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Computerspiele und Political Correctness – Ein schwieriges Verhältnis

Eine jüngst von PsychologInnen der USC Annenberg School for Communication veröffentlichte Studie zur Political Correctness von aktuellen Computerspielen liefert sehr bedenkenswerte Ergebnisse (heise berichtete): Die ethnische Vielfalt der Gesellschaft der USA wird in den meisten Games in Bezug auf die spielbaren Charaktere und anzutreffenden ProtagonistInnen nicht widergespiegelt. In der großen Mehrzahl der Games sind die Charaktere heterosexuell, männlich, weiß und junge Erwachsene. Dagegen spielen Frauen, ältere Menschen, Kinder und die Mehrheit der vielfältigen Ethnien in den USA (z.B. Latinos) praktisch keine Rolle. Laut der Studie der USC können in nur rund  zehn Prozent der aktuell weltweit vertriebenen Computerspiele, in denen es menschenähnliche Charaktere gibt, weibliche Charaktere gespielt werden. Nur wenig spiegeln die Spielcharaktere die Realität der Gamer wider, in der beispielsweise ältere Jahrgänge zunehmend an Bedeutung gewinnen. Laut BIU e.V. waren 2008 in Deutschland bereits weit über ein Drittel aller SpielerInnen weiblich – Tendenz steigend.

Computerspiele hinken bei der Repräsentation von gesellschaftlicher Realität und Wandel weit hinterher. Dazu ein Vergleich: US-amerikanische Fernsehserien, die insbesondere für jüngere Menschen ebenso wie Games ein selbstverständlicher Teil ihrer Alltags- bzw. der Popkultur sind, reflektieren in viel größerem Maße den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre in Bezug auf die Genderdebatte und emanzipatorische Erfolge. Es gibt Heldinnen, die sich als Mittelpunkte von Serien zur Identifikation für Mädchen und Frauen anbieten. Dabei greifen sie nicht nur neue Geschlechterrollenentwürfe auf, sondern (de-)konstruieren wie in einem Experimentierlabor Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe. (siehe Karin Lenzhofer) Beispiele sind u. a. Buffy – The Vampire Slayer oder aktuell Terminator – The Sarah Connor Chronicles.

Viele Multiplayergames wie Team Fortress 2, Battlefield 2 oder der Klassiker Counter Strike Source verfügen noch nicht einmal über die Option, einen weiblichen Avatar auszuwählen. Branchenriesen wie Electronic Arts (EA) reagieren hier bereits und entwickeln verstärkt auf weibliche Zielgruppen zugeschnittene Produkte. Trotzdem herrscht in der Mehrzahl der virtuellen Spielwelten und den in ihnen erzählten Geschichten weiterhin überwiegend tiefstes Patriarchat, in dem Spielerinnen keine weibliche Identifikationsfiguren finden können und weiblichen Charakteren hauptsächlich ein Objektstatus zugeordnet wird. Lichtblicke, die zeigen, dass es auch ganz anders geht, sind jüngst Velvet Assassin oder Venetica, die aber immer noch Ausnahmen bleiben.

Political Correctness von aktuellen Computerspielen ist noch in weiterer Hinsicht problematisch. Es bedarf keiner empirischen Studie, sondern nur eines Spaziergangs durch die Computerspieleabteilung eines Kaufhauses, um dominierende politische und kulturelle Hegemonien zu erkennen: Ein großer Teil der Computerspiele sind durch us-amerikanische oder sagen wir ruhig: durch die Weltsicht und Kultur der reichen Industriestaaten geprägt. Aus ihrer Perspektive werden Geschichten erzählt und nach ihren kulturellen Befindlichkeiten Spielwelten geformt. In der weltweit und besonders auch auf dem deutschen Spielemarkt sehr erfolgreichen Strategiespielreihe Die Sims ist es die idealisierte us-amerikanische Mittelschicht-Familie, nach der diese Lebenssimulation geformt ist. Die putzigen Sims mähen artig die Rasen ihrer Vorgärten, veranstalten spießige Grillparties und gestalten ihre Häuser nach den Katalogen großer Möbelhausketten. Es ist dabei aber schlichtweg spieltechnisch unmöglich, Lebensweisen zu simulieren, die nicht dem westlichen Kulturkreis und Lebensentwürfen folgen, oder die nicht der bürgerlichen Mittelschichtnorm entsprechen.

