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Crowdfunding vs. Gratismentalität

Ein beliebtes Argument der Verteidiger analoger Geschäftsmodelle in der Diskussion um Digitalisierung und Urheberrecht lautet: Dafür muss man zahlen, kostenloses Kopieren und Downloaden ist Diebstahl. Implizit klingt da immer noch ein Schlagwort mit, das mittlerweile so nur noch selten ausgesprochen wird: Eine „Umsonstmentalität“ im Internet mache Kultur und Kreativwirtschaft kaputt. Wem man erklären muss, dass sie oder er für Content zahlen müsse, der oder die will offensichtlich kein Geld ausgeben. Am lautesten heulen hier Film- und Musikbranche und übertönen so regelmäßig die Realität.

Denn die für Content (ob analog oder digital) verfügbare Geldsumme fließt heute nicht mehr nur in den Kauf von Büchern, Konzert-, Theater- oder Kinokarten sondern auch schon seit einigen Jahrzehnten in Tonträger diverser Art und dann in Videokassetten, DVDs, BluRays und mittlerweile Downloads und vor allem auch neben klassischen Kulturformen in Spiele, Apps etc…

Weiter gibt es die ein oder andere Studie, die nahelegt, dass die, die downloaden, auch richtig viel kaufen. Vollkommen ad absurdum geführt wird das Argument der Umsonstmentalität durch Crowdfunding. Dazu gab es in den letzten Tagen zwei einschlägige Beispiele.

Erstens: nachdem vor einiger Zeit schon das durch Fans finanzierte Erotikfilmchen „Hotel Desire“ Premiere feiern durfte, erlebte am Samstag der Sci-Fi-Nazi-Trash-Film „Iron Sky“ seine Uraufführung auf der Berlinale. Auch hier wurde ein Teil der Produktionskosten von Fans aufgebracht. Gesammelt wurde das Geld im Netz.

Die Menschen wollen also nicht nur Geld für Content ausgeben, sie tun es sogar noch vor der Erstellung der Werke. Besonders eindrücklich zeigt dies das zweite Beispiel dieser Tage: Der in seiner Branche zu den Berühmtheiten zählende Computerspielprogrammierer Tim Schafer wollte ein eher altmodisch anmutendes Klick-and-Point-Game produzieren, wie sie vor 20 Jahren populär waren. Er fand zunächst keine Investoren. Bis er das Netz um Geld fragte. die angefragten 400.000 Dollar hatte er binnen acht Stunden zusammen, am Ende der Geldeinwerbephase waren es 1,6 Millionen.

Diese Zahlungsbereitschaft löst nicht alle Probleme, die rund ums kreative Schaffen derzeit bestehen. Wie finden Neulinge Unterstützung? Funktioniert Crowdfunding in allen kreativen Bereichen? Auch ist beispielsweise nicht klar, ob Crowdfunding am Ende wieder nur Megastars beim Verdienen hilft, während kleinere Fische wie heute auch schon darben (Wobei Iron Sky und das Projekt von Tim Schafer gerade Nischenprodukte sind, die es im Mainstreammarkt so nicht geben würde). Es besteht auch die Gefahr, dass Crowdfunding nicht zusätzlich zu anderen bestehenden Kulturförderinstrumenten und Bezahlsystemen etabliert wird, sondern diese ersetzt. Solange Staatsaufgaben immer mehr auf zivilgesellschaftliches Engagement abgewälzt werden, ist so etwas immer zu befürchten.

Dennoch: Die Menschen zahlen nicht nur für den bequemen Zugang zu Inhalten wie im Falle der sogenannten „Premium-Kunden“ beim brisanten Beispiel Megaupload. Sie zahlen auch gern, prompt und viel für angekündigte Werke. Im Voraus.

Allerdings, und das ist etwas, was in der Debatte um ein Urheberrecht für die digitale Gesellschaft vielleicht stärker mitbedacht werden muss, findet hier ein weiterer Strukturwandel statt. Nicht nur Produktionstechnik und die Werkträger haben sich massiv verändert, nicht nur die Distribution wurde revolutioniert und damit die Macht der Verwerter geschwächt. Die Nutzerinnen und Nutzer lassen sich offenbar von den alten Playern in Kultur und Entertainment auch nicht mehr sagen, für was sie Geld ausgeben sollen.

Es sind heute weniger als früher PR-Abteilungen und Feuilleton-Redakteure sondern die Nutzerinnen und Nutzer, die Hits produzieren (natürlich werden vor allem PR-Abteilungen fix darauf reagieren). Dabei erscheint Crowdfunding auch bei kommerziellen Großprojekten als eine spezielle Variante des User generated Content, die zunächst die althergebrachte Top-Down-Kultur in Frage stellt. Damit einher geht womöglich auch, dass das tradierte Verständnis davon, was Kultur ist, aktualisiert werden muss. Hit and Run und Thomas Mann.

2 Kommentare zu “Crowdfunding vs. Gratismentalität”

  1. Wir haben in unserem Institut auch herausgefunden, dass die Leute wesentlich mehr Geld freiwillig für Kultur (Filme, Musik, Theater) bei Crowdfunding ausgeben, als sie an Materiellem Gegenwert erhalten. Konkret: die Leute finanzieren via Crowdfunding ne CD und geben 90 Euro – und kriegen als Gegenwert den Wert einer CD, die später im Laden oder bei itunes für 10 Euro zu haben ist. Beim Crowdfunding geht es um mehr als nur das Geld: http://www.ikosom.de/publikationen/

  2. […] unserem Blog und dem weiteren Umfeld der “Digitalen Linken” ins Buch geschafft. Neben “Crowdfunding vs. Gratismentalität” und “Ohne Gleichberechtigung und sozialen Ausgleich bleibt Open dicht”, die beide […]