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Netzneutralitätsverordnung I – die Hintergründe

Die Deutsche Telekom hat am 22.04.2013 angekündigt, ab dem Jahr 2016 Flatrate-Tarife für Internetanschlüsse im Festnetz nicht mehr anzubieten. Stattdessen sollen Volumentarife vergleichbar zu den derzeit üblichen Mobilfunktarifen eingeführt werden. Wird eine bestimmte Volumenobergrenze vor Abschluss des monatlichen Abrechnungszeitraums erreicht, erfolgt eine Drosselung der Down- und Uploadgeschwindigkeit für den Rest des Zeitraums. Sollte diese ursprünglich 384 Kbit/s betragen, so wurde nunmehr und nach breiter öffentlicher Kritik eine Reduzierung auf 2 Mbit/s angekündigt. Umstritten ist auch, welche Dienste unter die Volumenbegrenzung fallen und ob fremde gegenüber eigenen Diensten diskriminiert werden.

Am kommenden Montag wird die Thematik sowohl den Petitionsausschuss des Bundestages als auch den Unterausschuss Neue Medien beschäftigen. Steht im ersteren die Netzneutralitätspetition von Johannes Scheller auf der Tagesordnung (pdf), so behandelt letzterer den Sachverhalt in einem Fachgespräch (pdf) mit beteiligten Akteuren. Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat reagiert und jüngst den Entwurf für eine Netzneutralitätsverordnung (NNVO) vorgelegt. Diesem vorangegangen war ein Bericht der Bundesnetzagentur vom 14.06.2013 (pdf), der wiederum auf Antworten der Telekom vom 15.05.2013 (pdf) und vom 07.06.2013 (pdf) basierte. Im folgenden werden auf Basis dieser Texte die Hintergründe geschildert, die zum Rechtsverordnungsentwurf führten.

Vordergründig argumentiert die Telekom, es ginge um eine leistungsgerechtere Bepreisung von besonders hohen Datenvolumina – so verbrauchten Vielnutzer (3,65 % der Kunden) 10 bis 20 Mal größere Datenmenge als der Durchschnittskunde, der ca. 15-20 Gigabyte/Monat nutze. Tatsächlich geht es ihr aber um eine Abkehr von der grundlegenden Gleichbehandlung aller Dienste und Datenpakete (Best Effort) zugunsten eines priorisierten, gegen Aufpreis vermarkteten Transports (Managed Services). Letztere eröffnen der Telekom und anderen Netzbetreibern sogenannte zweiseitige Märkte.

Bislang bestanden nur Vertragsbeziehungen zwischen Betreibern und Endkunden, jetzt kommen Vertragsbeziehungen zwischen Betreibern und den Anbietern von Inhalten und Diensten hinzu. Die Rechnung dafür werden letztlich die Verbraucher zu zahlen haben und jene kleinen, wenig bekannten oder wenig frequentierten Anbieter, die die Kosten für eine priorisierte Behandlung ihrer Datenpakete nicht weitergeben können. In Folge entstünde eine Zwei- oder Mehr-Klassen-Gesellschaft im Netz.

Zugleich erlauben Priorisierungen, die Beschränkungen aus dem mobilen Internet auf das stationäre zu übertragen. Dort sind Verletzungen der Netzneutralität, etwa in Form des Blockierens und Drosselns konkurrierender Anwendungen und Dienste, täglich geübte Praxis. Typischerweise erfolgt das Blockieren und Drosseln im Mobilfunkbereich mittels Deep Packet Inspection. Das bedeutet Einblick in den Inhalt der Datenpakete und eben Kontrolle über die zu transportierenden Daten durch die Netzbetreiber – Kontrolle auch über die Meinungs-, Anwendungs- und Kommunikationsfreiheit im Internet.

Die Bundesregierung hat vor zwei Jahren bei der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) unter Verweis auf die Rolle des Marktes eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität abgelehnt. Allerdings sah sie sich nach anhaltenden Debatten auch der Netzpolitiker in den eigenen Reihen gezwungen, die Möglichkeit zu einer Rechtsverordnung aufzunehmen. Halina Wawzyniak kritisierte bereits damals, dass diese Möglichkeit nach § 41a TKG aus zwei Gründen ein Placebo ist.

Erstens: Die Möglichkeit zur Verordnung ist explizit an die Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat gebunden. Dann kann auch gleich der Weg einer gesetzlichen Regelung beschritten werden. Zweitens: Im Gesetzestext ist von „willkürlicher Verschlechterung“ und „ungerechtfertigter Behinderung oder Verlangsamung“ die Rede. Die Formulierung schließt eine nicht willkürliche Verschlechterung von Diensten ebenso wenig aus wie eine gerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs.

