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Neuer Rundfunkbeitrag – Befreiung für Behinderte unter fadenscheiniger Begründung gestrichen

Zum 1. Januar 2013 tritt der neue Rundfunkbeitrag als Zwangsabgabe für alle in Kraft. Mit ihm wird der Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderungen gestrichen. Blinde und Sehbehinderte mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 Prozent, Gehörlose und Hörgeschädigte, denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, sowie Schwerstbehinderte mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 Prozent zahlen dann auf Antrag einen Betrag in Höhe von einem Drittel (5,99 EUR) des regulären Rundfunkbeitrags (17,98 EUR). Weiterhin beitragsbefreit bleiben allein taubblinde Menschen.

Der Nachteilsausgleich wurde über 60 Jahre hinweg gewährt. Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift war es, behinderungsbedingte Nachteile bei der Teilnahme am öffentlichen kulturellen Leben durch einen gebührenfreien Zugang zu Rundfunk- und Fernsehangeboten auszugleichen. Die Gründe für die Streichung erläuterte jüngst Hermann Eicher, Justiziar des Südwestrundfunks und als solcher für die ARD federführend mit der Systemumstellung in der Finanzierung des Rundfunks befasst, in einem Interview mit dem medienpolitischen Magazin „M“ von ver.di:

„M“: Auch wenn sich für 90 Prozent der Rundfunkteilnehmer wenig ändert: Warum müssen jetzt Behinderte den ermäßigten Beitrag von 5,99 Euro bezahlen?

Eicher: Es gibt dazu höchstrichterliche Rechtsprechung, die besagt, dass Befreiungen aus Gleichheitsgründen nur wegen Bedürftigkeit erfolgen dürfen und nicht aus gesundheitlichen Gründen. Daher hat der Gesetzgeber entschieden, dass behinderte Menschen sich künftig mit einem Drittelbeitrag beteiligen […].

Eicher bezieht sich hier auf die offizielle Sprachregelung. Sie findet sich auch in der Begründung (pdf) zum 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wieder, auf dessen Basis die Systemumstellung erfolgt. Dort heißt es:

Das Bundessozialgericht hat in einer Entscheidung vom 27. Januar 2000 (B 9 SB 2/00 R, Seite 5) darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass die „Gebührenbefreiung für Behinderte einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer“ darstelle. Die Regelung zur Beitragsermäßigung auf ein Drittel des Rundfunkbeitrags führt daher zu einer angemessenen Beteiligung der in Satz 1 genannten Personengruppen an der Rundfunkfinanzierung. (S. 14)
[Anm.: Benannt wird das richtiges Aktenzeichen, fehlerhaft ist die Datumsangabe.]

Wer sich allerdings fragt, warum ein vermeintlicher Gleichbehandlungsgrundsatz zu einer Erhöhung von Null auf ein Drittel führt und nicht zur Anhebung auf den vollen Rundfunkbeitrag, befindet sich bereits auf der richtigen Fährte. Tatsächlich ließen die in Rundfunkfragen verantwortlichen Ministerpräsidenten der Länder drei Gebührenänderungsstaatsverträge – mit Gebührenerhöhungen in 2001 (16,15 EUR), 2005 (17,03 EUR) und 2009 (17,98 EUR) – verstreichen, bis sie sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2000 besannen.

Noch im Jahr 2004 etwa wurde ein entsprechender Vorstoß von Miriam Meckel – seinerzeit Staatssekretärin für Medien im SPD-regierten Nordrhein-Westfalen – abgewehrt, die Gebührenbefreiung für behinderte Menschen künftig nicht mehr pauschal zu gewähren. Der Spiegel berichtete damals unter Bezugnahme auf den Chef der Mainzer Staatskanzlei Martin Stadelmaier (SPD):

Der Vorschlag Meckels unter Berufung auf den vom Bundessozialgericht festgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Rundfunkgebühr sei „außerordentlich umstritten“. Es gebe eine „generelle Berechtigung“ an der Gebührenbefreiung für Behinderte festzuhalten, sagte Stadelmaier.