Ähnlich gestaltet es sich bei einem Großteil der Ego-Shooter oder Taktik-Shooter, die reale kriegerische Konflikte als Hintergrund haben. Überwiegend sind es us-amerikanische Soldaten, die als Helden im Vordergrund stehen und dabei insbesondere aus der westlichen Perspektive die Kriege beschreiben und Legitimationen für ihre Handlungen ableiten. Die SpielerInnen kämpfen auf der Seite der USA im Vietnamkrieg, greifen in Bürgerkriegsszenarien in postsowjetischen Staaten ein oder kämpfen an der Seite von Special Forces in Afghanistan.

Auf diese Weise trägt zumindest ein Teil der Computerspiele zur Festigung und Reaktualisierung von kulturellen Hegemonien bei. Dabei gibt es dafür gar keine zwingende Notwendigkeit. Computerspiele bieten im Gegenteil die Möglichkeit, in spielerischer Form Hegemonien aufzubrechen, zu hinterfragen, Perspektiven zu wechseln oder sogar utopische Welten zu formen. Ein positives Beispiel ist sicherlich in vieler Hinsicht Grand Theft Auto IV (GTA IV), das es in Ansätzen erlaubt, durch die Augen eines Fremden auf eine durch Konsum und den Neoliberalismus geprägte Gesellschaft zu blicken. Feuilletonist Seth Schiesel von der New York Times bezeichnet GTA IV als „gewalttätige, intelligente, profane, liebenswerte, widerliche, schlaue“ kulturelle Satire, die sich als Unterhaltung tarne. In der weitschweifigen Rahmengeschichte von GTA IV werden die Erlebnisse eines serbischen Immigranten in den USA erzählt, der in der Vergangenheit Soldat der Jugoslawischen Volksarmee war und durch Kriegserlebnisse in seinem Weltvertrauen erschüttert ist. Durch seine Augen begegnen wir einer dem heutigen New York nachempfundenen Spielwelt als einem multiethnischen Schmelztigel, in dem nahezu alle Bereiche des Lebens einen Warencharakter angenommen haben. Diese Welt kennt keine klaren Einteilungen mehr in Gut und Böse, sondern die Charaktere bewegen sich uneindeutig zwischen diesen Polen. Der Held ist immer wieder mit moralischen Entscheidungen konfrontiert, die – je nachdem, wie er sich entscheidet – Einfluss auf den Fortgang der Geschichte haben.

Sexismen, Rassismen, Ausgrenzungen, stereotype Feindbilder usw. sind leider immer noch in vielen Spielen anzutreffen. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Computerspiele nehmen dabei aber einen immer größeren Platz im Alltag der Menschen ein und ihre gesellschaftliche Bedeutung ist schon jetzt nicht zu unterschätzen. Laut des Nielsenreport 2008 bezeichneten sich bereits 37 Prozent der 16- bis 49-jährigen BritInnen  als aktive Computer- und Videospieler. In Deutschland dürfte sich dieser Anteil in ähnlichen Dimensionen bewegen. Brauchen wir angesichts dessen politische Debatten und staatliche Korrekturen in Bezug auf politisch korrekte Computerspiele?

Ich würde sagen, bloß nicht. Die Politik sollte von der Frage der Political Correctness eher die Finger lassen. Die geradezu unerträglich gewordene sog. „Killerspieldebatte“ hat bereits die Züge einer Diskussion in einem Paralleluniversum angenommen, in der sich so manche PolitikerInnen und JournalistInnen überwiegend durch Ignoranz auszeichnen und gegenseitig überbieten mit dilettantischen Kenntnissen und mangelnden Erfahrungen mit der Materie. Dabei blamieren sie sich vor vielen ihrer Wählerinnen und Wähler bzw. im Fall der Medien vor ihrem Publikum. Die stets auf den Tisch gebrachten Verbotsforderungen sind vor allem Ausdruck von Hilflosigkeit und Berührungsängsten gegenüber dieser neuen Kunstform.

