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Netzneutralitätsverordnung II – ein Durchgang

Jan Mönikes hat vorgestern den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erstellten Entwurf zur Netzneutralitätsverordnung (NNVO) geleaked. Einen Tag später wurde dieser dann auch vom Ministerium veröffentlicht (pdf). Flüchtig betrachtet sieht die Verordnung zunächst gar nicht so schlecht aus. Endnutzern und Diensteanbietern solle ein „diskriminierungsfreier, transparenter und offener Zugang“ zum Internet, zu Inhalten und Anwendungen gewährt, die „grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel (Best-Effort-Prinzip)“ sichergestellt werden, heißt es in § 1 Abs. 1 unter „Ziele und Grundsätze“.

Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Und in Abs. 2 geht es auch schon los. Dort heißt es:

(2) Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die den Zugang zu Endnutzern kontrollieren (Betreiber), sind verpflichtet, eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen gemäß den nachfolgenden Vorschriften zu gewährleisten. Die willkürliche Verschlechterung von Diensten oder die ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Telekommunikationsnetzen ist unzulässig.

Hier sind sie wieder, die Buzz-Wörter „willkürliche Verschlechterung von Diensten“ und „ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs“ aus § 41a TKG. Sie implizieren bereits, dass eine Verschlechterung sowie eine Behinderung oder Verlangsamung dann nicht willkürlich und gerechtfertigt sein können, wenn sie allen ähnlich oder gleich widerfahren.

In „§ 2 Inhaltsneutrale Datenübermittlung“ werden sodann die „nachfolgenden Vorschriften“ vorgestellt und gemäß diesem Muster durchdekliniert. In Abs. 1 heißt es:

(1) Betreiber dürfen eigene Inhalte und Anwendungen nicht zu günstigeren Bedingungen oder zu einer besseren Qualität bevorzugt zugänglich machen.

Werden demnach Vorleistungsangebote – sprich: Priorisierungen oder Managed Services – auch Dritten diskriminierungsfrei – sprich: zu keinen höheren Entgelten als sie ein Netzbetreiber sich selbst oder seinen Tochterfirmen einräumt – angeboten, kann der Betreiber eigene Inhalte und Anwendungen priorisieren. Das künftig zu tun, hatte die Telekom – wie hier gezeigt – bereits gegenüber der Bundesnetzagentur angekündigt.

Abs. 2 konkretisiert sodann die Bestimmungen in Hinsicht auf die privilegierte Übermittlung von Inhalten Dritter:

(2) Betreiber dürfen keine entgeltlichen Vereinbarungen mit Inhalteanbietern abschließen, die darauf abzielen, Endnutzern einen bevorzugten Zugang zu deren Inhalten und Anwendungen zu ermöglichen.

Bezogen auf die Geschäftsbeziehung zwischen Telekom und Spotify bedeutet das, dass sie unter der Bedingung fortgeführt werden kann, wenn dieses Angebot bei Erreichen einer Volumenobergrenze ebenfalls angerechnet – sprich: gedrosselt – wird. Das Ministerium ist in diesem Punkt ein Stück weiter gegangen als die Telekom. Letztere hatte offen gelassen, ob sie die Diskriminierung im Hinblick auf Spotify beseitigen will.

Abs. 3 erteilt anschließend der Priorisierung jeglicher Diensteklassen eine Art Generalabsolution:

(3) Eine inhaltsneutrale an technischen Erfordernissen orientierte Transportklassifizierung (Qualitätsdienstklassen) ist keine willkürliche Verschlechterung von Diensten, solange dem Endnutzer Wahlmöglichkeiten erhalten bleiben. Eine Differenzierung von Entgelten nach Qualitätsdienstklassen ist keine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs.

Eine Verlangsamung von Diensten wie P2P ist nach dieser Vorschrift ebenso möglich wie einen spezifischen Dienst – z.B. Spotify – in einen priorisierten Managed Service zu verwandeln, solange a) das unter §2 Abs. 1 Festgestellte gilt und b) Wahlmöglichkeiten – sprich: andere Zugangsprovider – bestehen. Kurzerhand – und unter der genannten Einschränkung a) – sind damit die bereits bestehenden Bedingungen des mobilen Internet auf das stationäre übertragen.

Schließlich sei noch auf „§ 4 Reichweite der Netzneutralität“ hingewiesen, da dort Aspekte des sogenannten Routerzwangs angesprochen werden:

Nach Maßgabe des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen dürfen Betreiber das Gebot der Netzneutralität nicht dadurch beeinträchtigen, dass sie den Netzzugang nur über ein von ihnen bestimmtes Endgerät ermöglichen. Der Netzabschluss muss grundsätzlich über ein vom Nutzer frei wählbares Endgerät technisch zugänglich sein.

