst von Netzpolitik.org veröffentlichten Textvorschlag zur Netzneutralität (Stand: Anfang Dezember 2014, pdf), mit dem die Bundesregierung ihre Position in den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene einbringen will, blieb diese Bestimmung in kosmetisch veränderter, teils sogar erweiterter Form erhalten. Das Papier stammt aus dem SPD-geführten Bundeministerium für Wirtschaft und Energie, folgt zugleich aber der Maßgabe aus dem Koalitionsvertrag, eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität auf europäischer Ebene anzustreben. Weggefallen in der entsprechenden Neufassung des Verordnungsvorschlags ist lediglich der unmittelbare Bezug von Maßnahmen des Verkehrsmanagements im Verbund mit zu unterbindenden Informationen und Inhalten.
Das heißt, entfernt wurde nur der Hinweis auf den Einsatz von Maßnahmen des Verkehrsmanagements zur Rechtsdurchsetzung, nicht aber solche Maßnahmen selbst. Damit ist der Zugriff auf die physische Transportinfrastruktur mittels Netzwerktechnologien zum Unterbinden missliebiger Inhalte weiterhin möglich. Mehr noch: Das Deliktspektrum wird in einem neugefassten Absatz 5 zu Artikel 23 durch die Bundesregierung ausgeweitet. Neben dem Verweis auf das weite Feld von Strafrecht und Strafvorschriften treten neu hinzu: Datenschutz, Schutz des geistigen Eigentums und – als Kann-Bestimmung – das Sperren von Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten nach Artikel 25 der Malmström-Richtlinie (2011/93/EU).
Vorschlag der Kommission zu Art. 23 [September 2013]:
(3) Dieser Artikel lässt die Rechtsvorschriften der Union oder nationale Rechtsvorschriften über die Rechtmäßigkeit der übertragenen Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste unberührt.
[…]
(5) Innerhalb vertraglich vereinbarter Datenvolumina oder -geschwindigkeiten für Internetzugangsdienste dürfen Anbieter von Internetzugangsdiensten die in Absatz 1 genannten Freiheiten nicht durch Blockierung, Verlangsamung, Verschlechterung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten, Anwendungen oder Diensten oder bestimmten Klassen davon beschränken, außer in den Fällen, in denen angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen erforderlich sind. Angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen müssen transparent, nicht diskriminierend, verhältnismäßig und erforderlich sein,
a) um einer Rechtsvorschrift oder einem Gerichtsbeschluss nachzukommen oder um schwereVerbrechen abzuwehren oder zu verhindern;
Vorschlag der Bundesregierung zu Art. 23 [Dezember 2014]:
(5) Dieser Artikel lässt die Rechtsvorschriften der Union oder nationale Rechtsvorschriften über die Rechtmäßigkeit der übertragenen Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste unberührt, insbesondere hinsichtlich des Datenschutzrechts, des Strafrechts und des Schutzes geistigen Eigentums. Rechtmäßige Maßnahmen nach Artikel 25 der Richtlinie 2011/93/EU bleiben unberührt.
[…] Und das Blog Die Linke schreibt: Bundesregierung: Netzsperren im Namen der Netzneutralität. […]