Das macht sich die Telekom jetzt zu Nutze und argumentiert entsprechend, die geplante Drosselung und die Herausnahme von Diensten aus der Volumenbemessung seien nicht willkürlich und gerechtfertigt. Demnach handele es sich im Falle von Entertain, dem IP-TV-Angebot der Telekom, um einen Managed Service, der über eine dedizierte Leitung (IP-Multicast) geführt werde, separat bepreist sei und der rundfunkrechtlichen Regulierung unterliege. Im Falle des Video-on-Demand Angebots „Videoload“ – ebenfalls Bestandteil des Entertain-Angebots, bisher nicht priorisiert behandelt und nicht dem Rundfunkrecht unterliegend – sei noch offen, ob es künftig als separater Managed Service angeboten werde oder nach Best Effort transportiert werde.

Ähnliches gelte für die Fortführung des Mobilfunkdienstes Spotify. Im Rahmen eines speziellen Mobilfunktarifs der Telekom wird dieses externe Diensteangebot bei Erreichen einer Volumenobergrenze bislang nicht gedrosselt. Über die künftige Positionierung von Spotify, so heißt es jetzt, sei noch keine Entscheidung getroffen. Ferner wird der Kritik, Managed Services errichteten Marktzutrittsschranken, entfalteten Innovationshemmnisse und Sogwirkungen zugunsten finanzstarker Diensteanbieter, mit dem Angebot begegnet, solche priorisierten Dienste könnten auch kleineren Diensteanbietern gegen eine Umsatzbeteiligung der Telekom pro Kunde zur Verfügung gestellt werden. Auch ginge mit einer Ausweitung von Managed Services – so ein weiterer Kritikpunkt – keine Verdrängung von Best Effort einher, da die Telekom mit jener zugleich die Best-Effort-Transportkapazität ausbaue.

Die Bundesnetzagentur sieht auf Basis einer Rechtsverordnung keine Möglichkeit, „eine separate Abrechnung und Behandlung von Managed Services grundsätzlich zu verhindern“. Die Formulierung „willkürliche Verschlechterung von Diensten“ erlaube allenfalls eine Regelungskompetenz für die Frage, wie viele Managed Services mit welcher Kapazität angeboten werden dürfen, damit offenes Internet (Best Effort) an einem Anschluss noch in angemessener Qualität angeboten werden kann. Für Netzneutralität im Sinne einer strikten Gleichbehandlung aller Dienste biete das geltende Telekommunikationsrecht keine Handhabung.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat am 17.06.2013 einen Entwurf für eine Netzneutralitätsverordnung (NNVO) nach § 41a Abs. 1 TKG vorgelegt. Diese wurde zunächst den Ausschüssen mit der Begründung nicht vorgelegt, sie befinde sich noch in der Ressortabstimmung und sei erst danach verfügbar. Erst nachdem der Entwurf im Netz geleaked wurde, wurde er auch dem Parlament zugänglich gemacht. Nach den Bestimmungen der Verordnung ist es der Telekom auch künftig möglich, priorisierte Transportdienste zu betreiben und auszuweiten. Dazu muss sie anderen Unternehmen diese Möglichkeit unter den gleichen Bedingungen anbieten, die sie sich selbst und ihren Tochterfirmen einräumt.

3 Kommentare zu “Netzneutralitätsverordnung I – die Hintergründe”

  1. […] Medienordnung schaffen Positionspapier des Parteivorstandes « Netzneutralitätsverordnung I – die Hintergründe […]

  2. Interessierte Marburgerin mit baskischem Migrationshintergrund sagt:

    Gut zu wissen, dass es engagierte medienpolitische Sprecher bei der Linken gibt, die sich mit derlei Themen auseinandersetzen. Es gibt sicherlich noch weitere interessante Gegenstände, die zu diskutieren sind. Gilt das TKG eigentlich auch für zu transportierende Daten im Bereich der Kommunikation mit ausländischen Datendiensten und im Speziellen mit autonomen Ländern?

  3. […] zu leisten bereit ist. Das käme ihrer bisherigen Disposition entgegen. Zwei Entwürfe zu einer Netzneutralitätsverordnung wurden im Sommer des Jahres durch das Wirtschaftsministerium zunächst vorgelegt und dann wieder […]