Diese Disposition Stadelmaiers und der in Rundfunkfragen federführenden rheinland-pfälzischen Landesregierung änderte sich – wir berichteten – im Jahr 2010. Unter Verweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2000 wurde nun die Abschaffung des Nachteilsausgleichs propagiert. Daher lohnt ein Blick in das Urteil (BSG, Urteil vom 28. 6. 2000 – B 9 SB 2/00 R) selbst. Ihm ist zu entnehmen:

Der Senat sieht deshalb in der Gebührenbefreiung für Behinderte einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer (vgl BVerfGE 50, 217, 227; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 2; Vogel in Hdb des Staatsrechts, Bd IV, 1990 § 87 Nr 100; ebendort Kirchhof, § 88 RdNr 203). Die daraus folgende Konsequenz kann aber nur der Verordnungsgeber ziehen. Denn die Versorgungsverwaltung und die Sozialgerichte haben lediglich – allerdings mit verbindlicher Wirkung für die Rundfunkanstalten (vgl BVerwGE 66, 315 ff) – über ein gesundheitliches Merkmal des Befreiungstatbestandes der RGVO, nicht über die – möglicherweise gegen höherrangiges Recht verstoßende – Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu entscheiden.

Sprich: Der Gerichtshof erklärte seinerzeit zwar rechtliche Bedenken gegen eine pauschale Gebührenbefreiung von Menschen mit Behinderungen, wies jedoch zugleich auf die Nichtzuständigkeit in der Beurteilung von höherrangigem Recht hin. Eine Handlungsanweisung an den Gesetzgeber ist daraus nicht abzuleiten. Hinzu kommt: Die Tragbarkeit der rechtlichen Bedenken wurde vom Bundessozialgerichtshof in einem weiteren Urteil aus dem Jahre 2012 später selbst in Frage gestellt. Im entsprechenden Urteil des 9. Senats (BSG, Urteil vom 16. 2. 2012 – B 9 SB 2/11 R) heißt es:

Zwar sind – auch in früheren Entscheidungen des BSG (vgl dazu BSG SozR 3-3870 § 48 Nr 2 S 3 f; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 26 S 103 f) – gegen die Befreiung der in § 1 Abs 1 RdFunkGebBefrV BY aufgeführten Menschen mit Behinderung von der Rundfunkgebührenpflicht rechtliche Bedenken geäußert worden. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob daran auch unter Berücksichtigung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. 12. 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl II 2008, 1419), das seit dem 26. 3. 2009 in Deutschland in Kraft ist (vgl Bekanntmachung vom 5. 6. 2009, BGBl II 812), festgehalten werden kann.

Dem im jüngsten Urteil des Bundessozialgerichts benannten „Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (pdf) vom 21. Dezember 2008 ist denn auch zu entnehmen, dass „besondere Maßnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, […] nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens“ (Art. 5) gelten.

Die Gewährung eines Nachteilsausgleichs kann demnach nicht als Diskriminierung – oder umgekehrt: als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – aller Nutzer erfasst werden. Vielmehr erfolgt dessen Abschaffung unter fadenscheinigem Bezug auf einen vermeintlichen Autoritätsbeweis aus dem Jahr 2000.

Betroffen sind 775.000 Menschen mit Behinderungen (Stand: 31.12.2009). Sie werden den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Idealfall Zusatzeinnahmen von jährlich bis zu 56 Mio. EUR in die Kassen spülen. Mit dem Geld soll, wie es in einer weitgehend unverbindlichen Protokollnotiz der Länder zum 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (pdf) heißt, „die Finanzierung barrierefreier Angebote erleichtert werden“. Blinde, Sehbehinderte, Hörgeschädigte und Schwerstbehinderte tragen sozusagen künftig ihren Nachteilsausgleich selbst.

 

tl;dr
Mit dem neuen Rundfunkbeitrag werden nun auch behinderte Menschen zur Kasse gebeten.

2 Kommentare zu “Neuer Rundfunkbeitrag – Befreiung für Behinderte unter fadenscheiniger Begründung gestrichen”

  1. murgsorgsky sagt:

    Na ich seh das so. Ich besitze weder ein Radio noch einen Fernseher und – ja man stelle sich vor noch nicht einmal einen eigenen Internetanschluss. Dennoch muß auch ich diese moderne Art der Schutzgelderpressung zahlen. Warum sollten Behinderte das also nicht auch ? Gleiches Unrecht für alle.

  2. Wilhelm sagt:

    Mit 80% GDB und Inhaber eines Behindertenausweises mit Merkzeichen „RF“
    stelle ich zweifelsfrei fest, die 1/3 Gebühr für Schwerstbehinderte erfüllt den
    Tatbestand des Betruges von Behinderten