 

Wenn Computerspiele als ein Kulturgut und eine Kunstform verstanden werden, wie es der Deutsche Kulturrat vormacht, die immer mehr unsere Lebenswelt mitprägen und gleichzeitig reflektieren, so muss die Frage nach der Political Correctness von Games anders verhandelt werden. Staatliche Stellen sollten sich hier wie bei jeder anderen Kunstform verbitten zu intervenieren und einzugreifen, wie es aber von so manchen PolitikerInnen im Zusammenhang mit der sog. Killerspieldebatte immer wieder mal gefordert wird. Zum einen sollten sich staatliche Stellen lediglich auf den Jugendschutz konzentrieren und sinnvolle Alterseinstufungen gewährleisten. Zum anderen sollte aber die Problematik der Political Correctness in Computerspielen in der Hand offener gesellschaftlicher Diskurse und Verständigungsprozesse bleiben. Die in allen Altersgruppen und Bildungsschichten anzutreffenden NutzerInnen von Computerspielen verfügen über viele Mittel, die Spieleproduzenten und –anbieter zu Korrekturen zu zwingen. Sei es über öffentliche Thematisierung oder gar Boykott von Produkten.

Bund und Länder können diese Diskurse unterstützen, indem sie beispielsweise Impulse geben, den Bereich Computerspiele noch stärker an Universitäten und in der Forschung zu verankern. Zurzeit beschränkt sich dieser Zweig hauptsächlich auf Marktforschung, die Einrichtung von Studiengängen für die Ausbildung zukünftiger SpieleentwicklerInnen und medienspychologische Wirkungsforschung, die wiederum zu großen Teilen auf die vorausgehende sog. Killerspieldebatte zurückgeht. Die verstärkte Förderung geisteswissenschaftlicher Forschung zu diesem neuen Medienzweig könnte hier neue Zugänge zu Computerspielen als Kulturgut schaffen, wie es etwa für die Kunstform Film seit langer Zeit selbstverständlich ist. Das Zentrum für Computerspielforschung in Potsdam und ähnliche Projekte in Braunschweig und Siegen bilden erste Ansätze.

Eine bessere staatliche Förderung des öffentlichen Diskurses könnte dabei helfen, den Einfluss der Lobbyorganisationen von Spieleproduzenten und –anbietern zu begrenzen, die aus Eigeninteresse viel Geld darin investieren, die gesellschaftliche Akzeptanz von Computerspielen zu verbessern. Sie geben Forschungsprojekte in Auftrag, sponsern E-Sports- Vereine und Interessensverbände von ComputerspielerInnen. Eine wirklich freie und kritische Debatte über Computerspiele kann aber nicht auf der Grundlage von Abhängigkeiten von der freien Wirtschaft gedeihen. So bleiben durch einige Bundesländer geförderte und von Spielentwicklern gesponserte Großereignisse wie das GAME FORUM GERMANY oder die SERIOUS GAME CONFERENCE vornehmlich einseitige Werbeveranstaltungen für die Computerspieleproduzenten und dem Wirtschaftsstandort Deutschland.

(Der Verfasser ist Sozialwissenschaftler und Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen e.V.)

2 Kommentare zu “Computerspiele und Political Correctness – Ein schwieriges Verhältnis”

  1. evil daystar sagt:

    Nur mal so zur fiesen Lobby, die Computerspiele schön redet. Wild ballern kann man auch mit Freier Software, hinter der kein Konzern steckt. Zudem pumpt die VolkswagenStiftung ziemlich viel Geld in den Perfect Storm gegen Computerspiele: http://evildaystar.de/2009/09/volkswagenstiftung-pumpt-315000-euro-in-den-perfect-storm-gegen-killerspiele/

  2. Ich habe einige Spiele gesehen haben rassistischer Äußerungen und viel Gewalt beteiligt. Es ist auch ein Anlass zur Sorge für die Gesellschaft.