Noch vor zweieinhalb Wochen hatte das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Kleine Anfrage „Aussagen der Bundesnetzagentur zu sogenannten Zwangsroutern“ (pdf) der Bundestagsfraktion DIE LINKE geantwortet, dass Router auch Netzbestandteile sein können. Im Falle von Integrated Access Devices (IAD), also Anschlüssen an Next Generation Networks, bezeichneten diese den Netzabschlusspunkt. In diesem Punkt scheint ein Umdenken im Ministerium eingesetzt zu haben. Allerdings bleibt fraglich, welche Ausnahmen in diesem Zusammenhang das Wort „grundsätzlich“ begründet.

Insgesamt bildet der Verordnungsentwurf keinen großen Wurf. Die Telekom kann mit solchen Vorschriften gut leben. Mit § 2 Abs. 3 wird ferner, ob gewollt oder nicht, sogar das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Hatte die Bundesnetzagentur (Bericht vom 02.05.2013) noch eine Regelungskompetenz für die Frage angemahnt, „wie viele Managed Services mit welcher Kapazität an einem Anschluss angeboten werden dürfen, damit der Internetzugangsdienst noch in einer angemessenen Qualität angeboten werden kann“, so findet sich dazu in der Verordnung nichts.

Im Unterschied zur Bundesnetzagentur scheint das Ministerium keinen Verdrängungseffekt des Best-Effort Internet durch Managed Services sehen zu wollen.

 

3 Kommentare zu “Netzneutralitätsverordnung II – ein Durchgang”

  1. Hans Hübner sagt:

    Es ist nicht nachvollziehbar, warum das „Best-Effort Internet“ quasi als der Idealzustand angesehen wird, den es durch Verordnungen zu erhalten gilt. „Best-Effort“ ist die schlechteste aller möglichen Netzwerk-Dienstgüten, macht sie doch die Zustellung von Daten von der zufällig gerade bestehenden Last abhängig. „Best Effort“ heißt nicht „am Besten“, sondern „so gut, wie es gerade geht“ und mithin „ohne Garantie“.

    Es gibt einen direkten Zusammenhang dazwischen, wie gut „Best Effort“ tatsächlich ist, und der aktuellen Netzlast. Je mehr das Netz tatsächlich benutzt wird, desto weniger gut kann „Best Effort“ funktionieren. „Best Effort“ funktioniert nur gut in einem Netz, das ständig mehr Kapazität bietet, als verwendet wird. Wenn die Anschlusskapazitäten jedoch immer weiter steigen (wie auch von DIE LINKE in ihrem aktuellen netzpolitischen Programm mit 10 MBit/sek für alle gefordert), dann müsste das Internet insgesamt in Geschwindigkeitsregionen ausgebaut werden, die technisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll sind.

    Sinnvoll hingegen ist, und das ist im Verordnungsentwurf ja auch festgehalten, „Managed Services“ und QoS-Dienste zu regulierten Tarifen anzubieten. Nur so lässt sich mittel- und langfristig ein gut funktionierendes Netz realisieren. Die Netzpolitik würde insgesamt gut daran tun, technische Sachverhalte nicht zu ignorieren, sondern sich an für nutzernahe Lösungen im Kontext des technisch und wirtschaftlich sinnvollen einzusetzen.

    Das Internet in seiner bestehenden Struktur ist nicht dafür entwickelt worden, Infrastruktur für alle Bürger zu sein. Damit es dazu werden kann, muss es weiter entwickelt werden, und Entwicklung bedeutet in diesem Zusammenhang eben auch, dass die Illusion einer freien und in jeder Hinsicht unbegrenzten, vom bürgerlichen Leben abgekoppelten Extra-Sphäre sich nicht auf Dauer aufrecht erhalten lassen wird.

    Es wäre Aufgabe der Netzpolitik im Allgemeinen, und der Opposition im Besondern, die tatsächlichen Nutzerinteressen in den Mittelpunkt zu stellen. Mit „Freiheit“ als Ziel zu operieren ist dabei weder hilfreich, noch den Nutzerinteressen angepasst. Für die Nutzer ist am Ende auch die Anschlußbandbreite komplett egal, sondern es kommt nur darauf an, dass die gewünschten Dienste verfügbar sind.

    Von Einschränkung der Freiheit zu reden, weil nicht mehr die ganze Familie gleichzeitig YouTube über den Billig-DSL-Anschluss gucken kann, tut dem Freiheitsbegriff insgesamt nicht gut, und es verdeckt auch die tatsächlich anfallenden Kosten im Internet – Schließlich ist fallen neben den Kosten für den Anschluss auch noch alle möglichen anderen Kosten, inbesondere auf der Betreiberseite an, deren Regulierung noch wesentlich komplexer wäre als die derzeit in der Diskussion stehenden Bandbreiten der Teilnehmeranschlüsse.

  2. […] mittlerweile einen Entwurf einer Verordnung zur Netzneutralität veröffentlicht hat. Auf dem Blog Digitale Linke hat Jürgen Scheele den Verordnungsentwurf schon einer kritischen Stellungnahme […]

  3. […] 17. Juni – den „Entwurf einer Verordnung zur Gewährleistung der Netzneutralität“ (pdf) vorlegte, war darin noch von der inhaltsneutralen Datenübermittlung die Rede. Maßgaben zur […]