DIGITALE LINKE
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Matthias Spielkamp: Recht kann niemals „gesellschaftsneutral“ sein

Das gestrige Fachgespräch der Linksfraktion im Bundestag zum „Urheberrecht im digitalen Zeitalter“ hat spannende Debatten und überraschende Erkenntnisse gebracht, die wir in Kürze mit Audiomitschnitten und Auswertungen hier dokumentieren werden (Twitter hier). Eingeleitet wurde es von einer Keynote des Journalisten und Bloggers Matthias Spielkamp, der seinen bemerkenswerten Vortrag nun auch bei iRights.info und auf Google+ veröffentlicht hat.

Spielkamp machte deutlich, dass sich das Urheberrecht wandeln muss, wenn es der gesellschaftlichen Realität standhalten will:

So wenig, wie sich der Zeitreisende hätte vorstellen können, wie das Netz die Welt der Kommunikation und des Reisens verändert, so wenig konnten sich die Väter und Mütter des Urheberrechts vorstellen, für welche Welt ein Urheberrecht im Jahr 2011 taugen muss. Oft kommt an dieser Stelle der Einwand, dass das Recht technologieneutral sein muss und auch sein kann, wenn es nur gelingt, seine Auslegung den aktuellen Begebenheiten anzupassen. Dass ja auch nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit Gesetze geändert werden und noch viel weniger die Verfassung, die kurz und dunkel sein sollte, damit sie viel Auslegungsspielraum lässt und man so nicht gezwungen ist, sie alle zehn Jahre zu überarbeiten. Das funktioniert auch an vielen Stellen sehr gut. Aber an manchen muss zur Kenntnis nehmen, dass wir es nicht mit einem technologischen Wandel zu tun haben, sondern mit einem von Technologie getriebenen gesellschaftlichen Wandel ungeheuren Ausmaßes. Es ist eben so, dass sich kein Urheberrechtler des Jahres 1965 – noch viel weniger des Jahres 1837 – vorstellen konnte, dass die für das Urheberrecht so fundamentale Unterscheidung zwischen privat und öffentlich in der Praxis von Millionen von Menschen nicht mehr existiert, und so ihre Bedeutung wenn nicht verliert, so doch grundlegend wandelt.

Was Spielkamp meint, wenn er sich dafür ausspricht, das Urheberrecht zu verändern, um es nicht zum zusammenhanglosen Relikt werden zu lassen, illustrierte er anhand eines Beispiels der Farmerfamilie Causby von 1946 (nach Lawrence Lessig):

Immer mehr Hühner aus dem Besitz der Farmer fielen dem Luftverkehr über den Ställen zum Opfer. Viele Flugzeuge flogen damals offenbar nicht höher als Hühner. Also hatten die Causbys sich auf die damals allgemein anerkannte Interpretation des Eigentumsrechts der Vereinigten Staaten berufen. Sie besagte, dass dem Besitzer nicht nur die „Oberfläche“ seines Landes gehöre, sondern auch alles, was sich darüber gen Himmel erstreckt – bis in die Unendlichkeit. Die Richter erkannten an, dass diese Auslegung des Rechts eine seit jeher geteilte Doktrin sei. – Und sie verwarfen sie. In seiner Urteilsbegründung schrieb Richter William Orville Douglas: Wendete man dieses Prinzip auf die gegenwärtigen Verhältnisse an, dann müsste daraus folgen, dass jeder Flug über die Vereinigten Staaten zahlreiche Klagen wegen Hausfriedensbruchs riskieren würde. Douglas schloss: „Der gesunde Menschenverstand revoltiert angesichts dieser Idee.“ Der gesunde Menschenverstand revoltiert ebenso angesichts der Idee, dass die derzeit im Urheberrecht verankerte Trennung von privat und öffentlich für jede Handlung, egal ob gewerblich oder nichtkommerziell, egal ob mit der Absicht, Gewinne zu erzielen oder nicht, so aufrecht erhalten werden kann, wie sie ist, und die Menschen sich dann auch danach richten werden.

Spielkamp folgert, dass gesetztes Recht immer Anerkennung und soziale Akzeptanz einer Mehrheit finden müsse:

Recht kann wahrscheinlich in einem umfassenden Sinn niemals technikneutral sein. Es kann in keinem Fall gesellschaftsneutral sein. Wenn Technologie die Gesellschaft verändert, muss sich das Recht mit ihr ändern. Denn ohne Anerkennung entfaltet Recht in einer demokratischen Gesellschaft auf Dauer keine Wirkung. Im Gegenteil – wenn in einer Gesellschaft versucht wird, Recht ohne Rücksicht auf seine Anerkennung durchzusetzen, zerstört es zuerst sich, dann die Gesellschaft.

Selbst konservative Abgeordnete haben sich offensichtlich diese Sichtweise zu eigen gemacht und fordern in einer neuen Initiative ein „faires Urheberrecht“. Diese öffentliche Initiative überrascht, sind doch diese Abgeordneten in der stärksten Regierungsfraktion aktiv. Es sollte für die Wunschkoalition von FDP und Union ein Leichtes sein, endlich einen Entwurf für den lange erwarteten „Dritten Korb“ der Urheberrechtsnovelle vorzulegen (der bereits für September angekündigt war). Man darf also gespannt sein, was diese Initiative zu bedeuten hat und ob sie einen Sinneswandel vor allem bei der selbst ernannten „Partei des Geistigen Eigentums“ (O-Ton FDP) auslösen kann.

 

 

 

Ein Kommentar zu “Matthias Spielkamp: Recht kann niemals „gesellschaftsneutral“ sein”

  1. […] gegen Open Access die Debatte befeuerten. Als Belegt führt Krings eine Äußerung auf dem Fachgespräch der Linksfraktion zum Urheberrecht am 10.10.2011 an. Überzeugend wurde von den Vertretern der Bibliotheken und des […]